Die Südtiroler Grünen haben einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, um im Südtiroler Bildungssystem ein sogenanntes »Recht auf Mehrsprachigkeit« einzuführen: Immersion, CLIL, mehrsprachige Schule… wie auch immer man es nennen will, »rund die Hälfte« des Unterrichts soll auf Deutsch stattfinden, die andere Hälfte auf Italienisch.
Die entsprechende Pressemitteilung der Vërc möchte ich hier stellenweise kommentieren:
Vorstellung des Landesgesetzentwurfs 67/15: Recht auf Mehrsprachlichkeit im Bildungssystem des Landes
Der Duden kennt die »Mehrsprachigkeit«, aber keine »Mehrsprachlichkeit« — es wäre meiner Meinung nach angemessen, bei einem derart heiklen, sprachbezogenen Thema (in einem Gesetzesvorschlag!) auch die korrekten Begriffe zu verwenden.
Bei den Open-Space-Veranstaltungen des Südtirol-Konvents war unverkennbar die wichtigste Forderung zum Themenbereich “Zusammenleben der Sprachgruppen in Südtirol”: Ein echtes mehrsprachiges Schulsystem wurde von vielen Konvent-Teilnehmenden als dringendstes Mittel für mehr sprachliches und kulturelles Verständnis angeführt. Die Zeichen der Zeit und des Zeitgeists sprechen hier eine überdeutliche Sprache.
Bislang war meist davon die Rede, dass die Open Spaces von Schützen & Co. unterwandert wurden, die dementsprechend auch ihre Themen prominent platziert haben — darunter die Beibehaltung des derzeitigen Schulsystems. Nun soll plötzlich ein mehrsprachiges Schulsystem die wichtigste Forderung zum Themenbereich »Zusammenleben der Sprachgruppen« gewesen sein? Irgendwie geht das nicht ganz zusammen. Es sei denn, man definiert nach eigenem Gutdünken, was wichtig war und was nicht.
Ganz grundsätzlich jedoch: Haben die Grünen nicht erst vor wenigen Tagen die SVP scharf kritisiert, weil sie »am Konvent vorbei« handle? Warum tun sie selbst nun genau dasselbe?
Die Landesregierung setzt im Bereich Mehrsprachigkeit mit den CLIL-Angeboten in der Oberschule einige zaghafte Schritte. Wir wollen diese würdigen. Es braucht Zwischenschritte und der Widerstand der Konservativen ist groß.
Tatsächlich, der Widerstand der Konservativen ist groß. Aber reduzieren wir es bitte nicht auf die Konservativen. Es gibt auch Progressive, die den Fortschritt nur unter der Bedingung wagen wollen, dass er nicht zum Rückschritt wird.
Trotzdem wollen wir als Grüne, die seit Jahrzehnten eine moderne, überzeugt mehrsprachige Gesellschaft anvisieren, ein weiteres Mal einen Schritt voraus gehen.
Wir haben daher diesen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der parallel zur Anpassung der “Buona scuola” in die öffentliche Debatte auch das ureigenste Anliegen der Südtiroler Progressiven einbringt, eben das mehrsprachliche [sic] Zusatzangebot im gesamten Südtiroler Bildungsangebot.
Meines Erachtens wird hier eine Gleichung aufgestellt, die uns direkt in den »Katalog« des Südtiroler Oberflächenprogressismus führt. Hiernach können Progressive per Definition keine Bedenken gegen die Immersion haben — weil sie dann automatisch keine Progressiven mehr sind. Genauso wie Progressive nicht für die Selbstbestimmung sein können und dürfen.
“Unsere gute, mehrsprachliche [sic] Schule”, so könnte man diesen Wunsch zusammenfassen. Es wäre gar nicht schwer und niemand würde irgendein Recht verlieren.
Heinz von Förster, der konstruktivistische Forscher und “KybernEthiker” sagte: Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird! Er sah darin auch eine Ursache des Glücks. In der Südtiroler Bildungswelt wäre Platz dafür.
Im Ernst? Dann müssten wir Försters Maxime zufolge konsequenterweise wohl auch Fächer wie »Kreationismus« oder »Scharia« einführen, wenn (siehe unten) die entsprechende Nachfrage besteht.
Gute Gründe für ein Recht auf Mehrsprachlichkeit [sic] im Südtiroler Bildungssystem
- Wünsche aus der Elternschaft (Convivia, Genitori per il Bilinguismo / Eltern für die Zweisprachigkeit, MixLing) und Umfrageergebnisse (Landeselternbeirat für die deutsche Schule unter den Eltern- und SchulratspräsidentInnen – 2008 und 2015, KOLIPSI-Studie der Eurac – 2009)
Wünsche einer Gruppe sind immer auch gegen die Allgemeininteressen der Gesellschaft abzuwägen. Eine Partei sollte das tun. Schließlich sollen — zum Beispiel — auch nicht nur die Hoteliers entscheiden, ob der Flughafen ausgebaut wird.
Ein Flughafen wäre übrigens auch ein konkreter Beitrag zur Erweiterung von Wahlmöglichkeiten. Dann kann jede Bürgerin ganz selbstbestimmt entscheiden, ob sie lieber mit der Bahn oder dem Flugzeug reist.
Nicht zuletzt war die Umfrage des Landeselternbeirats möglicherweise suggestiv formuliert und mit Sicherheit nicht repräsentativ.
- Aussagen im Sprachenbarometer 2014 (Sprachstatistik ASTAT)
- Oftmals bemängelte schlechte Zweitsprachkenntnisse der Südtiroler OberschülerInnen
Das Sprachbarometer ist ein zweischneidiges Schwert: Es stimmt zwar, dass daraus ein starker Wunsch hervorgeht, auch mehrsprachige Schulmodelle einzuführen. Allerdings bestätigt das Sprachbarometer gleichzeitig, dass die Zweitsprachkenntnisse der Südtirolerinnen während der letzten Jahre — anders als »oftmals bemängelt« — deutlich zugenommen haben.
- Gute Annahme aller bisherigen mehrsprachlichen [sic] Angebote, z.B. CLIL-Unterricht, “Zweitsprachjahr”
Gerade beim Thema CLIL sollte man sich vielleicht auch einmal die Ergebnisse des einschlägigen Evaluationsberichts zu Gemüte führen. Angeblich ist CLIL nämlich wider Erwarten (und anders als offiziell kommuniziert) keine Zauberformel für bessere Sprachkenntnisse.
[…]
Der Gesetzentwurf ergänzt das bestehende schulische Angebot, falls erwünscht und genügend Anmeldungen vorliegen (für den Kindergarten 14, für die Schule 15 Einschreibungen), um ein mehrsprachliches [sic]. Das freiwillige Zusatzangebot kann im Kindergarten, in der Unter- und Oberstufe gewählt werden. Das übliche Angebot bleibt ausnahmslos unverändert erhalten (das Recht auf mutterspachigen Unterricht nach Art. 19 des Autonomiestatuts wird nicht beschnitten).
Noch einmal: Legitimiert die Nachfrage automatisch das Angebot? Ist das nicht zu wenig nachhaltig und zu marktwirtschaftlich gedacht? Ich jedenfalls bin nicht der Meinung, dass wir — nicht nur beim Thema Immersion — die Hoheit über das öffentliche Bildungssystem auf dem Altar der individuellen »Wahlmöglichkeiten« opfern sollten.
Wir alle wissen zudem, dass sich einem mehrsprachigen Angebot über kurz oder lang niemand wird entziehen können, die nicht als konservativ, ewiggestrig, den eigenen Kindern Schaden zufügen wollend gelten will. Wahlfreiheit wird dann im Sinne einer erzwungenen Bilingualisierung nur noch vorgetäuscht.
Das mehrsprachige Angebot ist eine Bereicherung der Bildungslandschaft Südtirols und kann, ähnlich der ladinischen Schule, als Labor für neue Formen des Lernen [sic] und der kulturellen Annäherung dienen. Von der derzeitigen Schule, die ja derzeit schon mit der Realität der mehrsprachlichen [sic] Zusammensetzung konfrontiert ist, wird Druck genommen – und schließlich bietet das neue Angebot auch einen Schutz für all jene, die sich der mehrsprachigen Orientierung im Sinne der ausdrücklichen Muttersprachlichkeit nicht anschließen möchten.
Damit wäre eine Situation allgemeinen Gewinnes geschaffen.
Das mit dem allgemeinen Gewinn wäre — zumindest aus Sicht des Minderheitenschutzes — aus den oben dargelegten Gründen erst zu belegen. Über eine Antwort auf meine Einwände würde ich mich freuen.
Cëla enghe: 01
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