Sprache und Sprachunterricht sind in Südtirol sehr emotionale Themen […] — und über nichts wird hierzulande so kenntnisfrei geredet wie über Spracherwerb.
Ein interessanter und wahrscheinlich gar nicht so abwegiger Befund, den ff-Autor Georg Mair in seine dieswöchige Titelstory (»So schwere Sprachen«) einflicht. Eine wünschenswerte Konsequenz daraus wäre gewesen, sich einen Überblick über die tatsächliche Situation in Südtirol anzueignen, bevor man sich an den Computer setzt und einen Artikel darüber schreibt. Geschehen ist dies aber wohl höchstens in überschaubarem Umfang, wenn Mair in einem einzigen Absatz so viele leicht widerlegbare Vorurteile unterbringt, wie etwa hier:
Helfen ein Jahr in der zweiten Schule, neue Richtlinien für den Sprachunterricht oder Projekte wie Clil, bei dem zwei Fächer auf Englisch oder Italienische [sic] unterrichtet werden, wenn es auf dem Land keinen Kontakt zwischen den Sprachgruppen gibt? Die letzten Italiener weggezogen, Carabinieri, die Deutsch sprechen, Ämter, auf denen man sich leicht in der eigenen Muttersprache durchschlagen kann, und im Landtag eine starke deutsche Opposition, die “los von Rom” will.
Laut Volkszählung 2011 wächst der Italieneranteil in fast allen Bezirken unseres Landes. »Carabinieri, die Deutsch sprechen« und »Ämter, auf denen man sich leicht in der eigenen Muttersprache« durchschlagen kann, gibt es immer seltener: Laut Astat-Sprachbarometer 2014 gab es bezüglich Zweisprachigkeit im Amt nicht nur keine Verbesserung, sondern im Lauf von nur zehn Jahren gar eine dramatische Verschlechterung. Was die starke Opposition, die »los von Rom« will, mit den Sprachkenntnissen zu tun haben soll, ist schleierhaft. Das Sprachbarometer belegt jedenfalls, dass selbst die deutschsprachigen SüdtirolerInnen Italienisch (noch vor Deutsch) für die wichtigste Sprache halten, um in Südtirol zu leben. Und wenn man eine Sprache für wichtig hält, wird man sie wohl kaum vernachlässigen.
Denn die Selbstverständlichkeit, sich in der eigenen Muttersprache verständigen zu können, hat zu einer weit verbreiteten Einsprachigkeit geführt.
Auch hierzu hat das Sprachbarometer 2014 eine Antwort parat: Im Vergleich zu 2004 sind die Zweitsprachkenntnisse deutlich besser geworden — sprachgruppenübergreifend. Mair liegt also wieder falsch.
“Die Haltung, wir brauchen die zweite Sprache nicht mehr”, sagt etwa der Sprachwissenschaftler Franz Lanthaler, bis zu seiner Pensionierung Englischlehrer an einer Meraner Oberschule, “macht sich vor allem bei deutschsprachigen Südtirolern breit.” Lanthaler nennt als abschreckendes Beispiel eine Meraner Oberschülerin, die bei der Matura sagte: “Io andare a …”
Eine Quelle für Lanthalers verallgemeinernde Behauptung wird nicht genannt. Einzelfälle sind vielleicht recht einprägsam, aber sicher nicht repräsentativ.
Immerhin deckt Mair in seinem Beitrag auf, dass Südtiroler CLIL-Lehrer nur eine 150-stündige Ausbildung absolvieren (Standard wären 500 Stunden) und dass immer noch keine Daten über Erfolg und Misserfolg der CLIL-Methode vorliegen, deren Evaluierung man einer römischen Erziehungswissenschaftlerin übergeben hat. Trotzdem scheint die aktuelle Titelgeschichte eine weitere verlorene Chance zu sein, mit der nötigen Akribie und Sachkenntnis an die Materie heranzugehen. Einmal mehr werden falsche Vorurteile unter die Leute gebracht, was einer sachlichen Diskussion nicht wirklich zuträglich ist.
Cëla enghe: 01
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