Katalonien hat gewählt und mehrheitlich seinen Wunsch auf staatliche Eigenständigkeit bekräftigt. Das Unabhängigkeitsbündnis »Junts pel Sí« (Gemeinsam für das Ja) von Artur Mas kommt zusammen mit der separatistischen CUP auf 47% und damit erreichen die Parteien für die Unabhängigkeit die Mehrheit des 135 Sitze umfassenden Parlaments von Katalonien. Nun kann die Regierung Mas Verhandlungen mit Madrid in die Wege leiten, um bis 2017 die Unabhängigkeit Kataloniens durchzusetzen.
Wenn Spanien ein demokratischer Staat ist, kann er nicht auf Dauer den demokratisch ausgedrückten Willen zur Unabhängigkeit Kataloniens missachten. Spanien kann die katalanische Nation nicht gegen ihren Willen im spanischen Staat halten, sondern wird sich dazu durchringen müssen, die Verfassung so zu ändern, dass Katalonien einen eigenen Staat bilden kann. Im Übrigen ist Katalonien nie freiwillig über eine demokratische Entscheidung zu einem Teil Spaniens geworden.
Das Votum der Katalanen ist klar genug; natürlich wäre es besser, eine echte Volksabstimmung zu dieser Frage abzuhalten, die allerdings von Madrid 2014 verboten worden ist. Daraufhin hatte die Regierung Mas im November 2014 eine selbstverwaltete Volksabstimmung abgehalten, an der immerhin 2,25 Millionen Wähler teilnahmen, die zu 80% für die Unabhängigkeit stimmten. Am 11. September 2015, dem katalanischen Unabhängigkeitstag, hatten wieder eine Million Katalanen auf den Straßen von Barcelona für die Unabhängigkeit demonstriert.
Katalonien versteht sich seit vielen Jahrhunderten als Kulturnation und hat den Anspruch auf Eigenstaatlichkeit in der Geschichte nie aufgegeben. Das eigentlich multinationale Spanien verweigert dagegen seinen Völkern den Status einer Nation, verweigert also echte Gleichberechtigung mit der kastilischen Mehrheitsbevölkerung. Spanien hat mit seiner Politik gegenüber Katalonien den heutigen Entscheid für die Unabhängigkeit selbst mitzuverantworten. Das 2006 von Katalonien verabschiedete neue Autonomiestatut ist 2010 vom Verfassungsgericht in wesentlichen Teilen kassiert worden. 2012 lehnte die spanische Regierung in Madrid einen Pakt mit Barcelona zur finanziellen Besserstellung Kataloniens ab. 2014 verbot Madrid die Abhaltung einer Volksabstimmung. Auch die Umwandlung Spaniens in einen Bundesstaat ist bei den spanischen Mehrheitsparteien kein Thema.
Kataloniens demokratischer Weg zur Unabhängigkeit ist eine Reifeprüfung für die spanische Demokratie. Sie müsste sich Großbritannien zum Vorbild nehmen, das die Schotten 2014 frei über ihren Verbleib in diesem Staat entscheiden ließ. Demokratie in Europa, die als Grundwert aller EU-Mitgliedsländer im Unionsvertrag festgeschrieben ist, muss sich auch hier konsequent zeigen. Vielmehr ist Spanien jetzt aufgerufen, demokratische Mehrheitsentscheidungen zu achten und den Weg zur Eigenstaatlichkeit Kataloniens zu ebnen. Mit einem Nachbarstaat Katalonien wird Spanien auf der iberischen Halbinsel genauso verflochten bleiben wie bisher, genauso zusammenarbeiten wie mit Portugal, als gleichrangige Mitglieder der EU.
In eine ganz andere Richtung gehen Francescos Palermos Stellungnahme in der gestrigen Zett zu Katalonien, wo er schreibt:
Diese Entwicklung steht im Gegensatz zu Grundtendenz in Europa. Die Wirtschafts- und Flüchtlingskrise zeigen, dass Staatsgrenzen wieder eine größere Rolle spielen. Die Zeit für Regionalisierungstendenzen in der EU ist vorbei.
Ginge es nach Palermo, müsste sich die katalanische Nation eher an Renzis Zentralisierungs-Tendenz orientieren und gar auf Teile der Autonomie verzichten, die Katalonien schon hat, als solche dazugewinnen. Wenn irgendein Politiker in einem anderen Land eine »Tendenz« ausmacht, müssten sich – laut Palermo – wohl Millionen katalanischer Wähler auch daran halten. Kataloniens Wirtschaft wäre im Übrigen weit weniger von der Eurokrise getroffen, hätte es eine eigene Wirtschafts- und Finanzpolitik. Ein eigener Staat, Mitglied der EU und des Euroraums, macht es durchaus krisensicherer. Besonders widersprüchlich ist aber Palermos Aussage:
Die Flüchtlingskrise zeigt, dass Staatsgrenzen wieder eine größere Rolle spielen werden.
Zum ersten ist die Flüchtlingskrise ohne echte EU-Asylpolitik nicht zu meistern. Zum zweiten ist das doch ein Argument für einen Staat Katalonien, der gleichrangig mit anderen EU-Ländern seine Flüchtlingsaufnahme selbst gestalten kann. Etwas Respekt vor einer demokratischen Willensäußerung von Millionen Katalanen könnte man sich auch von Senator Palermo erwarten.
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