Vor einem Dreivierteljahr (am 18.09.2014) durften die Schottinnen ihr Recht auf Selbstbestimmung wahrnehmen und entschieden sich knapper als zunächst angenommen — aber trotzdem deutlich — für einen Verbleib im Vereinigten Königreich. Seitdem behaupten Unabhängigkeitsgegner auch in Südtirol, zumal Senator Karl Zeller (SVP), in Schottland habe sich letztendlich ein GAU zugetragen. Den Schottinnen sei mit dem Votum nämlich der letzte Trumpf abhanden gekommen, den etwa unser Land bei Verhandlungen mit Rom so geschickt einsetzen könne: »Entweder ihr gewährt uns dies und jenes — oder wir gehen.« Was die SVP da jedoch betreibt, ist erstens ein unlauteres und unwürdiges (parteipolitisches) Spiel mit einem Recht, das allen Südtirolerinnen gehört, und zweitens schon seit Jahren zahn- und wirkungslos, wie die äußerst mageren Ergebnisse bezeugen.
Um die Abstimmung in Schottland zu gewinnen, sahen sich die unionistischen Kräfte Großbritanniens dazu genötigt, dem Land einen weitreichenden Autonomieausbau in Aussicht zu stellen, dessen konsequente Umsetzung nun freilich noch auf sich warten lässt. Gleichzeitig verloren unionistische Kräfte, vor allem Labour, während der letzten Monate massiv an Mitgliedern, während sich die ebenfalls sozialdemokratische SNP, die sich die Loslösung von London auf die Fahnen geschrieben hat, vor Neuzugängen kaum noch wehren kann. Bei den Wahlen zum Parlament in Westminster, die diesen Donnerstag stattfinden, steht der SNP eine mögliche Versechsfachung ihrer Sitze bevor.
Dies veranlasste Ruth Davidson, Schottland-Chefin der konservativen Tories von Premier David Cameron dazu, sich klar und unmissverständlich von Äußerungen zu distanzieren, wonach die Unabhängigkeitsfrage ohnehin »für eine Generation« vom Tisch sei. Sie habe ihre Position mit Cameron abgesprochen, der noch vor wenigen Wochen selbst behauptet hatte, eine weitere Abstimmung stehe in Schottland bis auf weiteres nicht auf der Tagesordnung. Medienvertretern sagte Davidson, wenn die SNP bei den Wahlen dieser Woche tatsächlich drastisch zulegen könne und 2016 wieder eine absolute Mehrheit bei den Wahlen zum schottischen Parlament erringe, sei eine weitere Volksabstimmung durchaus möglich.
Eine künftige Regierung unter konservativer Führung würde den Wunsch nach einer zweiten Abstimmung respektieren, so Davidson. »Ich habe mit Premierminister Cameron lange darüber gesprochen«, verriet sie. »Wir glauben und haben immer an die Selbstbestimmung geglaubt, und wir haben mit einer Teilnahme von 85% gerade den größten demokratischen Akt unserer Geschichte erlebt; eine derart hohe Beteiligung hat es weder in Schottland noch im Vereinigten Königreich jemals gegeben.« Wollten die Schottinnen keine weitere Abstimmung über die staatliche Zugehörigkeit, bräuchten sie nur unionistische Parteien zu wählen.
Es geht also nicht darum, was die Schottinnen dürfen, sondern was sie wollen: Machen sie durch ihre Wahl deutlich, dass das Thema noch offen ist, wird es auch eine zweite Abstimmung geben.
Scrì na resposta