von Sabina Frei, Netzwerk für Partizipation
Ich reibe mich seit einiger Zeit am, so scheint es mir, unreflektiert positiv besetzten Begriff der Eigenverantwortung. In zwei gesellschaftlichen Feldern begegne ich ihm letzthin auch im lokalen Diskurs immer öfter: wenn es um politische Partizipation und ums Soziale geht.
Nach Zeiten in denen wir — mehr oder weniger — paternalistisch an die Hand genommen wurden und Schlüsselbegriffe sozialstaatlichen Handelns bezeichnenderweise “Fürsorge” und “Betreuung” waren, findet auch in Südtirol eine zunehmende Schubumkehr statt, die im durch und durch neoliberalen Grundsatz vom “Fordern und Fördern” (in dieser Reihenfolge) ihre Zuspitzung erfährt. Vollmundig gefordert und nur zaghaft gefördert wird — in letzter Instanz — mehr Eigenverantwortung. Wir alle seien doch im Grunde unseres Glückes Schmied, wird unterschwellig postuliert.
Parallelen hierzu finden sich auch, wenn es um politische Partizipation geht. Südtirol hat eine ausgeprägte, wenn auch zunehmend bröckelnde, Tradition nahezu uneingeschränkter Delegierung politischer Verantwortung an seine gewählten RepräsentantInnen, was auch hier zu paternalistischen Verstrickungen geführt hat. Bürgermeister, die in ihrer Selbstwahrnehmung wie der pater familias Sorge für ihre Gemeinde tragen, also Verantwortung übernehmen und folgerichtig beinahe uneingeschränkt befugt sind, zu definieren, was gut und richtig ist. Wird diese umfassende Delegierung in Frage gestellt, beispielsweise durch das Einfordern von direkter Mitsprache in einzelnen Sachfragen, wird der Spieß trotzig umgedreht: die Verantwortung wird tout court an die Bürgerinnen und Bürger zurückgespielt. Ihr wollt mündig Entscheidungen treffen? Dann setzt sie auch eigenverantwortlich um!
Mit Verantwortung wird operiert, als ob sie unteilbar wäre. Wenn Verantwortung schon plötzlich auf den Tisch gelegt werden muss und zur Disposition steht, muss sie — gefälligst — auch jemand übernehmen. Die gesamte Verantwortung, versteht sich. Alles oder nichts.
Ich zweifle nicht an der emanzipatorischen Kraft, die dem Konzept der Eigenverantwortung innewohnt und ich zweifle erst recht nicht daran, dass Menschen — grundsätzlich — die Fähigkeit und das Recht (!) haben, Verantwortung für sich und ihr Handeln zu übernehmen. Aber ich plädiere dafür, den aktuell so starken claim zur Eigenverantwortung kritisch vor dem dargestellten Hintergrund zu betrachten und die (komplementäre) Dimension der Mitverantwortung stärker in den Vordergrund zu stellen und sie in einem umfassenderen Sinne zu verstehen.
Um das skizzierte Bild weiter zu zeichnen: jenseits der Fallstricke von Beliebigkeit und (welches Unwort!) Sozialromantik, betont Mitverantwortung die Teilbarkeit und die Differenzierung von Verantwortung (und ergo auch von Macht) und stellt Individuen und Gemeinschaft in — durchaus spannungsreiche — Beziehung zueinander.
So übernehme ich einen Teil an Verantwortung für Gemeinschaft und Gesellschaft, dieser Teil an Verantwortung ist weder qualitativ noch quantitativ zwingend identisch mit jenem, den andere übernehmen. Aber er ist potentiell gleichwertig und nicht vorab und einseitig von anderen definiert. Mitverantwortung trägt aber nicht nur der Einzelne für das Gelingen von Gemeinschaft, die Teilbarkeit von Verantwortung betrifft nicht nur das “außen”: ich übernehme auch für mich selbst nur einen — mehr oder weniger großen — Teil an Verantwortung. Selbst die Autonomste von uns ist nicht völlig eigenverantwortlich und Mitverantwortung durch andere ist für unser Leben, in jeder Lebensphase, wesentlich. Das scheinen viele auszublenden.
Mitverantwortung betont somit die Vernetzung zwischen Individuen und das Ineinandergreifen von Verantwortungssphären, Mitverantwortung erfordert ein kontinuierliches sich Einlassen auf Aushandlungsprozesse. Mühsam, aber wesentlich, wenn es darum geht, Neues, authentisch Gemeinsames, entstehen zu lassen.
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