Die EU ist beim schottischen Unabhängigkeits-Referendum gerade noch mit einem blauen Auge davongekommen. Ein unabhängiges Schottland hätte die Brüsseler Bürokraten-Elite wohl in ein Dilemma gestürzt. Mit dem Separatismus tut sich der Club der Nationalstaaten nämlich schwer.
Bestenfalls ist neutrales Verhalten zu erwarten. Nicht beim scheidenden Kommissionspräsidenten Barroso, der den Schotten schon vor der Abstimmung mit Ausschluss drohte und nun unverhohlen jubelt. In der Onlineausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 19.09.2014 wird er wie folgt zitiert:
Das Ergebnis ist gut für ein einiges, offenes und stärkeres Europa, für das die EU-Kommission steht
Weiters wird im Artikel über folgende Frage berichtet:
Ob Barrosos Freude nicht im Umkehrschluss heißen müsse, dass ein schottisches “Ja” zur Unabhängigkeit ein uneinigeres, verschlossenes und schwächeres Europa zur Folge gehabt hätte? So wurde seine Pressesprecherin immer wieder gefragt.
Taktloser kann sich ein scheidender Kommissionspräsident wohl nicht zu einem demokratischen Votum äußern. Den durch und durch EU-freundlichen Schotten wird die potentielle Schuld an einem verschlossenen, uneinigen und schwächeren Europa unterstellt. Dies in Zusammenhang mit einer demokratiepolitischen Sternstunde, ermöglicht durch das Vereinigte Königreich, zu der die EU derzeit wohl nicht in der Lage wäre.
Spaniens Ministerpräsident Rajoy drohte den Schotten gar mit einem Veto im Falle einer Unabhängigkeit bei evtl. Verhandlungen zum EU-Betritt. Als sich Gibraltar 2002 zu 99% zu Großbritannien bekannte und eine geteilte Souveränität zwischen Großbritannien und Spanien ablehnte, war man in Spanien weniger amused über das pro-UK Votum.
Und mit Spanien tut sich die nächste potentielle Zerreißprobe für die Eurokraten auf. Die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens oder des Baskenlandes werden durch den Verbleib Schottlands bei Großbritannien wohl kaum aufgehalten werden.
Die EU täte gut daran, ihr ablehnendes Verhalten zu ändern und Scheidungsregeln auszuarbeiten, die innereuropäische Trennungen innerhalb geregelter Bahnen ablaufen lassen. Gerade mustergültige Prozessabläufe, wie Separationsbestrebungen basisdemokratisch eingebettet werden, würden die EU stark machen. Das Verhalten Barrosos und das dogmatische Beharren auf den derzeitigen Status-Quo, ohne Vision wie man aus der Integrationsblockade rauskommt sind ein Zeichen von Schwäche und nationalstaatlichem Kleingeist. Es ist vor allem das Vetopotential der fünf bis sechs größten EU-Mitgliedsländer, die die EU blockieren. Kleine Staaten sind auf Kooperation angewiesen und haben ohne EU kein Gewicht in der Welt. Auch deshalb sieht Robert Menasse die Zukunft der europäischen Integration in unabhängigen, souveränen europäischen Regionen.
Wenn sich die EU nicht weiter von den Bevölkerungen entfernen will, dann muss dem Unabhängigkeitswunsch einzelner Regionen durch eine klare Regelung der Materie Rechnung getragen werden.
Welche Punkte müssten diese Scheidungsregeln beinhalten:
- Grundlagen für eine Abstimmung mit einer Aufforderung an die Mitgliedsstaaten ihre Verfassungen daran anzupassen um Referenden zu ermöglichen.
- Regeln für den Ablauf des Referendums.
- Regelung der wichtigsten Fragen, wie Übernahme von Schulden, Pensionsregelungen, Verbleib in der EU, Klärung der Währungsfrage, falls es sich um ein Land handelt, das nicht den Euro hat, Klärung aller Aspekte der Rechtsnachfolge, Aufteilung von Rohstoffen usw.
Durch den Verbleib Schottlands im Vereinigten Königreich hat die EU für die Klärung dieser Fragen Zeit gewonnen. Klug wäre es, diese Zeit zu nützen. Der nächste Härtefall für die EU-Bürokratie kommt bestimmt.
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