Diese unglaubliche Zahl gibt die Staatsschuld an, die Italien bis Juni 2014 angehäuft hat. Trotzdem regt sich kaum jemand auf, von Panik keine Spur, die Presse vermeldet einen neuen Rekordstand und der Alltag geht weiter.
Ich habe den Eindruck, die Bevölkerung kann schon lange nicht mehr verstehen was hier abläuft. Trotz rigider Sparmaßnahmen steigt die Staatsschuld unaufhörlich — wie kann das sein? Es ist an der Zeit, das Phänomen Staatsschulden ein bisschen näher zu beleuchten.
Staatsschulden sind bis zu einem gewissen Ausmaß nicht schlecht, vielfach waren und sind sie notwendig, um eine Wirtschaft zu stabilisieren oder wieder in Gang zu bringen. Alles ist eine Frage des Ausmaßes, ein Unternehmer hat meist einen Kredit laufen, um beispielsweise Investitionen zu tätigen, die es später einmal ermöglichen, den Kredit zu tilgen. Also alles in Butter? Problematisch wird es, wenn die Schulden stetig steigen und immer neue Schulden aufgenommen werden müssen, um die Zinsen zu zahlen. Genau das ist in vielen Volkswirtschaften der Fall, europaweit haben sich in den Krisenjahren die Schulden vieler Länder massiv erhöht. Deutschland hingegen hat nach vielen Jahrzehnten des Schuldenmachens im letzten Jahr erstmals seit 1950 Staatschulden abgebaut und zwar aufgrund guter konjunktureller Umstände, durchgeführter Reformen und strikter Haushaltspolitik.
Staatschulden müssen im Verhältnis zur Wirtschaftskraft eines Landes gesehen werden. Italien steht mit 134% im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt an viertletzter Stelle der Welt und hat die zweithöchste Quote nach Griechenland in der EU. Besonders die Schuldendynamik ist besorgniserregend, seit dem Krisenbeginn im Jahr 2007 stieg die Verschuldung von 103% auf 132%. Der Hauptgrund liegt in der wirtschaftliche Krise, die Einnahmen bleiben hinter den Erwartungen zurück, die Ausgaben steigen aber unverhältnismäßig aufgrund sozialer Notwendigkeiten.
Defizit = Zinssatz x Schuld + öffentliche Ausgaben – öffentliche Einnahmen
Sind die Einnahmen eines Staates größer als die Ausgaben ohne Zinszahlungen, liegt ein Primärüberschuss vor, dies war in Italien im letzten Jahr der Fall, es mussten allerdings noch die Zinsen auf angehäufte Staatschulden bezahlt werden. Die überstiegen aber die Einnahmen, sodass sich die Gesamtschuld weiter erhöhte. Dieser Prozess beschleunigt sich, je höher die Gesamtverschuldung ausfällt, wie wir in den letzten Jahren sehen konnten.
Ein Staat kann folglich wirksam seine Schulden nur abbauen, wenn die Einnahmen über die Ausgaben plus Zinszahlungen liegen. In Italien wurden im letzten Jahr öffentliche Einnahmen im Ausmaß von 744,873 Mia. Euro erzielt, die Ausgaben ohne Zinszahlungen betrugen rund 710,177 Mia. Euro, damit wurde ein Primärüberschuss von 34,696 Mia. Euro erreicht. Allerdings betrugen die Zinszahlungen 78,81 Mia. Euro, womit ein Nettodefizit von 44,11 Mia. Euro zusätzlich angehäuft wurde. Wie die Zinszahlungen das Defizit beeinflussen, sollte anhand einer Zahl belegt werden: Seit dem Jahr 1993 hat Italien allein für für Zinsen 1.650 Mia. Euro ausgegeben, dies entspricht drei Viertel des aktuellen Staatsdefizites!
Im Jahr 2013 mussten 5,3% des BIP für Zinszahlungen aufgenommen werden, denn obwohl der Haushalt einen primären Einnahmenüberschuss von 2,3% aufwies, reichte dies nicht aus, um die Zinsen zu bedienen. Dieser Teufelskreis von Nettodefiziten und Erhöhung der Staatsschuld kann nicht ewig weitergehen, sondern nur solange, bis das Vertrauen der Kreditgeber anhält. Wann diese magische Grenze erreicht wird, hängt nicht zuletzt von psychologischen Faktoren ab, deshalb ist es auch verständlich, dass seit Jahren immer wieder gebetsmühlenhaft von der Politik die konjunkturelle Wende angekündigt und diese dann immer wieder auf das nächste Jahr verschoben wird, obwohl alle Indikatoren keine nachhaltige Besserung aufzeigen. Viele europäische Länder sind damit in eine Postwachstumsphase eingetreten, Ökonomen streiten sich noch, wie anhaltend diese Stagnation bzw. Nullwachstumsphase sein wird. Klar ist, dass die in den fünfziger und sechziger Jahren erreichten Schübe sich nicht mehr wiederholen werden. Vieles deutet darauf hin, dass es noch schlimmer kommt. Die EZB hat ihre geldpolitischen Maßnahmen (Zinssatz) ausgeschöpft und steht nun sozusagen ohne Instrumente, außer dem massiven Aufkauf von Staatschuldpapieren, da. Die italienische Politik verkündet ein ums andere Mal den Aufschwung, der aber nie kommt. Einem Staat mit einer derartigen Verschuldung kann auch nicht mehr durch neues Schuldenmachen auf die Beine geholfen werden, vielmehr müssten strukturelle Reformen angegangen werden, die aber konsequenterweise das gesamte Staatsgebilde in Frage stellen. Wie schwierig es mittlerweile ist, wieder eine gesunde Wirtschaft und ein erträgliches Maß an Verschuldung zu erreichen, kann in einer jüngst veröffentlichten Studie nachgelesen werden. Es wurden die Möglichkeiten untersucht, wie Staaten der EU die Konvergenzkriterien des Vertrages von Maastricht erreichen können, d.h. ein Defizit von 60% im Verhältnis zum BIP. Die Autoren kommen zum Schluss:
For the debts of Europe’s problem countries to be sustainable, absent restructuring, foreign aid or an unanticipated burst of inflation, their governments will have to run large primary budget surpluses, in many cases in excess of 5% of GDP, for periods as long as ten years. History suggests that such behaviour, while not entirely unknown, is exceptional. Countries that have run such large surpluses for such extended periods have faced exceptional circumstances.
On balance, this analysis does not leave us optimistic that Europe’s crisis countries will be able to run primary budget surpluses as large and persistent as officially projected.
Im Falle Italiens wurde errechnet, dass über eine Periode von 2020 bis 2030 ein anhaltender Primärüberschuss von 6,6% erreicht werden müsste — völlig utopisch.
Damit ist klar, dass die Höhe der Staatsschuld sehr wohl ein Problem darstellt, obwohl dies politische Kreise immer wieder verneint haben. Staatschulden sind eine Besteuerung zukünftiger Generationen und damit unsolidarisch, sie rauben uns heute den Handlungsspielraum und führen ab einer bestimmten Höhe zusammen mit negativen Wachstumsaussichten unweigerlich in eine tiefe Krise. Hat denn schon jemand die zukünftigen Steuerzahler gefragt, ob sie einverstanden sind, unsere Zeche zu bezahlen? Viel wird von Solidarität gesprochen, genau hier wird sie aber ausgeblendet. Dieses verantwortungslose Treiben der letzten Jahrzehnte, sowohl von linker wie auch von rechter Seite unterstützt, wird der Jugend in Italien bereits heute zum Verhängnis. Zudem können alle Nullwachstumsbefürworter heute anschaulich verfolgen, was passiert, wenn eine Wirtschaft nicht mehr wächst und gleichzeitig Altlasten aus früheren Jahren bestehen: Eine Verarmung vieler Bevölkerungsschichten bei gleichzeitiger massiver Benachteiligung der Jugend.
Das Staatsdefizit hat in Italien mittlerweile eine Höhe erreicht, die bei nüchterner Betrachtung aller Indikatoren zur weiteren wirtschaftlichen Entwicklung mit mathematischer Gewissheit in den Staatsbankrott führt. Es ist an der Zeit, dass wir Verantwortung für die nachfolgenden Generationen übernehmen und ein anderes politisches Modell wählen, das uns nicht unweigerlich in eine tiefe Krise führt. Wir sind es unseren Kindern schuldig.
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