Vor einigen Monaten gehörte es im Südtiroler Mainstream, zumal im progressiven (mit Ausnahme von ), zum guten Ton, gegen die Selbstbestimmungsumfrage der Süd-Tiroler Freiheit zu wettern. Wiewohl diese als Willensbekundung ohne rechtlich bindenden Charakter konzipiert war, wurde die Sicherheit des Abstimmungssystems genauestens untersucht und kritisiert — letztliche wurden formale Gründe vorgschoben, um das Vorhaben inhaltlich zu delegitimieren.
Derzeit läuft in Mals eine amtliche Volksabstimmung, deren Ergebnis für die Gemeinde bindend ist. Wie wir schon geschrieben haben und auch an dieser Stelle wieder vorauszuschicken ist, halten wir den in Mals eingeschlagenen Weg sowohl aufgrund des Verfahrens, als auch »in der Sache« für von großer Bedeutung für die Mitbestimmung in Südtirol.
Und dennoch kann ich mir nicht verkneifen, auf einige Probleme im Verfahren hinzuweisen, um aufzuzeigen, dass mit zweierlei Maß gemessen wird.
Wahlen und Abstimmungen, die sich über mehr als einen Tag erstrecken, sind einer höheren Manipulationsgefahr ausgesetzt, als solche, bei denen Wahlhandlung und Auszählung an einem Tag stattfinden. Über Nacht sind die bereits ausgefüllten Stimmzettel meist gar nicht oder schlechter bewacht, als während des Tages. Um unbefugten Zugriff darauf zu verhindern sind zum Beispiel bei Gemeinde- oder Landtagswahlen rund um die Uhr Polizisten anwesend, die Wahllokale werden zudem versiegelt. Da in Mals ein ungewöhnlich langer Abstimmungszeitraum (vom 22.08. bis 05.09.) angesetzt wurde, sind derartige Maßnahmen kaum möglich.
Briefwahlen — in Mals kann nur auf dem Briefweg abgestimmt werden — bergen zudem weitere Sicherheitsrisiken, die bei der Kritik an der STF-Umfrage auch tatsächlich benannt wurden: Ein Familienangehöriger könnte für alle anderen Mitglieder des Haushalts abstimmen oder aber die Abstimmungsunterlagen der anderen einfach unterschlagen und vernichten. Zudem wäre es möglich, Abstimmungsberechtigte unter Druck zu setzen und von ihnen einen (z.B. fotografischen) Beweis für ihr Abstimmungsverhalten zu verlangen. Nicht von ungefähr sind in Wahllokalen Kameras und Fotohandys verboten.
Für die amtliche Briefwahl gibt es allgemeine Standards, um Betrug zumindest einzuschränken: In der Schweiz und in Österreich muss beispielsweise ein unterschriebener Abschnitt mit ins Kuvert gegeben werden, mittels dessen ermittelt werden kann, wer sich an der Abstimmung beteiligt hat. Bei der Briefwahl zum Südtiroler Landtag vor einem Jahr war dies ähnlich geregelt. Der Stimmzettel ist dann noch einmal in einem zweiten, anonymisierten Umschlag enthalten, womit das Wahl- und Abstimmungsgeheimnis sichergestellt wird. Die Unterschrift erhöht nicht nur die Hemmschwelle für allfällige Mehrfachwähler, sondern gestattet es im Verlustfall auch, dem Wahlberechtigten eine Kopie der Unterlagen zur Verfügung zu stellen — und dann dennoch zu überprüfen, ob er nicht mehrmals an der Wahl oder Abstimmung teilnimmt. Den offiziellen Wahlinformationen der Gemeinde Mals zufolge muss bei der dortigen Abstimmung nichts unterschrieben werden — anders als bei der selbstverwalteten Abstimmung der Süd-Tiroler Freiheit. Dort wurde damals kritisiert, die Bewegung könne so unter Umständen das Abstimmungsverhalten der Teilnehmer nachvollziehen. Dies wurde jedoch durch die öffentliche Auszählung (bei Trennung der namentlichen Kuverts von den anonymen Umschlägen mit den Stimmzetteln) entkräftet.
Nun ist es freilich so, dass man dem System in Mals trotzdem vertrauen kann und meiner Meinung nach auch sollte. Allerdings ist es schon bemerkenwert, dass an eine private Aktion teils höhere Maßstäbe angelegt werden, als an eine offizielle und bindende Volksabstimmung. Es stimmt zwar, dass der Hauptkritikpunkt an der STF-Umfrage im digitalen Abstimmungssystem lag, aber es wurde eben auch das analoge Procedere bemängelt. Einem Vergleich mit der Abstimmung in Mals hält dieses allerdings stand.
Dass heute anders als damals keine massive Kritik von Parteien, Medien und privaten Kommentatoren zu vernehmen ist, deutet darauf hin, dass man es vor einigen Monaten nicht auf das System, sondern auf den Inhalt abgesehen hatte. Und dass die Willensbekundung von rund 60.000 Bürgerinnen bis heute ignoriert wird, ist aus demokratischer Sicht inakzeptabel.
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