Wenn sich die Verwirklichung eines Projektes lange hinzieht, sollte man von Zeit zu Zeit fragen, ob Ziele, Rahmenbedingungen und erwartete Effekte noch aktuell sind.
Diese Feststellung, einer Fachzeitung für Bahnverkehr entnommen, würde, wenn man sie ernst nähme, generell die eine und andere Fehlentscheidung hinterfragen und auch die Grundlage liefern, bestimmte Entscheidungen völlig zu revidieren. Besonders letzteres ist in politischen Kreisen nicht sonderlich beliebt, da dies häufig als Schwäche ausgelegt wird, obwohl es ein Zeichen von Stärke sein könnte. Den öffentlichen Kassen täte die Reflektion des einen oder anderen Projektes gut. Nun wollen wir uns hier nicht mit irgendwelchen Bauvorhaben beschäftigen. Es geht um einen größeren Rahmen.
Die größte Partei unseres Landes hat als Gegenentwurf zum stärker werdenden Ruf nach Unabhängigkeit die Idee, von einem ausgereiften Projekt kann ja nicht mal ansatzweise die Rede sein, der Vollautonomie entworfen. Wir wollen hier nicht Inhalt und Ausmaß der »vollen« Autonomie erörtern, sondern uns mit dem auseinandersetzen, was heute leider den meisten Menschen fehlt: Zeit.
Die SVP scheint hinsichtlich ihrer Ideen zur Vollautonomie erstaunlich viel von dem mitzubringen, was heute absolute Mangelware ist. Zeit spielt augenscheinlich keine Rolle. Oder hat jemand schon davon gehört, innerhalb welcher Fristen man die Vollautonomie verwirklichen möchte? Karl Zeller hat vor einem knappen Jahr mal etwas von 20 Jahren gesagt. Seither ist autonomiepolitisch wenig weitergegangen.
Zur Erinnerung: Die Umsetzung des zweiten Autonomiestatutes wurde ursprünglich auf zwei Jahre angesetzt, gedauert hat es dann 20 Jahre.
Derzeit muss man sich ernsthaft darüber Sorgen machen, ob es überhaupt noch autonomiepolitische Fortschritte gibt und nicht das Erreichte schrittweise ausgehöhlt und verwässert wird. Wir wären dann in einer Situation, die jeder kennt, wenn er etwas vom Netz herunterlädt und es irgendwo hakt. Die angegebene Zeit wird länger und länger und irgendwann fällt die Verbindung.
Alles anscheinend kein Problem für die SVP. Blumenpflücken ist angesagt. Wenn sich am Wegesrand grad eine Gelegenheit bietet, dann wird zugeschlagen, darin ist die SVP nach jahrzehntelangen, zähen Verhandlungen in Rom geübt. Zugegebenermaßen eine wichtige Fähigkeit im politischen Geschäft. Dies ergibt aber noch keinen Zeitplan, der auch nur annähernd für einen Geschäftsplan reichen würde, den heute jeder Jungunternehmer, zumindest in groben Umrissen, ausarbeiten muss, um einen Kredit zu bekommen. Ich möchte die Gesichter der Zuständigen einer Kreditabteilung sehen, wenn man bei der Beantragung eines Kredites keinen Zeitplan vorlegen würde, innerhalb dem man das geliehene Geld zurückzuzahlen möchte. Es wäre angenehm, bei einer Bank, sagen wir mal ein Darlehen über 5 Millionen Euro aufzunehmen, mit einer Laufzeit von 200 Jahren, wobei die erste Rate erst in 100 Jahren fällig wird.
Zeit und Kredit. Wann gedenkt die SVP den Kredit, den ihr Südtirols BürgerInnen in Form von Vertrauen gewähren, auch in Form von belastbaren Zukunftsvisionen und Zukunftsperspektiven zurückzuzahlen? Mit welchen Fristen können wir rechnen? Wie hoch ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen die Wahrscheinlichkeit, in den nächsten Jahren wirklich einen signifikanten Ausbau der Autonomie zu erreichen? Unser Land benötigt auf diese Fragen seriöse Antworten. Zuviel hängt davon ab und Zeit ist ein äußerst begrenztes Gut. Nicht nur die volkswirtschaftliche Situation Südtirols verschlechtert sich unter den gegebenen Rahmenbedingungen tagtäglich, auch kulturell ist der aktuelle nationalstaatliche Rahmen für unser mehrsprachiges Land eine schwere Hypothek und spätestens die nächste Generation braucht zeitnah belastbare Zukunftsvisionen.
Oder wäre es vielleicht angebracht, ein Projekt, das sich nun doch schon recht lange erfolglos hinzieht, zu hinterfragen und neue Wege zu beschreiten?
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