von Stephan Lausch*
Ein EUROPA der solidarisch subsidiär organisierten Gemeinschaft von autonomen Regionen selbstbestimmter und selbstverantwortlicher Bürgerinnen und Bürger.
Selbstbestimmt und selbstverantwortlich leben zu können, gehört zu den höchsten Werten menschlichen Lebens. Das Bekenntnis zur Demokratie, zur Rechtsstaatlichkeit und zum Schutz der Schwächeren gründet darauf. Wir wollen diese Werte als Grundlagen für das Zusammenleben in Europa auf allen Ebenen verwirklicht sehen. Somit ist jede Herrschaftsform zu überwinden, in der Entscheidungen nicht auf einem Konsens der Bürgerinnen und Bürger beruhen und in der diese nicht alle Möglichkeit haben, sich über Anzustrebendes und Abzulehnendes frei zu verständigen.
Diese Werte finden wir in den Nationalstaaten weder eingelöst noch ernsthaft verfolgt. Die Nationalstaaten sind nicht zu diesem Zweck entstanden. Sie sind Gebilde angestrebter Macht und haben historisch ausgedient. EUROPA hingegen ist die Hoffung auf eine freie und pluralistische Gemeinschaft von Menschen, die sich das Zusammenleben in Anerkennung aller Verschiedenheiten und über alle ausschließenden und konkurrierenden Nationalitäten hinweg zum Ziel gesetzt haben.
EUROPA ist als Europäische Union noch an die Machtpolitik der Nationalstaaten und deren politischen Eliten gekettet. In ihr verfolgen diese unkontrolliert und, mangels einer wirklich demokratischen Ordnung, frei vom Zwang sich legitimieren zu müssen, die Interessen der Banken und Konzerne und derer, die sich in ihnen maßlos bereichern, die Verfügungsgewalt über ganze Völker ausüben, sich das Leben der Bürgerinnen und Bürger zu Diensten machen und das Leben von Millionen Menschen in ganz Europa entwürdigen. Es darf also nicht wundern, wenn Menschen die Befreiung aus diesem Zustand der Fremdbe-stimmung, der politischen Entmündigung und der wirtschaftlichen Dienstbarmachung, in kleineren, überschau- und kontrollierbaren territorialen Einheiten suchen. Zu unkontrollierten Sezessionsbestrebungen werden diese erst damit, dass jene Kräfte, die die nationalstaatlichen Institutionen besetzen, keine Selbstbestimmung zulassen. Die Nationen zeigen sich darin als politische und wirtschaftliche Machtblöcke, die auch mit Gewalt ihre Stärke verteidigen, die sich an der Bevölkerungszahl, ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und dem nutzbaren Territorium misst.
Es ist an der Zeit EUROPA so zu gestalten, dass es Einheit und Identität für eine Vielgestaltigkeit wird und die Sicherheit gibt, die aus praktizierter Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger entsteht. Als geistige Wesen sind wir Menschen die denkbar komplexeste Ausformung von Materie und sind damit die Front der Evolution. Wir dürfen uns also nicht scheuen und brauchen nicht Angst zu haben vor Verschieden- und Fremdartigkeit in einer komplexen Realität. Sie sind der Reichtum, an dem wir wachsen können, wenn wir selbst einen sicheren Stand haben, wenn wir selbstbestimmt und für uns selbst verantwortlich leben können. Das wird unvergleichlich besser in kleineren territorialen Einheiten geschehen können, als in den Nationalstaaten und hätte damit zu beginnen, dass Bürgerinnen und Bürger selbst festlegen, wie sie mit demokratischen Instrumenten ihre Lebensbedingungen in ihrem unmittelbaren Lebensbereich selbst bestimmen können.
EUROPA ist zu denken als der Zusammenschluss einer wachsenden Zahl von vollständig autonomen Regionen mit solidarisch subsidiär organisierter Struktur. Im Unterschied zu den Nationalstaaten wäre Europa damit eine gewünschte, eine gewollte und angestrebte Einheit, die Verschiedenheit garantiert. Geeint wird diese Vielgestaltigkeit in einer Verfassung der Menschen- und Bürgerrechte, der politischen und persönlichen Freiheiten, der sozialen Rechte und Pflichten, der Selbstverantwortung und Selbstorganisation, einer Verfassung, die Demokratie als die Möglichkeit der Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger in allen für sie wichtigen Fragen, verpflichtend vorgibt.
EUROPA hat in seiner geografischen Mitte ein Land, das seine Verschiedenheiten der Sprache, Religion und Kultur anerkennt und wertschätzt in vollkommen autonomen, mit eigener Verfassung ausgestatteten Kantonen, die aus freiem Willen Teil einer Konföderation sind. In ihnen üben die Bürgerinnen und Bürger ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und wissen sich, anders als in den umgebenden Nationalstaaten, tatsächlich souverän. Die Helvetische Eidgenossenschaft soll als weltweit einzigartiges politisches Kunstwerk der freien Gemeinschaft und fortdauernder Abstimmung von Verschiedenheiten aufeinander ein lebendiges Beispiel für das anzustrebende EUROPA sein. Wir wünschen uns EUROPA als eine einzige große, solidarisch subsidiär organisierte Föderation von Regionen, die der geeignete Rahmen und die Grundlage sind, auf der Bürgerinnen und Bürger sich demokratisch selbst bestimmen können und somit selbst verantwortlich sind für die Bedingungen, unter denen sie leben wollen.
*) Das Memorandum wurde von Stephan Lausch verfasst auf der Grundlage der Debatte über »Sezession oder Europa?« am 17. Mai 2014 im Batzenhäusl in Bozen, an der teilgenommen haben: Christine Baumgartner, Gregor Beikircher, Thomas Benedikter, Karl Berger, Simon Constantini, Erwin Demichiel, Gertrud Dissertori, Marlene Filippi, Teresa Fortini, Dagmar Gnieser, Christina Herz, Klaus Griesser, Paul Köllensperger, Benno Kusstatscher, Sepp Kusstatscher, Bernd Karner, Stephan Lausch, Michele Lonardi, Ivo Passler, Andreas Pöder, Roberto Pompermaier, Erika Rinner, Christian Troger, Thomas und Anita Vaglietti, Claudio Vedovelli, Otto von Aufschnaiter, Alma Zanfrà , Bernhard Zimmerhofer.
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