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Mit Schutzklausel zum gallischen Dorf.

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Seit jeher nährt die Südtiroler Sonderautonomie den Neid anderer Gebiete, da dortige Politiker und BürgerInnen meist weder ihre historischen und gegenwärtigen Gründe kennen, noch ihre Funktionsweise verstehen. Da der Staat sich nicht als vielfältiges Gebilde versteht, sondern als zentralistisches und gleichmacherisches Konstrukt, fehlt auch eine wichtige Grundlage für Respekt und Toleranz gegenüber einer sprachlichen, kulturellen, aber auch politischen Sondersituation wie der unseren. Während der letzten Monate ist, befeuert durch die Wirtschaftskrise, auch der Rechtfertigungsdruck auf die Autonomie auf ein nie gekanntes Maß gestiegen. Dies kurioserweise genau jetzt, als unsere Zuständigkeiten von Rom fortlaufend und großteils widerrechtlich in Frage gestellt und ausgehöhlt wurden.

Um die Angriffe abzuwehren und den Druck auf Südtirol zu verringern ist die Landespolitik mitunter dazu übergegangen, eine Rolle einzunehmen, die ihr eigentlich fremd ist: Sie hat den Umbau des Staates im Sinne einer Föderalisierung gefordert und sicherte anderen Territorien, die einen Anspruch auf Autonomie erhoben, ihre Unterstützung zu — so der nahen Provinz Belluno, aber auch ganzen Regionen, wie Venetien und zuletzt der Lombardei. Das Credo war und ist, dass nicht wir auf unsere vertraglich zu-, aber offenbar rechtlich nicht besonders gut abgesicherte Autonomie verzichten sollten, sondern wennschon auch andere in den Genuss einer erweiterten Eigenregierung kommen sollten, um die Schere zwischen »normalen« und autonomen Regionen etwas zu verkleinern. Während eine vergleichsweise kleine Region wie die unsere jedoch Anregungen geben und Allianzen bilden kann, ist die Dezentralisierung eines Staates gegen seinen Willen — und vor allem: gegen sein Selbstverständnis — wohl ein zu großes Unterfangen. Wollte Italien und wollten die italienischen Staatsbürger mehrheitlich ein föderalistisches, plurales Land, so könnten sie dies jederzeit durch entsprechendes Wahlverhalten unterstützen und umsetzen.

Seit Matteo Renzi an den Machthebeln sitzt, im Grunde aber spätestens seit Mario Monti, geht die Fahrt sogar mit voller Kraft in die entgegengesetzte Richtung: Die nun in Umsetzung befindliche Verfassungsreform soll den zaghaften Föderalisierungsbestrebungen der letzten Jahre den Garaus machen und eine deutliche Zentralisierung herbeiführen. Senator Francesco Palermo bringt dies im heutigen TAZ-Interview schonungslos zum Ausdruck.

Der Staat geht dramatisch in Richtung Zentralismus. Wir sind aber zu klein und irrelevant, um das zu verhindern. Unsere letzte Chance besteht darin, uns mit der Schutzklausel abzusichern.

— Sen. Francesco Palermo

Südtirol gerät also stark in die Defensive und muss darauf hoffen (!), im turbulenten Verfassungsänderungsverfahren eine Klausel durchzubringen, die zumindest angereifte Rechte und Zuständigkeiten heil durch den Sturm bringt. Ein weiterer Ausbau der Autonomie, ja gar so etwas wie eine »Vollautonomie«, scheint immer weiter in die Ferne zu rücken. Doch es kommt noch schlimmer: Die Schutzklausel wird im Angesicht eines dramatisch zentralisierten Staates die Schere zwischen herkömmlichen Regionen und der unseren ebenso dramatisch aufgehen lassen. Während ihre Volksvertreter in Rom großmehrheitlich einer Zentralisierung zustimmen — die für eine Verfassungsreform nötige Zweidrittelmehrheit wäre gegen Lombardei und Venetien kaum zu erreichen — werden Neid und Unverständnis für die Südtiroler Sondersituation im Vergleich zur Vergangenheit noch einmal ansteigen. Dann werden wir wirklich zum »gallischen Dorf«.

Cëla enghe: 01



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Comentârs

5 responses to “Mit Schutzklausel zum gallischen Dorf.”

  1. CSVR avatar
    CSVR

    Die sog. immerwährende Autonomie siecht langsam dahin.

  2. niwo avatar
    niwo

    Aber sich immer noch wie der Teufel vor dem Weihwasser einer ergebnisoffenen Diskussion über Südtirols Zukunft verweigern. Und einen Alleinvertretungsanspruch darüber erheben was Realpolitik ist.

  3. proEuregio avatar
    proEuregio

    … es ist wirklich bald zum Verzweifeln!
    Dabei wäre unsere Provinz mit seinem Bevölkerungsgefüge, mit seiner Sprachgewandtheit geradezu prädestiniert, als erste Region eines Europa der Regionen in die EuropaGeschichte einzugehen! Wie hat sich in den letzten 25 Jahren in Europa so vieles zum Besseren gewendet, – warum nicht Südtirol als EuropaRegion ohne Bevormundung durch Rom?!?!?!
    Und endlich Schluß mit dem immer noch und immer wieder “siamo in Italia”!!!!
    Damit könnte der Proporz entsorgt werden und vieles könnte von einer gemeinsamen Stelle verwaltet werden und die Ortsnamen könnten in einer kultivierten, international gebräuchlichen Handhabung geregelt werden! Und vieles mehr …
    Sollte dies in Europa nicht vorstellbar sein, dann gäbe es noch die Schweiz …

  4. ola avatar
    ola

    Wollte Italien und wollten die italienischen Staatsbürger mehrheitlich ein föderalistisches, plurales Land, so könnten sie dies jederzeit durch entsprechendes Wahlverhalten unterstützen und umsetzen.

    Das finde ich einerseits schon richtig, andererseits aber immer einen höchstgefährlichen Denkansatz, mit dem sehr vorsichtig umzugehen ist. Ich kann mir nämlich schon jemanden in Rom malen, der anhand vom verkehrten Blickwinkel sowas in der Art zum Ausdruck bringt: “Wollte Südtirol und wollten die Südtiroler mehrheitlich die Selbstbestimmung, so könnten sie dies jederzeit durch entsprechendes Wahlverhalten unterstützen und umsetzen.”
    Könnt ihr den Haken dran sehen?

    1. pérvasion avatar

      Den Haken gibt es tatsächlich, doch ich bin auch der Meinung, dass — sowohl in Italien, als auch in Südtirol — in Ermangelung einer geeigneten politischen Kraft auch andere demokratische Wege (zur Föderalisierung respektive zur Selbstbestimmung) gegangen werden können und müssen. Solange wir Südtiroler keine solchen Schritte wie etwa ein Referendum setzen, kann uns natürlich völlig richtigerweise vorgeworfen werden, dass wir die Selbstbestimmung gar nicht wollen.

      Ich danke dir für den Hinweis.

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