Im November 2012 hatte das italienische Kassationsgericht ein Gerichtsverfahren für nichtig erklärt, weil es in deutscher Sprache geführt worden war: Dieses Recht stehe ausschließlich in Südtirol ansässigen italienischen Staatsbürgern zu, doch der Fall betraf eine deutsche Staatsbürgerin. Trotz eines Präzendenzfalls (Bickel und Franz) von 1998, in dem der EuGH bereits klargestellt hatte, dass die Sprachregelungen auch für ausländische Bürger zu gelten hätten, versuchte die italienische Justiz erneut, Deutsch zur Eingeborenensprache zu degradieren — als eine Sprache, die nur einigen wohlumrissenen Individuen zusteht, anstatt allgemeine und gleichgestellte Verwaltungs- und auch Justizsprache zu sein, wie das Autonomiestatut (Art. 100) eigentlich vorsieht.
In einem ähnlichen Fall, in dem sich wiederum zwei ausländische Bürgerinnen in einem deutschsprachigen Prozess gegenüberstanden, wandte sich nun das Bozner Landesgericht zur Klärung der Sprachfrage an den EuGH, der dem Kassationsgericht in seinem heutigen Urteil ausdrücklich widersprach: Deutsch kann in Südtirol nicht nur für Einheimische Verfahrenssprache sein. Dies habe man bereits 1998 für strafrechtliche Verfahren entschieden und müsse selbstverständlich auch für andere Verfahren gelten.
Die Erwägungen, die den Gerichtshof im Urteil Bickel und Franz (EU:C:1998:563) veranlasst haben, einem Unionsbürger, der Angehöriger eines anderen als des betreffenden Mitgliedstaats ist, das Recht zuzuerkennen, sich im Rahmen eines Strafverfahrens auf eine Sprachenregelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu berufen, so dass er sich in einer der in dieser Regelung vorgesehenen Sprachen an das angerufene Gericht wenden kann, sind so zu verstehen, dass sie für jedes in der betreffenden Gebietskörperschaft geführte gerichtliche Verfahren und insbesondere für ein Zivilverfahren gelten.
Interessant ist, dass die italienische Regierung (laut EuGH-Urteil) ausdrücklich gegen eine Ausweitung der Sprachrechte im Sinne einer tatsächlichen Gleichberechtigung der Sprachen argumentiert hatte:
Zum Einwand der italienischen Regierung, wonach es keinen Grund gebe, das Recht zum Gebrauch der Sprache der betreffenden ethnischen und kulturellen Minderheit auf einen Bürger eines anderen Mitgliedstaats als der Italienischen Republik auszudehnen, der sich nur gelegentlich und vorübergehend in der fraglichen Region befinde, da ihm Mittel zur Verfügung stünden, mit denen er seine Rechte angemessen ausüben könne, obwohl er die Amtssprache des Aufnahmemitgliedstaats nicht kenne, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Einwand von der italienischen Regierung auch in der dem Urteil Bickel und Franz (EU:C:1998:563, Rn. 21) zugrunde liegenden Rechtssache erhoben worden war und vom Gerichtshof in den Rn. 24 bis 26 seines Urteils mit der Erwägung zurückgewiesen wurde, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung gegen das Diskriminierungsverbot verstößt.
Soviel zum Thema Mehrsprachigkeit im nationalstaatlichen Kontext. Dies ist ein konkretes Beispiel dafür, inwiefern die Europäische Union ein Beitrag zur Absicherung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt auch in Südtirol ist. Der Zentralstaat leistet sogar mehrmals Widerstand in derselben Sache, sodass man sich diese Gleichstellung nun ein zweites Mal »erstreiten« musste.
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