In Zeiten wie diesen ist man gezwungen, Dinge zu tun, von denen man nie geglaubt hätte, dass man sie tun muss. Zunächst hätte ich nie gedacht, dass ich einmal einen Artikel mit der mir verhassten Phrase “In Zeiten wie diesen” beginnen würde. Das klingt so nach “früher war alles besser, früher war alles gut”. Ich hätte des Weiteren nie geglaubt, dass ich mich auf bemüßigt fühle, die SVP und die Freiheitlichen zu verteidigen. So unpopulär das in Zeiten wie diesen auch erscheinen mag – ich werde es jetzt einfach tun. Nicht, weil sie die armen Unschuldslämmer sind, die sich nicht selbst verteidigen können, sondern weil ein verstörendes Ungleichgewicht entstanden ist. Weil einiges aus den Fugen geraten ist. Weil die Kirche mittlerweile nicht bloß nur nicht mehr im Dorf ist, sondern weit über alle (Hoch-)Häuser.
Seit ein paar Tagen komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sämtliche Medien sind voll von Absurditäten, wogegen sich manche Ergüsse der Bild-Zeitung wie T.S. Eliots “The Waste Land” lesen. Diskussionskultur? Fehlanzeige! Verhältnismäßigkeit? Fehlanzeige! Sachinformation? Fehlanzeige! Auf meine Fragen hab ich nach wie vor keine zufriedenstellende Antwort bekommen. Mehr noch, das eingangs kritisierte Niveau der Diskussion ist noch tiefer gesunken, als man es für möglich hielt.
Verhältnismäßigkeit verloren?
Noch einmal zum Mitschreiben: Ich möchte die Zahlungen an die Politiker nicht bagatellisieren und es ist – übrigens seit Jahrzehnten – Handlungsbedarf gegeben, aber was jetzt passiert steht in überhaupt keinem Verhältnis. Der Einmalbetrag (!!!) von 90 Millionen Euro, um den es hier geht, ist ungefähr so hoch wie jener, den die Südtiroler in diesen ach so schweren Zeiten alle 45 Tage (!!!) jahraus jahrein für Glücksspiel, das in Österreich pikanterweise als “Trottelrente” bezeichnet wird, ausgeben. Die gleiche Summe an Südtiroler Steuergeld versickert derzeit alle 15 Tage (!!!) irgendwo in nicht nachvollziehbaren Kanälen im Zentralstaat.
Fast noch lustiger – um nicht zu sagen trauriger – ist die Tatsache, dass uns die jetzt verabschiedete Regelung trotz der enormen Zahlungen nach derzeitigem dürftigen Wissenstand (man spricht sogar von Einsparungen von mehreren Millionen Euro) ja nicht mehr kostet, als die seit Jahrzehnten bestehende. Und fest steht auch, dass in einigen Jahren jene, die von nun an neu in die 2800-Euro-Regelung fallen, dem Steuerzahler einen Bruchteil von dem kosten, was für Magnago und Co. ausgegeben wurde, der bekanntlich rund € 7000 Rente erhielt.
Beim ominösen “Dildoskandal” der Freiheitlichen geht es gar um 65 Euro. Natürlich, jeder missbräuchlich verwendete Steuereuro gehört beanstandet. Wobei in diesem Fall noch kein rechtswidriges Verhalten festgestellt wurde, sondern lediglich eine Vermutung im Raum steht. Und ich unterstelle jetzt einfach auch mal, dass wenn statt des Sexspielzeugs ein Blumenstrauß verschenkt worden wäre, kein Hahn danach gekräht hätte. Selbst bei “Beraterhonoraren” und “Repräsentationsspesen” in Höhe mehrerer Tausend Euro war es in den vergangenen Jahren ja komischerweise immer recht ruhig.
Moralische Überlegenheit?
Der Organisator der Demonstration vor dem Landhaus, Hansjörg Kofler, meinte laut stol.it in Richtung Ulli Mair: “Die größte Schande ist es, wenn ein Politiker den Bürger angreift.” Leider wird nicht zitiert, was Mair gesagt hat. Aber es ist schwer vorstellbar, dass es beleidigender und verleumderischer war, als das, was auf einigen der Plakate stand, mit denen sie sich konfrontiert sah. Alle Politiker werden pauschal als Räuber dargestellt, man drohte ihnen sogar körperliche Gewalt an und bewarf sie – ebenfalls laut Medienberichten – mit Papierkugeln und dergleichen. In einer solchen Situation seinem Gegenüber jenes Verhalten vorzuwerfen, das man selbst in weitaus schwerwiegenderem Maße an den Tag legt und sich dabei offensichtlich auch noch in moralischer Überlegenheit zu glauben, ist bizarr. Zudem wurde im Gegensatz zu anderen Skandalen beim “Dildo- und Pensionsskandal” noch nicht einmal eine Gesetzwidrigkeit festgestellt.
Spiel mit dem Feuer?
Wenn man, so wie das seit Jahren versucht, sachlich und auf demokratischem Wege über Zukunftsszenarien für Südtirol diskutieren möchte, wird einem nicht selten ein “Spiel mit dem Feuer” vorgeworfen. Wenngleich ich den Weg und das Ziel von STF und Schützen nicht teile, so muss man dennoch anerkennen, dass sie es geschafft haben, über 60.000 Menschen zur Teilnahme an ihrer Umfrage zu bewegen bzw. mehrere Tausend Leute bei Demonstrationen auf die Straße zu bringen. 5000 Schützen haben bereits auf dem Magnago-Platz protestiert. All das ging unaufgeregt und friedlich vonstatten. Dennoch wurden die Aktionen und somit die Willensbekundung zehntausender Menschen von den Medien weitestgehend ignoriert. Nun “unterschreiben” 18.000 Leute eine Avaaz-Petition und rund 600 Bürger am Landhausplatz artikulieren sich in bisweilen niveauloser und unangebrachter Weise und die Medien sind voll davon. Von wegen “Spiel mit dem Feuer”. Das Feuer wird sogar noch geschürt. Selten wurde eine Aktion so massiv medial begleitet wie diese. Und selten wurde der Demokratie sowie der Informations- und Diskussionskultur in Südtirol so geschadet, wie jetzt.
Beweis für den Verfall?
Das einzige, was die derzeitige Situation beweist, ist, dass die Bevölkerung sensibler geworden ist, was Missstände betrifft. Anders lässt es sich nicht erklären, dass eine Regelung, die nicht teurer ist als die seit Jahrzehnten bekannte und bestehende, für derartiges Aufsehen sorgt.
Der “Dildo- und Pensionsskandal” ist aber bei Gott kein Beweis dafür, dass Südtirol und die gesamte Autonomie gescheitert sind, die Korruption ein unlösbares Problem darstellt und die Qualität der Verwaltung hierzulande sich mittlerweile von jener Siziliens nicht mehr unterscheidet – wie einige Kommentatoren suggerieren. Dagegen spricht nicht nur jede statistische Erhebung in diesem Bereich, sondern auch die Tatsache, dass es die perfekte Verwaltung nicht gibt. “Südtirol ist Italien” schreibt beispielsweise Gerhard Mumelter auf salto.bz in Anlehnung an den STF-Spruch. Abgesehen davon, dass man Italien nicht als Schimpfwort gebrauchen sollte, indem man impliziert, dass man nun ebenso tief gesunken sei, könnte man auch genauso gut schreiben “Österreich ist Italien” (Buwog-Affäre um Karl-Heinz Grasser) oder “Deutschland ist Italien” (CDU-Spendenaffäre).
Wir haben uns unsere Politiker speziell in der Vergangenheit einiges kosten lassen. Aber wir haben auch einiges dafür bekommen – und zwar nicht bloß Skandale. Südtirol wurde – und das zeigt beinahe jeder Vergleich – nicht schlechter verwaltet als andere Regionen. Im Gegenteil, das Land steht verhältnismäßig gut da. Und das ist auch ein Verdienst der Politik. Von einem Haufen Taugenichtse und Nichtstuern, die sich nur bereichern, wie es jetzt den Anschein hat, kann keine Rede sein.
Exkurs: Ein Plädoyer für die Politik oder Mach’s dir doch selbst!
Seit jeher reißen Politiker einen Spagat, den ich nicht machen möchte. Dabei ist Politiker einer der wenige Berufe, für die es keine Zugangsvoraussetzung braucht. Jeder kann Politiker werden (und es besser machen). Es müsste also jedermanns Traumberuf sein: man muss nix können und bekommt noch dazu hervorragend bezahlt. Dafür darf man sich lediglich vorhalten lassen, dass man sich bei jeder Gelegenheit – speziell auch an den Wochenenden, die andere im Kreise der Familie verbringen – anlässlich von Feiern und Eröffnungen den Wanst voll schlägt. Lässt man sich hingegen nicht blicken und spendet man beim obligatorischen Begrüßungsschnapserl nicht gleich ein Scheinchen in grün, gilt man als bürgerfern, abgehoben und knausrig. Überspitzt formuliert wünschen wir uns Politiker, die möglichst wenig verdienen und dennoch sehr großzügig sind. Politiker, die sich nicht in den Mittelpunkt drängen aber bei jeder Konservenbüchseneröffnung präsent sind. Ob wir die je bekommen – sprich wählen – werden?
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