Mit freundlicher Genehmigung des Autors, Robert Weißensteiner, geben wir folgenden Beitrag zur Politrentendebatte wieder, der am 7. März 2014 in der Südtiroler Wirtschaftszeitung (Ausgabe 09/14) erschienen ist:
In der aktuellen Frage der Politikerrenten haben alle das rechte Maß verloren: zuerst die Politiker und jetzt manche ihrer Kritiker. Anmerkungen eines Besorgten.
Im angeblich heiligen Land (Süd)Tirol kann es nicht schaden, zwischendurch einmal aus der Bibel zu zitieren. Dort wird berichtet, dass die Menschen “Hosianna” riefen, als Jesus in Jerusalem einzog. Wenige Tage später hieß es aber “Hinweg mit ihm, kreuzigt ihn!” Nun: Unsere Politiker sind wahrlich nicht Jesus von Nazareth, auch wenn sie mit der Rentenvorauszahlung eine wundersame Tat für sich selbst bewirkt haben, aber sie erleiden derzeit ein ähnliches Schicksal. Gestern noch wurden sie mit einer geschmückten Kutsche befördert, wenn sie eine Schule oder Feuerwehrhalle eröffneten, die sie in Erfüllung ihrer Pflicht mit Steuergeldern finanziert hatten, heute müssen sie befürchten, angespuckt zu werden, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigen. Manche Kommentare, die an Stammtischen und in Internet-Foren abgegeben werden, zeugen von einer unbändigen Wut. Aber Zorn macht zuweilen blind.
Wahr ist, dass sich die Politiker viele Jahre lang ganz ungeniert aus den Staatskassen (hierzulande den übervollen Kassen der Region) bedient haben – mit üppigen Diäten, versteckten Zuwendungen und traumhaften Renten. Niemand hat gemault, obwohl es alle gewusst haben, denn allen ging es recht gut. Die hohen Bezüge sind jedoch keineswegs nur eine Erscheinung der Ära Durnwalder: Schon in der Zeit von Silvius Magnago waren die Abgeordneten in Bozen eine privilegierte Kaste, denn sie hatten ihre Diäten – welch raffinierter Zug! – an jene der römischen Parlamentarier gekoppelt! Aber dann erfolgten unter öffentlichem Druck Reformen: Die Neo-Abgeordneten von 2008 und besonders jene von 2013 müssen sich mit weit weniger begnügen als ihre Vorgänger.
Aber die “Alten”, die ihren Nachfolgern eine Abmagerungskur verordnet haben, hatten schon jede Menge Rechte erworben, die ihnen Renten in Höhe von monatlich auch 6.000 Euro netto bringen. Weil das aber nicht mehr tragbar war, wurde jene unselige Lösung getroffen, die seit Wochen für Aufregung sorgt. Zwar bringt die Neuregelung tatsächlich eine Einsparung von 50 Millionen für die Region, aber die Vorschusszahlungen in Millionenhöhe haben der Bevölkerung erstmals so richtig vor Augen geführt, dass in Rentenfragen mit zweierlei Maß gemessen wird: hier jene, die nach 40 Jahren Arbeit eine recht schmale Rente kriegen, dort jene, die nach 15 Jahren ausgesorgt haben. Dabei tragen zumindest die einfachen Abgeordneten zwar eine moralische, aber keine juridische oder wirtschaftliche Verantwortung, und ihre einzige “reale” Sorge taucht nach Meinung vieler Menschen nur einmal alle fünf Jahre auf: die Wiederwahl.
So berechtigt die Entrüstung ist, so beängstigend gehässig ist die Kritik. Dabei sollten wir auch an die eigene Brust klopfen: In der Zeit, als es immer aufwärts ging, haben wir als Wähler immer den Kopf in den Sand gesteckt. Erst jetzt, wo wir Gefahr für unseren Wohlstand wittern, sehen wir die Hände aller politischen Farben in den öffentlichen Kassen, wo sie aber schon vor 30 Jahren steckten (die Rente von Silvius Magnago und Alfons Benedikter war im Verhältnis nicht magerer als es jene von Luis Durnwalder und Werner Frick ist!). Manche Kritiker schießen leider deutlich übers Ziel hinaus. Das gilt nicht nur für das, was den eben noch gehätschelten, beklatschten und mit Orden behängten Politikern an den Hals gewünscht wird (etwa: mahlen und den Gänsen zum Fraß vorwerfen!!), sondern insbesondere für die propagierten Lösungen. Man kann über Einzelfragen (etwa über die Rolle und Entlohnung der Landtagsabgeordneten) diskutieren. Aber es wäre fatal, unsere Politiker nur über das Gehalt zu definieren. Ein Hotelier stellt auch nicht den Koch ein, der es am billigsten macht, sondern einen, der es gut macht, auch wenn er kostet. Der Schaden, den unfähige Politiker anrichten, ist ungleich größer als die Kostenersparnis durch deren eventuell bescheidene Bezüge. Im Landtag tummelt sich schon zu viel Mittelmaß. Wir müssen Qualität wählen (statt jene, die uns von irgendeiner Organisation empfohlen werden). Wenn berechtigte Kritik an der Pensionsregelung in ein Kesseltreiben mündet, verlieren wir in der Politik die letzten Köpfe, die wir dort noch haben.
Das “kreuzigt sie” steht den vielen “Hosianna”-Rufern, zu denen diese Zeitung nie gehört hat, schlecht an. Wir sollten für angemessene (und in jedem Fall transparente) Entlohnungen eintreten – und dafür Leistung verlangen. Diese Forderung ist derzeit nicht populär, aber deshalb wohl trotzdem richtig.
Robert Weißensteiner ist Chefredakteur der SWZ.
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