Die Kampagne der SVP (Schweizerische Volkspartei) gegen die »Masseneinwanderung« war schiach. Das steht außer Frage. Zuwanderer wurden pauschal dämonisiert. Dies kommt vor allem in den bedrohlich gestalteten Plakaten zum Ausdruck, auf denen die Schweiz von einer militärisch anmutenden schwarzen Horde überrannt wird. Es wurden bewusst Ängste geschürt, dass die Schweiz unter die Räder kommen bzw. sprichwörtlich zertrampelt werden könnte.
Was die Kritiker des Ausgangs der Volksabstimmung jedoch nun veranstalten ist um keinen Deut besser. Wenn der SPD-Vize Ralf Stegner »Die spinnen, die Schweizer« twittert und Anne Will ihre Polit-Talkshow unter den Titel »Schweizer machen die Schotten dicht« stellt, dann ist das rhetorisch wie auch inhaltlich völlig daneben. Nicht einmal die SVP verlangt einen Einwanderungsstopp. Es ist von Quoten und nicht von »Schotten dicht« die Rede. An der Schweiz gäbe es fürwahr einiges zu kritisieren. Sei es der »Safe Haven«, den sie Steuerflüchtlingen und Despoten aus aller Welt bietet und sich an ihnen bereichert, ihre Rolle während der Nazi-Zeit oder auch das wirtschaftliche, ökologische uns soziale Gebaren so mancher Schweizer Weltkonzerne sind wahrlich keine Ruhmesblätter. Das Schweizer Wahlvolk nun aber pauschal als xenophobe Spinner abzutun und das Scheitern direkter Demokratie zu verkünden, ist Agitation der übelsten Sorte.
Die Motivation des Schweizer Wahlvolkes ist viel differenzierter, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Freilich spielt Xenophobie dabei auch eine Rolle, aber bestimmt nicht die alleinige. Interessanterweise richtet sich die »Xenophobie« in diesem Fall mehrheitlich nicht gegen Armutsmigranten aus Afrika oder Asien sondern gegen meist hochqualifizierte Zuwanderer aus dem EU-Raum.
Dazu ein paar Zahlen zum besseren Verständnis: Die Schweiz hat derzeit einen Ausländeranteil von 23,4 Prozent. Dazu hat die Schweiz in den vergangenen Jahren Zehntausende Einwanderer erster Generation eingebürgert. Der durchschnittliche Wanderungssaldo betrug in den letzten fünf Jahren je nach Quelle zwischen 68.000 und 80.000 Menschen. Das ist Nettozuwanderung wohlgemerkt. Würde man das auf Deutschland oder Südtirol umlegen, die beide derzeit einen ähnlich hohen Ausländeranteil (jeweils knapp unter 10 Prozent – der Anteil in der Schweiz ist also fast dreimal so hoch) haben, würde das folgendes bedeuten: Deutschland müsste jährlich eine Nettozuwanderung von rund 700.000 Menschen stemmen. Das entspricht der Einwohnerzahl von Frankfurt am Main, der fünftgrößten Stadt Deutschlands. Statistisch gesehen müsste Deutschland jährlich (!) eine solche Stadt bauen, um den Wohnungsbedarf der Zuwanderer zu decken. Der Wanderungssaldo liegt in Deutschland derzeit auf einem Rekordhoch, ist aber mit rund 300.000 Menschen immer noch weniger als halb so groß wie in der Schweiz. Die Situation in Südtirol ist ähnlich wie in Deutschland. Hierzulande müssten wir jährlich einen Ort in der Größe von Vahrn (4.300 Einwohner) bauen, wenn wir die Schweizer Zuwanderungsquote hätten. Tatsächlich liegt der Wanderungssaldo in Südtirol bei 1.400 Personen.
Langfristig gesehen und im Sinne einer nachhaltigen Umweltpolitik ist ein Wachstum, wie man es derzeit in der Schweiz vorfindet, unbedingt zu hinterfragen. Ein Alpenstaat mit sehr begrenztem Wohnraum ist ökologisch sensibler als andere Gebiete. Dennoch wächst die Schweiz trotz dreimal höheren Ausländeranteils derzeit in der beinahe dreifachen Geschwindigkeit von Deutschland oder Südtirol. Diese Umstände sollten die Kritiker aus eben diesen Ländern bedenken. Es könnte doch sein, dass die Schweizer auch ökologisch-infrastrukturelle Hintergedanken bei ihrer Entscheidung hatten und die wirtschaftlichen Folgen, die diese Abstimmung aufgrund der zu erwartenden »Verstimmung« innerhalb der EU eventuell mit sich bringt, weniger stark gewichteten.
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