von Sigmund Kripp, Mitglied des Grünen Rates
Als politischer Mensch, aber auch als Grüner in Südtirol fühle ich mich im Moment nicht wohl! Da wird eine Umfrage gemacht (sehr parteipolitisch zwar und als »Referendum« hochstilisiert), ob Südtirol über die Selbstbestimmung abstimmen soll. An sich eine für dieses Land mit seiner Geschichte selbstverständliche Frage. Selbst die größte und machthabende Partei SVP trägt diese Ikone ganz vorne in ihrem Parteiprogramm.
Aber dann, als über 60.000 Menschen mit abstimmen und davon 92% mit JA antworten, da soll dann diese Umfrage nichts wert sein? Dass die SVP vom Status quo profitiert hat und weiter profitiert (Macht, Sessel, Geld), und deshalb gegen die Anwendung der Selbstbestimmung ist, kann man nachvollziehen.
Dass aber auch meine Grünen so wild dagegen waren und sind, ist mir unverständlich und auch politisch unlogisch!
Die Grünen treten weltweit und speziell in Europa als die Partei der direkten Demokratie auf, unterstützen auch wo immer es geht Minderheiten bzw. indigene Völker, treten für die Schwachen ein und nicht für die Mächtigen, treten für das Regionale ein und nicht für das Globale, treten in der EU für die Stärkung der Regionen — also kleiner Regierungsbezirke — ein, setzen sich für das Wohl und die Sorgen der Menschen, und nicht für die Interessen der Großkonzerne ein.
Aber hier wird so getan, als würde ein zusätzlicher Staat in Europa der EU den Garaus machen, als würde Italien ohne Südtirol nicht leben können, als wäre es ein Sakrileg, über Grenzverschiebungen nachzudenken. Dabei haben wir allein in Europa in den letzten 25 Jahren eine ganze Reihe friedlicher (!) Grenzveränderungen gehabt, die meines Wissens von den Grünen durchaus unterstützt oder gut geheißen wurden: der Beitritt der DDR zu Deutschland, (der auch ein EU-Beitritt ohne Aufnahmeverfahren war!), die Trennung der Slowakei und Tschechiens, und die (unfriedlichen) Staatenbildungen auf dem Territorium von Ex-Jugoslawien und andere mehr.
Ich wundere mich, dass man zwar bei 18.000 Stimmen für die direkte Demokratie von einem »Riesenerfolg« spricht, dass die parteiinternen Vorwahlen von SVP (24.000 Stimmen) und auch Grünen (1.500 Stimmen) — bei weitaus weniger TeilnehmerInnen — ebenso als Erfolg vermeldet werden, dass aber die 61.000 Stimmen für die Umfrage als »nicht seriös« nicht ernst genommen werden!
Es wird dabei immer wieder darauf verwiesen, dass die Grenzen in Europa ja so unwichtig geworden sind und dass es daher keine neuen Grenzen brauche. Das kann ja wahr sein. Wahr ist aber auch, dass sehr wohl Verwaltungsgrenzen übrig geblieben sind und sich sogar verfestigen: Es ist sehr wohl ein Unterschied, ob ich einen Betrieb in einem Land wie Deutschland oder Österreich führen darf, oder es in einem Land wie Italien tun muss! Wenn politische Grenzen also schon so unwichtig sind, wie alle behaupten, dann kann man sie ja auch verschieben, oder?
Denn:
- Italien hat in über 65 Jahren nicht gelernt, Gesetze allgemein verständlich und einfach anwendbar zu formulieren.
- Italien hat in 65 Jahren nur unter Druck von außen etwas zum Minderheitenschutz getan.
- Italien ist ein zentralistischer, unflexibler und elitenregierter Staat geblieben, der es nicht geschafft hat, eine Organisation wie die Mafia auszuschalten.
- Italiens WählerInnen haben die Grünen aus dem Parlament gejagt; es gibt in Italien keine Grünen mehr! Das ist fast einmalig in Europa!
Und in diesem Land soll Südtirol für immer verdammt sein zu bleiben?
Nein!
- Wir sind als kleines Land, mit den Eckdaten von Luxemburg, sehr wohl in der Lage, uns selbst zu regieren und unsere Wirtschaft selbst aufrecht zu erhalten!
- Wir sind auch alle bereits jetzt EU-Bürgerinnen und wollen es auch bleiben: dass wir aus der EU fliegen würden, wenn es zur Sezession käme, ist eine nie bewiesene Theorie der Zentralstaatler: es gibt nämlich keinen Präzedenzfall!
- Wir könnten uns sehr wohl eine eigene, moderne, minderheitenfreundliche Verfassung geben und allen in Südtirol lebenden Menschen auch unsere neue Staatsbürgerschaft geben.
- Wir wären — wie andere Kleinstaaten — ohne Zweifel einer der Musterstaaten in der EU!
Ich wünsche mir von meinen Grünen, dass hier mit weniger Voreingenommenheit gedacht, gehandelt und gesprochen wird und dass es Südtirols BürgerInnen zugestanden wird, ergebnisoffen über diese Frage nachzudenken und im Falle auch abstimmen zu dürfen! Staaten sind von Menschen für Menschen gemacht und können ebenso von Menschen für Menschen umgestaltet oder sogar aufgelöst werden!
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