Verbindendes und Trennendes
Über die Politik der kleinen, undramatischen Schritte. Über frühere Propaganda, die heute immer noch unsere Köpfe beherrscht. Über nachbarliche Entfremdung, der jegliche Notwendigkeit fehlt. Über unbewusste Symbolik und ungenutzte Chancen.
von Benno Kusstatscher
Bevor ich mit ein paar wenigen Bildern zu all dem zum Nachdenken anregen möchte, noch mein Dank an Valentino Liberto, dem die Thematik so ähnlich auch schon durch den Kopf gegangen ist.
Lasst mich mit dem Titelbild, dem Istzustand beginnen: Kennt ihr das? Man fährt auf die Autobahn auf und muss sich entscheiden: Modena oder Brenner/o. Hilfe! Modena ist so weit weg von meinem Leben. Was soll ich dort? Und Brenner? Brenner ist für mich hauptsächlich eines: ein Hindernis! In welchem anderen, zivilisierten Land orientiert man sich an Hindernissen? Man beschildert doch “Umfahrung” und nicht “Straßenende”. Europäische Autobahnen verbinden in erster Linie europäische Städte und überbrücken Hindernisse nebenbei. Gibt es etwa ein fettes Schild zum Po, nur weil eine Brücke darüber führt? Ich schätze, nicht einmal die verwegensten Freistaatler würden sich auf des Freistaats “A1”-Autobahn ein Schild wünschen, das das Ende der Welt bei der Salurner Klause suggerieren würde.
In unserem sensiblen Land debattieren manche, was uns und Nordtirol denn verbindet. Klar die Brennerautobahn. Und was trennt uns? Genauso klar: der Brenner! Muss mich denn ständig irgendein deppertes Straßenschild daran erinnern, dass wir ein Brenner-behindertes Land sind? Ihr fragt Euch jetzt sicher alle, wer denn die Schilder aufstellt beziehungsweise, wer denn bei der A22 das Sagen hat. Sind es nicht diese Regionen- und Provinzenvertreter, die uns sonst gerne Euregio vorposaunen? Aha! Haben die noch das ganze propagandaverseuchte Zeug früherer Jahrzehnte im Schädel? Brennero. Und dahinter nichts! Finisterre! Höchstens ein unpersönliches “A” oder “D”, um die nördlichen Touristen wieder zuverlässig loszuwerden.
Also weg mit dem Brenner. Freie Fahrt nach Innsbruck! In den Köpfen meine ich. Wenn ich heimkehrend irgendwo bei Innsbruck das erste Mal “Bozen” ausgeschildert sehe, ihr wisst gar nicht, wie ich mich freue. Und umgekehrt, wollen wir den Innsbruckern, den Lienzern, den Landeckern etc diesen Liebesdienst verweigern? Vermutlich würden sich auch unsere Trentiner Nachbarn auf ein “Trento” mehr freuen als auf ein “Modena”.
Bleibt die Frage der Zwei-(Mehr-)sprachigkeit. Wenn ich vom italienischen Süden kommend nach “Bolzano” verwiesen werde, und vom deutschsprachigen Norden kommend nach “Bozen”, sollte dann unser Schild etwa zweisprachig sein? Ach was! Dieser letzte Punkt ist in meinem Leben nun wirklich nicht wichtig. Es würde höchstens meinem Bedürfnis nach Konsistenz schmeicheln und erinnert mich halt daran, dass man sich bei uns der Normalität nur ganz behutsam nähern darf.
Übrigens, zur Ehrenrettung der A22-Gesellschaft: Beim Staats- und Landesstraßennetz schaut es nicht besser aus und bei der Eisenbahn ebenso wenig. Als Steuerzahler wundere ich mich, dass es am Brenner noch eine Zughaltestelle gibt. Als Techniker weiß ich, dass das dort noch vorsintflutlich zelebrierte Lokomotivenwechselritual nur politisch bedingt sein kann. Und dennoch: in Südtirol hat eben selbst etwas überregional Verbindendes wie die Eisenbahn den lokal limitierten Freundeskreis. Dort enden die Routenpläne auch konsequenterweise am Brenner und bei Salurn. Nicht nur im sprichwörtlichen Sinne ist es da bahnbrechend, wenn sich Thomas Widmann wegen einer Direktverbindung zwischen Bozen und Innsbruck zelebrieren lässt. Ich könnte heulen, dass die Verbindung nicht zwischen Verona und München verkehrt und fühle, wie mein Prinzip der kleinen, moderaten Schritte zu Ungeduld führen kann.
Cëla enghe: 01
Dieser Beitrag wurde am 21.05.2013 bei Salto veröffentlicht und nun mit Zustimmung des Autors hier wiedergegeben.
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