Der katalanische Cercle d’Estudis Sobiranistes [siehe] hat im Herbst eine Studie zum Thema Unabhängigkeit veröffentlicht, deren Ergebnisse ich hier auszugsweise wiedergeben möchte:
Eine Reihe von Umfragen hat mit einer gewissen Übereinstimmung ergeben, dass sich derzeit, weitgehend unabhängig von der genauen Fragestellung (!), etwa 35% der Katalanen für die Unabhängigkeit von Spanien aussprechen, 45% dagegen und 20% unentschlossen sind. Die 21 (!) Erhebungen, auf die sich die Studie stützt, wurden von Zeitungen, Meinungsforschern, Universitäten und öffentlichen Instituten der katalanischen und spanischen Regierungen durchgeführt.
Davon ausgehend hat der Cercle seine Analyse entwickelt, mittels derer untersucht werden sollte, welche Bedeutung diese Daten im Falle eines Referendums tatsächlich haben könnten.
Von Unabhängigkeitsgegnern (oder »Unionisten«) wird gerne beteuert, der Wille zur Eigenstaatlichkeit sei minoritär, und im Falle einer Abstimmung eher noch weiter zum Sinken prädestiniert, da die Zukunftsangst und die Ungewissheit überwögen. Wenn dem tatsächlich so wäre, bleibt jedenfalls unverständlich, aus welchem Grund der Staat diesen Weg nicht beschreitet, wo er doch den Ruhm der Basisdemokratie und gleichzeitig den angeblich sicheren Erfolg einheimsen könnte.
Doch die Unabhängigkeit hätte heute in Katalonien realistische Chancen, ein Referendum zu gewinnen. Die Aussage mag ob der oben genannten Daten überraschen, stützt sich jedoch auf mehrere Vergleichsuntersuchungen.
Reine Meinungsumfragen (also keine Wahlabsichterklärungen) berücksichtigen nicht die Enthaltungsmöglichkeit, welche nicht mit Unentschlossenheit gleichsetzbar ist. Jene Umfragen, die sich nach Altersgruppen, Bildungsschichten oder Parteivorliebe aufschlüsseln lassen, zeigen zudem unmissverständlich, dass die Unabhängigkeitsgegner (in Katalonien) besonders in jenen Gruppen stärker vertreten sind, die viel deutlicher zur Enthaltung tendieren, als andere.
Dies legen auch Umfragen nahe, die vor anderen später geglückten Volksbefragungen durchgeführt wurden. So lag die Unterstützung für den Natobeitritt Spaniens im Vorfeld bei nur 33,4%, für die Europäische Verfassung bei 23,5% und für das neue katalanische Autonomiestatut bei 31,8%, und trotzdem konnten sich alle drei Vorlagen durchsetzen — weil die Gegner ebenfalls Wählergruppen angehörten, die zur Enthaltung tendieren.
Es lässt sich sogar allgemein beobachten, dass Gegner eines Vorhabens (zumindest in Katalonien) eher zur Enthaltung tendieren, als Befürworter. Die drei genannten Referenden sind zwar in der Wichtigkeit des Themas nicht mit der Loslösung von Spanien gleichzusetzen, doch alle waren sie von erheblicher Relevanz für die Bevölkerung.
Die Feststellung mag erstaunen, doch es gibt statistisch gesehen einen bestimmten Wähleranteil, der auch dann nicht zur Urne geht, wenn die Fragestellung ihre unmittelbaren Lebensumstände drastisch verändern kann. Diese Tendenz lässt sich weltweit feststellen, und hat selbst im Falle Montenegros (wo eine Zustimmung von 55% zur Erlangung der Unabhängigkeit gefordert war — ein Quorum, das von den Gegnern vergleichsweise leicht zu knacken gewesen wäre) nicht verhindert, dass sich 20% der Wahlberechtigten einer Aussage enthielten.
Das wohl erstaunlichste Ergebnis der Studie jedoch ist, dass die Zustimmung für die Sezession in allen untersuchten, konkreten Vergleichsfällen drastisch zugenommen hat, sobald eine Befragung im Raum stand. Es gilt als statistisch erwiesen, dass die Unabhängigkeit, wo sie auf demokratischem Wege geglückt ist, stets weit davon entfernt war, eine Bevölkerungsmehrheit anzusprechen, bevor sie konkret in Aussicht gestellt wurde. Erst als die Unabhängigkeit greifbar, legal möglich, und nicht (mehr) verboten, eversiv, utopisch erschien, nahm die Unterstützung für diese Option rasch zu.
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