Laut Tageszeitung Online hat Karl Zeller (SVP) auf den mit seiner Hilfe verschlimmbesserten freiheitlichen Verfassungsentwurf reagiert. Er sei zwar erfreut, dass einige der »eklatanten Fehler« der ersten Fassung behoben wurden. Allerdings hätten die Blauen das wichtigste Problem noch nicht gelöst: Obwohl er, Zeller, einen eigenen Staat befürworte, könne er dem Projekt nicht zustimmen, da Südtirol bei einer Loslösung von Italien aus der EU ausscheiden würde. Dies hätte laut Zeller jahrelange Beitrittsverhandlungen zur Folge, an deren Ende Südtirol möglicherweise finanziell ruiniert wäre.
Ob Zeller nur angibt, die Unabhängigkeit zu befürworten, um seinen Argumenten (nach dem Motto: »Es wäre ja wirklich schön, aber es geht leider wirklich nicht!«) besonderen Nachdruck zu verleihen oder ob er es wirklich ernst meint, sei dem Urteil des einzelnen überlassen. Hier sind jedenfalls einige Gegenargumente zu seinen Thesen:
- Ob Katalonien, Schottland oder Südtirol aus der EU fliegen würden, wenn sie sich von ihren jeweiligen »Mutterstaaten« lösen, ist selbst unter Völkerrechtlern äußerst umstritten. Und die Beweislast liegt nicht ausschließlich bei den Unabhängigkeitsbefürwortern.
- Selbstverständlich kann hierauf argumentiert werden, im Zweifelsfall sollte man besser bei Altbewährtem bleiben: Doch erstens gibt es auch für den Fortbestand Italiens bzw. der Autonomie keine Garantie und zweitens haben menschgemachte Entwicklungen (einschließlich der europäischen Einigung selbst) nie durch Festhalten an Altbewährtem, sondern durch Ausloten neuer Möglichkeiten stattgefunden. Es gilt also in jedem Fall abzuwägen und ggf. auch Risiken einzugehen, wenn sie von der Güte des möglichen Ziels gerechtfertigt werden. Die Entscheidung hierüber liegt beim Volk.
- Den Präzedenzfall werden möglicherweise gar nicht wir Südtiroler, sondern andere Regionen proben, falls sich die dortigen Bürger für die Unabhängigkeit entscheiden.
- Gewisse Entwicklungen gewinnen erst durch »Aktion« an Dynamik: Seit Schottland und Katalonien ganz konkret Schritte in Richtung Unabhängigkeit setzen, suchen auch Rechtsexperten nach Wegen und Lösungen. Unter diesem Gesichtspunkt sind Stillhalten und Abwarten die falsche Strategie.
- Falls es tatsächlich zu einem vorübergehenden Ausscheiden aus der EU kommen sollte, werden im Falle Südtirols sowohl Italien, als auch die Union als Ganzes großes Interesse an einem raschen Wiedereintritt haben, da sonst der Brennerpass als wichtigste alpenquerende Verbindungsstrecke außerhalb der EU läge.
- In keinem Fall müsste Südtirol hierbei auf den Euro verzichten.
- Langjährige Beitrittsverhandlungen, wie von Zeller in Aussicht gestellt, sind Unsinn (und pure Angstmacherei): Solche Verhandlungen haben vor allem die rechtliche und wirtschaftliche Harmonisierung zum Ziel. Da Südtirol schon seit Jahrzehnten zur EU gehört und sämtliche Kriterien erfüllt, gibt es auch kaum zusätzlichen Harmonisierungsbedarf.
- Eine reine Verzögerungstaktik zum Zwecke der »Bestrafung« wäre nicht nur gegen die Prinzipien und die Interessen der Union, sondern auch missbräuchlich.
- Grenzbalken müsste Südtirol, anders als von Zeller behauptet, auch keine aufstellen. Jeder Staat kann selbst über seine Einreise- und Zollbestimmungen befinden und Südtirol hat bestimmt kein Interesse an irgendwelchen Schranken zur EU.
- Selbst wenn Südtirol, was weder wünschenswert noch zu erwarten ist, längere Zeit außerhalb der EU (aber nicht außerhalb des Euroraumes) bliebe, erschließt sich nicht, warum uns das in den Ruin treiben sollte — während der Verbleib bei Italien, dessen Staatsverschuldung im letzten (Spar-)Jahr wieder drastisch angestiegen ist, als Sicherung unseres Fortbestandes dargestellt wird. Es gibt genügend (auch europäische) Staaten, die ohne EU-Mitgliedschaft überleben, obwohl deren Wirtschaft mitunter deutlich schwächer ist, als jene in Südtirol.
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