In der Sonntagszeitung Zett war am 17.02.2013 ein interessantes Gespräch mit dem Kommunikationsexperten und Rhetoriktrainer Bernhard Ahammer erschienen, das ich hier mit freundlicher Genehmigung der Zett-Redaktion in vollem Umfang wiedergebe:
Mehr Mut zum eigenen Dialekt
Herr Ahammer, Sie sind Rhetoriktrainer und halten Ihre Seminare im deutschsprachigen Raum – auch in Südtirol. Was ist das Besondere an den Südtirolern und Ihrer Sprache?
Bernhard Ahammer: Die meisten Südtiroler sind in ihrer Sprache verunsichert – und zwar in dreifacher Hinsicht. Wenn sie ihren Dialekt sprechen, glauben sie, Nicht-Südtiroler verstehen sie nicht. Im Hochdeutschen fühlen sie sich unsicher, weil sie glauben, sie sprechen nicht korrekt. Daraus ergibt sich die Hauptverunsicherung, nämlich, dass viele nicht genau wissen, wann sie Dialekt sprechen sollen und wann Hochdeutsch. Hinzu kommt, dass viele auch das Gefühl haben, ihr italienisch [sic] sei nicht gut genug.
Wie merken Sie diese Unsicherheit?
Einige Südtiroler wechseln im Gespräch mit Deutschen oder Österreichern sofort ins Hochdeutsche, weil sie an ihrer Verständlichkeit zweifeln. Meiner Meinung nach oft völlig zu Unrecht: Ein Nordtiroler oder Bayer tut das nicht, obwohl sein Dialekt mindestens genauso ausgeprägt ist. Es gibt hier eine überzogene Anpassung an das Gegenüber. Dieser Wesenszug zeigt sich auch darin, dass in einer Gruppe mit einer einzigen italienisch sprechenden Person oft alle anderen ins Italienische wechseln. Ein Vorarlberger hingegen haut dem anderen seinen Dialekt um die Ohren, obwohl man ihn häufig wirklich sehr schwer versteht.
Auch bei Vorträgen vor eigenem Publikum zwingen sich viele ins Hochdeutsche. Ich denke, dass sich der durchschnittliche Südtiroler genauso gut auf Hochdeutsch ausdrücken kann wie z.B. ein Nordtiroler. Mit dem feinen Unterschied allerdings, dass der Südtiroler sich dabei unsicher fühlt und auch so wirkt.
Woher kommt das?
Einerseits hat es sicherlich mit der Einbettung der Südtiroler in eine italienisch sprechende Gemeinschaft zu tun. Ein weiterer Faktor ist aber auch, dass Südtiroler mit ihren eigenen Leuten oft zu hart ins Gericht gehen. Als Dominik Paris in Kitzbühel gewonnen hat, haben ihn viele wegen seiner Sprache im Interview kritisiert. Ich habe mir gedacht: Warum gibt es nicht mehr Anerkennung für die sportliche Leistung? Er ist ein Skifahrer und kein Politiker.
Gibt es Grundregeln, wann man Dialekt sprechen kann?
Das ist natürlich immer eine Frage der Situation. Aber es gibt Richtlinien für Vorträge. Man unterscheidet zwischen Publikum von Bekannten der eigenen Sprachgruppe, Unbekannten der eigenen Sprachgruppe und außerhalb der eigenen Sprachgruppe. Spreche ich vor mir bekannten Menschen meiner Sprachgruppe, z.B. im Verein, vor meinen Mitarbeitern, bei einer Geburtstagsfeier, ist Dialekt angebracht. Damit wirkt eine Rede echter, persönlicher und natürlicher. Hochdeutsch empfehlen wir Südtirolern nur bei sehr formellen Anlässen, großen Menschenmengen – mehr als 100 Personen – und natürlich vor bundesdeutschem Publikum.
Das Schwierigste ist für Südtiroler oft das Sprechen vor unbekannten Menschen der eigenen Sprachgruppe. Dort ist ein gemäßigter Dialekt das Wirkungsvollste.
Was verstehen Sie unter “gemäßigtem Dialekt”?
Verzichten Sie auf die Mitvergangenheit. Südtiroler sprechen im Alltag in der Vergangenheitsform: “Ich bin zu dem Kunden gefahren und habe den Auftrag gemacht.” Wenn Sie die Mitvergangenheit verwenden, entfernen Sie sich von Ihrer natürlichen Sprache und verlieren an Echtheit: “Ich fuhr zum Kunden und machte den Auftrag.” Verzichten Sie auch auf typisch deutsche und in Südtirol ungebräuchliche Wörter wie “Tüte”, “Brötchen” oder “hochfahren”.
Verzichten Sie aber auch auf “Hardcore”- Dialekt in Form von Südtiroler Ausdrücken wie “sell”, “sem” oder “ingaling”. Sie sind zu privat und Sie wirken daher weniger kompetent. Auch die Vergewaltigung der Grammatik sollten Sie vermeiden, wie das verbreitete Wortpaar “… de wos …”
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