Aus dem gestern veröffentlichen TAZ-Gespräch mit Florian Kronbichler und Pius Leitner:
Leitner: […] [Ich] finde es fast schon infam, wenn man uns vorwirft, dass wir kein Programm hätten. Denn — im Gegenteil zu Florian Kronbichler — haben wir sehr wohl eines.
Kronbichler: Falsch! Ich bin nur so bescheiden, sagen zu können, dass ich fast alle Programme unterschreiben könnte — mit Ausnahme des Freistaats von Pius Leitner.
- Eine erstaunliche Aussage: Ein Politiker, der fast alle Programme unterschreiben könnte. Wofür steht er dann?
- Und: Kann er nur Leitners Freistaat nicht unterschreiben (die anderen Punkte seines Programmes aber schon, zum Beispiel die Fremdenfeindlichkeit) oder kann er das gesamte blaue Programm nicht unterschreiben (fast alle anderen aber schon, zum Beispiel jenes von Fratelli d’Italia, PDL, CasaPound, AAnC, 5SB…)?
Herr Kronbichler, im Gegensatz zu den Freiheitlichen haben Sie eine reelle Chance, den Einzug ins Parlament zu schaffen — weil die Grünen ein Bündnis mit der SEL geschlossen hat (sic). Brauchen Südtirols Parteien nationale Bündnispartner?
Kronbichler: Ich bin ein begeisterter Befürworter solcher Bündnisse. Das heißt nicht, dass ich das aktuelle Wahlgesetz für gut befinde: Es ist eine demokratische Schweinerei. Die Wähler wollen aber Angebote mit Chancen. Du bist ein kluger Mann, Pius. Wenn Macht Kontrolle braucht, müsstest ihr die Leute jetzt aufrufen, mich zu wählen. Denn so verschieden bin ich nicht.
- Wessen Macht will Kronbichler im Parlament kontrollieren? Die der SVP wird mit 0 bis 3 Abgeordneten ja nicht besonders groß sein.
- Wieso ist Kronbichler, der vor einiger Zeit schon ein Bündnis mit Karl Zeller verteufelt hatte (mit dem er jetzt in einer Koalition sitzt), plötzlich nicht so verschieden von Pius Leitner? Ideologisch? Oder weil er zwischen einem begeisterten Befürworter nationaler Bündnisse und einem Unabhängigkeitsbefürworter keinen Unterschied erkennen kann?
- Nach derselben Logik müssten die Grünen in den Senatswahlkreisen Brixen und Meran übrigens empfehlen, die Freiheitlichen zu wählen.
Leitner: […] Nur weil wir eine Minderheit sind, haben wir die Autonomie bekommen.
Kronbichler: Das ist das typische Tiroler Mir-san-Mir-Denken. Deshalb halte ich auch den Freistaat-Gedanken für gefährlich: Ihr glaubt, ohne Verbündete und allein auf Gott vertrauend ginge es auch, rennt dabei aber selbst ins Verderben. Ihr gefährdet durch das Bessere das Gute. Wir sind eine verwöhnte, stinkreiche Provinz. Nirgends in Europa würden wir für diese Flausen Verbündete finden.
Leitner: Bitte, immer diese Untergangsstimmung! Der Freitstaat ist ein Friedensprojekt aller drei Sprachgruppen, und er kann nicht gegen den Willen der Italiener verwirklicht werden. Wir leben in einer Demokratie: Wenn eine Mehrheit sagt, wir sollten bei Italien bleiben, dann werde ich mich diesem Wunsch beugen.
- Nur schlechte Eigenschaften sind bei Vertretern der vermeintlichen Intelligenzija Tiroler Eigenschaften. Das hat System. Sonst sind wir — bestenfalls — Südtiroler.
- Warum sollte ein unabhängiger Staat ohne Verbündete dastehen? Das tut kein Staat der Welt.
- Dass wir (angeblich) stinkreich sind, ist ein Gegenargument zur Unabhängigkeit? Interessant: In Katalonien ist das Gegenteil — nämlich die (angebliche) Zahlungsunfähigkeit — ein Gegenargument der Unionisten. Muss man also zugleich arm und reich sein, also die Quadratur des Kreises schaffen, um die Kriterien für die Eigenstaatlichkeit zu erfüllen?
Ist es nicht widersprüchlich, ins Parlament jenes Landes einziehen zu wollen, von dem man eigentlich die Loslösung fordert?
Leitner: Wir müssen dafür mit Italien und Österreich reden. Mir geht es nicht um größeren Reichtum, sondern um mehr Eigenverantwortung. […]
Diese Frage, die man immer wieder vernimmt (zum Beispiel bei den Wahldiskussionen im Rai Sender Bozen), ist nun wirklich eine Beleidigung der Intelligenz. Wo sollen denn die Freiheitlichen sonst kandidieren? Zum nicht existierenden Parlament des unabhängigen Südtirol? Und die Süd-Tiroler Freiheit wohl zum österreichischen Nationalrat! In ganz Europa kandidieren Sezessionisten für die staatlichen Parlamente, so die Basken, Katalanen und Schotten, aber auch die Korsen und Sarden. Es ist gut, wenn der Unabhängigkeitswille in den Parlamenten (und nicht nur außerhalb) vertreten wird. Was aber nicht heißt, dass ich mir eine blaue Vertretung in Rom wünsche.
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