Auf Anregung der Kommentatorin Ida habe ich mir dieses Video von Francesco Palermo, gemeinsamer Senatskandidat von SVP und PD, angesehen, in dem es unter anderem um die Eigenstaatlichkeit geht:
Zunächst muss anerkannt werden, dass Palermo diesem Thema unaufgeregter begegnet, als manch ein Berufspolitiker. Andererseits möchte er das Problem wohl von der politischen auf die kühlere Ebene der Wissenschaftlichkeit verschieben, um ihm die Aura des Wahren und Unanfechtbaren zu verleihen.
Im Einzelnen:
- Nicht nur Rom würde sich gegen Südtirols Unabhängigkeit wehren, sondern auch und viel mehr Wien, Brüssel und viele andere europäische Hauptstädte.
Hier legt Palermo Österreich und anderen europäischen Ländern ein Verhalten in den Mund bzw. »in den Kopf«, das man nicht vorhersehen kann. Was etwa sollte Wien dagegen haben, wenn sich Südtirol friedlich und demokratisch von Italien löst? Es kann natürlich sein, dass viele europäische Staaten keine Freude mit einem solchen Prozess hätten — sein kann aber auch das genaue Gegenteil. Und das wird auch wesentlich davon abhängen, wie man diese Entwicklung angeht, verhandelt und kommuniziert. - Für Europa ist es natürlich wichtig, dass die Grenzen auch behalten werden.
Warum dies »natürlich wichtig« sein soll, ist unverständlich. Vor allem wenn man bedenkt, dass die Palermo unterstützende SVP stets das genaue Gegenteil behauptet: Man könne keinen neuen Staat schaffen, da Europa die Grenzen abschaffen wolle. - Laut den Verträgen ist es ziemlich klar so, dass ein neues Land die Mitgliedschaft beantragen muss. Wer würde dann einer Südtiroler Mitgliedschaft zustimmen?
So klar ist das gar nicht, denn die Verträge sehen den Fall einer internen Erweiterung gar nicht vor — machen also weder eine positive, noch eine negative Aussage dazu. Die Auffassungen von Völkerrechtlern zu diesem Thema sind widersprüchlich, Gewissheit hätte man also wohl erst, wenn es zum Erweiterungsfall — zur Unabhängigkeit Schottlands, Kataloniens oder eben Südtirols — käme.
Sobald Südtirol unabhängig wäre, hätte Italien jedenfalls großes Interesse daran, dass das Land in der EU bleibt, da sonst die wichtigsten Verkehrswege nach Deutschland und in den Norden (Gotthardpass, Brenner) über Drittländer führen würden. - Südtirol wäre als unabhängiges Land nicht automatisch im Euro.
Diese Aussage ist sogar nachweislich falsch: Südtirol wäre vielleicht nicht (von vornherein) Mitglied der Eurogruppe, könnte aber sehr wohl den Euro als Währung behalten. Auch Andorra, Montenegro, Kosovo, Monaco, San Marino und der Vatikan verwenden den Euro als amtliches Zahlungsmittel, ohne Mitglied der EU oder gar der Eurogruppe zu sein. Das heißt, sie haben kein direktes Mitspracherecht in der Währungspolitik. Die Einflussnahme Südtirols auf die EZB hält sich aber ohnehin in Grenzen — als Teil Italiens oder als eigenständiges Eurogruppenmitglied.* - Es stimmt nicht, dass Südtirol dann nicht mehr die Schulden Italiens mittragen müsste.
Hier hat Palermo absolut Recht. Südtirol müsste einen angemessenen Anteil an Italiens Staatsverschuldung »mitnehmen«. hat übrigens niemals das Gegenteil behauptet. Allerdings haben wir diese Schulden auch, wenn wir bei Italien bleiben. Der Unterschied ist, dass wir als unabhängiges Land selbst entscheiden könnten, wie und innerhalb welchen zeitlichen Rahmens es uns sinnvoll erscheint, die mitgenommenen Schulden zu senken oder (wenn möglich) abzutragen. Heute haben wir darauf keinerlei Einfluss und müssen trotz erhöhter Steuerlast sogar zusehen, wie »unser« Schuldenberg kontinuierlich ansteigt. - Als Projekt ist die Unabhängigkeit durchaus vertretbar, machbar ist sie aber sicherlich nicht, mindestens nicht in den kommenden Jahren.
Das ist eher eine astrologische, denn eine wissenschaftliche Prognose. Der Realismus und die Durchführbarkeit sind in der Politik kaum vorhersehbar. Und: Wenn man den Prozess nicht irgendwann beginnt, wird die Eigenstaatlichkeit auch in mehreren Jahren ziemlich sicher nicht kommen. Denn was man nicht verfolgt, tritt wohl kaum von selbst ein.
*) Diese Antwort wurde von Harald Knoflach verfasst.
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