Deutsch und Italienisch seien in Südtirol gleichgestellte Sprachen, steht im Autonomiestatut (Art. 99), welches im Fall zweinamiger Wanderschilder penibel eingehalten wird. Über die Wanderschilder hinaus wird das Ganze freilich »etwas weniger ernst« genommen. Vor einigen Jahren hatte ich Deutsch in Südtirol eine Fassadensprache genannt, eine Sandkastensprache für ein paar autoctoni del nord, die aber keinen »Tiefgang« habe. Seitdem hat sich dies nicht nur auf eklatante Weise bestätigt, interessant ist auch der Umgang der SVP mit diesem für sie wohl sekundären Merkmal unserer (Achtung, keine Ironie!) Vorzeigeautonomie:
- Als ich im Jahr 2009 den LH anschrieb, um mich zu erkundigen, warum etwa die Staatspolizei und die Finanzwache auf ihren Uniformen — und zweitere auch auf ihren Fahrzeugen — keine zweisprachigen Aufschriften führten, bekam ich prompt die Antwort, dass dadurch mein Recht auf Muttersprache nicht verletzt werde.
Wäre spannend, zu sehen, was passiert, wenn die Gemeindepolizeien ihre Fahrzeuge nur auf Deutsch beschriften würden. - Auch im Konsumentenschutz ist die deutsche Sprache nicht gleichgestellt. Im Grunde ist es in Südtirol völlig wurscht, ob etwa Produkte auch auf Deutsch etikettiert sind. Hauptsache, die italienische Etikettierung ist da. Fehlt sie, muss manuell nachetikettiert werden, anderenfalls drohen saftige Strafen. Das nennt das Autonomiestatut »Gleichstellung«.
Seit es gibt, versuche ich, mich für eine Änderung dieser Situation einzusetzen. Die zuständige Landesrätin Kasslatter Mur sieht aber wohl keinen Handlungsbedarf. Europaparlamentarier Herbert Dorfmann nannte die Forderung nach Zweisprachigkeit auf diesem Gebiet (wie es sie in vielen EU-Ländern bereits gibt) sogar im Widerspruch zum europäischen Geist. Ist der Verzicht auf die eigene Sprache europäischer Geist? - Neulich geht die geballte Staatsmacht sogar gegen Gesellschaftsspiele (Monopoly!) in deutscher Sprache vor, die keine italienische Spielanleitung haben. In einem mehrheitlich deutschsprachigen Land, wo Deutsch gleichgestellt ist, ist das eine sehr sinnvolle Vorgehensweise. Gemeldet hat diese Hexenjagd nicht irgendwer, sondern die Handelskammer in Bozen — mit der Bitte an den Landtag, gesetzgeberisch tätig zu werden. Die SVP sah sich dadurch bislang veranlasst… nichts zu tun und sich weiterhin vor allem um Parteiinterna zu kümmern.
- Auf dem Gebiet der Medikamente gäbe es sogar einschlägige Gesetze, die den Pharmakonzernen zweisprachige Packungsbeilagen vorschreiben. Sie wurden jedoch nie zur Einhaltung gebracht. Stattdessen preist auch die SVP die großartige Errungenschaft, dass Apotheken Übersetzungen der Gebrauchsinformationen auf Nachfrage ausdrucken. Auch das ist keine Gleichberechtigung, wie es sie etwa in Finnland und der Schweiz gibt. Ausdrucken kann ein Apotheker in Berlin vielleicht sogar eine türkische Packungsbeilage.
- Im Bereich der Gesetzgebung ist Deutsch ebenfalls eine reine Fassadensprache. Anders als in der Schweiz, wo jede der drei Sprachfassungen eines Bundesgesetzes zur Interpretation herangezogen werden kann, sind in Südtirol sogar auf Deutsch ersonnene, geschriebene und verabschiedete Landesgesetze nur in ihrem italienischen Wortlaut bindend. Damit kann mitunter einer Übersetzerin im Landtag — die die Vorlagen vom Deutschen ins Italienische überträgt — mehr interpretatorischer Spielraum zukommen, als der Gesetzgeberin selbst. Ein internationaler Sonderfall. Die SVP hat dem Vernehmen nach nie etwas an dieser Ungleichbehandlung der Sprachen auszusetzen gehabt.
- Bei der Integration von Zugewanderten, einem der sensibelsten Bereiche für die künftige Entwicklung und Ausrichtung unserer Gesellschaft, hat der Staat die ausschließliche Durchführung von Italienischtests — auch in Südtirol — durchgesetzt. Deutsch existiert in dieser Hinsicht gar nicht. Schlussendlich musste das die SVP schlucken, doch sie rühmt den völlig unzureichenden Umstand, dass die neuen Südtirolerinnen (vielleicht besser: die neuen Italienerinnen?) durch freiwillige Deutschkurse ein paar Zusatzpunkte auf ihrem Integrationskonto ergattern können. Wie sehr die SVP dieses Thema unterschätzt, zeigt die Tatsache, dass es im »bahnbrechenden« Abkommen mit dem PD nicht einmal enthalten ist.
- Jüngst hat das Kassationsgericht sogar entschieden, dass Prozesse in deutscher Sprache nur Autochthonen zustehen. Die Gerichtsbarkeit ist in Südtirol für Ausländerinnen, selbst wenn aus der EU kommend, ausschließlich italienisch. Es ist kein Unterschied, ob eine Österreicherin in Palermo oder in Bozen klagt. Zwar bellte Karl Zeller dagegen — doch auch dieses Thema ist nicht im Koalitionsabkommen mit dem PD enthalten.
- All dies vorausgeschickt, scheint es nur konsequent, wie LH Durnwalder jetzt auf eine Anfrage von Sven Knoll geantwortet hat: Dieser erkundigte sich im Landtag, wie es sein könne, dass die Polizei den Bürgern ganz offen empfehle, ihre Anzeigen auf Italienisch zu machen, da sonst nur in Südtirol nach dem gestohlenen Gegenstand oder dem vermissten Angehörigen gesucht werde, und nicht auf Staatsebene (bzw. international). Durnwalders Reaktion: Ist doch normal, Südtirol sei schließlich an Italien angegliedert worden und nicht umgekehrt. Ein Gedicht. Das dürfen wir uns also unter der im Statut verkündeten Gleichstellung vorstellen.
Wer hier keinen Handlungsbedarf sieht, darf sich nicht wundern, dass die Mehrsprachigkeit unserer Gesellschaft von vielen nicht als Nutzen, sondern als stetige Entwicklung in Richtung vorherrschender lingua franca, der Nationalsprache, empfunden wird. Das ist auch der Grund, warum wir eine Abschaffung der letzten, wenngleich anachronistischen Schutzmechanismen innerhalb des heutigen, nationalstaatlichen Rahmens — wie sie etwa manche Grüne fordern, aber wie sie eben auch die SVP tatenlos duldet — als kulturellen Selbstmord einstufen müssen.
Wer gesellschaftlichen Zusammenhalt mittelfristig nicht im Einklang mit, sondern auf Kosten der Mehrsprachigkeit verfolgt, vertritt eine durchaus legitime Position. Er/sie soll den Wählerinnen jedoch reinen Wein einschenken und nicht Engagement für kulturelle Vielfalt vortäuschen.
Cëla enghe: 01
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