Als ich neulich festgestellt habe, dass ich nicht der einzige bin, der den Kommentar von Robert Menasse in sein Blog gestellt hat, hat mich dies zunächst gefreut. Andererseits hat es mich erstaunt: Vielfach wurde der Text von Leuten übernommen, denen Menasse schonungslos den Spiegel vorhält — anscheinend ohne, dass sie es selbst gemerkt hätten.
Dazu noch einmal einen Auszug aus Menasses Kommentar:
Ihr zweiter Fehler war, nicht den Unterschied zwischen Kritik und der Konsequenz, die man daraus zieht, zu begreifen. Vieles, das Haider brachial kritisierte, war tatsächlich kritikwürdig. Keiner kann politisch Erfolg haben, der nicht die Themen anspricht, die die Menschen bewegen, der nicht gegen eine Situation ankämpft oder anzukämpfen scheint, unter der viele leiden oder die ihnen zumindest auf die Nerven geht. Die Frage, die den Unterschied zwischen Parteien ausmacht, ist doch, welche Konsequenzen man aus der Kritik zieht, welche Lösungsvorschläge man hat.
Haiders Talent bestand darin, vieles zu Recht in Frage zu stellen, und dann glaubwürdig zu sein, auch wenn er falsche Antworten gab. Aber es wurde für alle, die Haiders Gesinnung ablehnten, zur Selbstverständlichkeit, zum Automatismus, schon seine Kritik zu kritisieren und zurückzuweisen, so als erwiese sich Antifaschismus bereits darin, verbissen zu verteidigen, was ein Faschist kritisiert, statt selbst vernünftigere Lösungsvorschläge anzubieten. Jahrzehntelang hatte die linke Intelligenz zum Beispiel die österreichische Nebenregierung durch die Sozialpartner kritisiert, als jedoch Jörg Haider die Sozialpartnerschaft frontal angriff, begannen die Linksintellektuellen sie reflexhaft zu verteidigen.
Das produzierte Schizophrenien, in denen sachliche Diskussionen nicht mehr möglich waren. Haider bekam Zulauf, weil er kritisierte, was viele kritisierten, seine Gegner verloren Zustimmung, weil sie zum Teil wider besseres Wissen eben dies verteidigten. Hätte Haider gesagt, dass zwei Mal zwei vier ist, die Antifaschisten hätten eine neue Mathematik begründet. Hätte er den Kampf gegen den Klimawandel zur Koalitionsbedingung erklärt, die Grünen hätten Braunkohlekraftwerke gefordert.
Genau diesen Fehler haben in Südtirol — nicht erst seit gestern — die linken, die sozialdemokratischen, die ökosozialen Kräfte in großem Stil begangen. Im Grunde seit kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs haben die Linken in Südtirol enorme Berührungsängste mit Themen, die anderswo ganz selbstverständlich zur linken Sphäre gehören. Das ist in erster Linie (aber nicht nur) die Selbstbestimmung. Mit diesem Thema lassen sich hierzulande die Linken von den Rechten vor sich hertreiben, obwohl es eine urlinke und urdemokratische Forderung ist, dass die Bevölkerung frei über ihren Status und den institutionellen Rahmen bestimmen soll. So üben sich Linke und Grüne und wie sie sonst noch alle heißen und hießen in Verrenkungen, um zu erklären, warum gerade sie für die Basisdemokratie, aber gegen die basisdemokratischste aller Abstimmungen sind, und warum gerade sie für die individuelle, aber im gleichen Atemzug gegen die kollektive Selbstbestimmung sind — wo doch das Kollektive zu den historischen Kerninteressen der Linken gehört.
Wenn in Südtirol (einschließlich der Italiener) immer mehr Leute angeben, die Loslösung von Italien zu befürworten, und noch mehr Bürger sich zumindest für eine Abstimmung zu diesem Thema aussprechen, dann wird sich die kategorische und aprioristische Weigerungshaltung von Linken und Grünen auch immer mehr in den Wahlergebnissen niederschlagen. Die Herausforderung, die Fragen von den Antworten zu unterscheiden — und für die Frage von Eva Klotz (und immerhin einem großen Teil der Bevölkerung) drastisch bessere, überzeugendere Antworten anzubieten, als die Rechten — diese Herausforderung nehmen zum Beispiel die Grünen nicht an.
Wie hingegen in der gestrigen »Elefantenrunde« im Rai Sender Bozen sehr deutlich zum Ausdruck gekommen ist, haben etwa die Grünen einen Profilverlust hinnehmen müssen, weil die rechten Parteien umgekehrt keine Angst haben, deren ureigenste Themen mitzubesetzen. Niemand muss heute grün wählen, um den Brennerbasistunnel, den Flugplatz oder neue Skipisten zu verhindern, wenn auch andere Parteien diese Themen im Angebot haben. Der Unterschied könnte in der Antwort liegen.
Das Problem der »linken Hälfte« ist aber freilich nicht auf die Selbstbestimmung beschränkt. Die [öko]sozial[demokratisch]en Parteien schaffen es derzeit nicht einmal, ernsthaft und glaubwürdig für die Autonomie dieses Landes einzustehen. Man kann wohl von einer übertriebenen Gelassenheit vor dem ungebremsten Um- und Abbau wichtiger Säulen unserer Autonomie sprechen, die auf der anderen Seite nicht von einem entschiedenen Einsatz für die Selbstverwaltung kompensiert wird. Niemand verlangt, dass man blind an sämtlichen Mechanismen des Autonomiestatuts festhält, doch wenn etwas verändert werden soll, dann muss dies mit Umsicht geschehen, und das lassen diese Parteien leider vermissen. Der Wähler aber wünscht es.
Die Antwort von Markus Lobis auf meine ernstgemeinte Analyse zur mehrsprachigen Schule etwa, in der er über feine Differenzierungen (nicht etwa pauschale Ablehnung) einfach hinwegsieht, um mit bequemer Voreingenommenheit von Rückzug in den Sprachromantizismus zu schwafeln, ist ein Paradebeispiel für diese Haltung. Darin liegt begründet, warum sich die große Bereitschaft der Südtiroler, mehrsprachige Schulen einzuführen (laut jüngster ff-Umfrage rund 80%) nicht in Wählerstimmen für die »Interethnischen« umsetzen lassen.
Und dass die Linken und Grünen auch bei sozialen Themen nicht mehr die ersten Ansprechpartner sind, wird deutlich, wenn gerade in der Wirtschaftskrise Wähler in Massen von den Grünen und den Arbeitnehmern nach rechts abgewandert sind.
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