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Napolitano — bahnbrechende Rede.

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Als Gast im Kursaal konnte ich letzte Woche der Rede des italienischen Staatspräsidenten Napolitano beiwohnen, die er anlässlich der Verleihung des Südtiroler Verdienstordens hielt.

Zugegeben, meine Erwartungen waren gering. Einige nette Worte für Südtirols Autonomie, die wenige Tage später schon wieder vergessen sind, vielleicht auch einige Grußworte in den zwei Landessprachen Deutsch und Ladinisch konnte man sich durchaus erwarten, aber eben nicht mehr.

Die Rede Napolitanos übertraf dann nicht nur die Erwartungen, sie kann als bahnbrechend bezeichnet werden und sollte die gesamte Südtirolpolitik, ja vielleicht sogar Europapolitik in ein neues Zeitalter katapultieren.

Nach einem kurzen historischen Rückblick und einem Lob für alle BaumeisterInnen der Südtiroler Autonomie, die seinerzeit eine unkontrollierte Dynamik verhindern konnten, schien der Staatspräsident vom vorgefertigten Manuskript abzuweichen, ja die Rede schien er nun völlig frei zu halten.

Europa vergesse im tagtäglichen Kampf um die gemeinsame Währung zusehends seine Wurzeln. Europa sei nie nur als Wirtschaftsunion konzipiert gewesen. Die historische Erfahrung war das Unheil, das der ausufernde Nationalismus in zwei Weltkriegen über den gesamten Kontinent gebracht hatte. Daraus wollte man lernen und die Kooperation zwischen den Ländern derart verzahnen, dass nationale Alleingänge verunmöglicht werden.

Letzthin ist leider wieder eine Renaissance des Nationalstaates zu beobachten und die Rhetorik zwischen den einzelnen Mitgliedsländern wird rauer. Zudem werden mittlerweile allzu viele Entscheidungen in einem “postdemokratischen” Raum getroffen, wo sie von keinem demokratisch gewählten Parlament im klassischen Sinne legitimiert sind.

Europa habe deshalb eine demokratische Reform notwendig. Das Parlament müsse der eigentliche Souverän sein und der europäische Rat, der von Vertretern nationaler Regierungen zusammengesetzt wird, von einer europäischen Regierung ersetzt werden, die vom europäischen Parlament gewählt wird.

Neben dieser demokratischen Reform müsse sich der Kontinent auch von den traditionellen Nationalstaaten emanzipieren. Die eigentliche Seele Europas liege in den Regionen. In diesem Sinne komme auch der Region Südtirol bei der Entwicklung Europas eine Schlüsselrolle zu. Italien habe hier in der Vergangenheit häufig gebremst, aber mittlerweile habe diese großartige Kulturnation, die wiederum aus unterschiedlichen, faszinierenden Regionen bestehe, die Größe, den SüdtirolerInnen ihre Wünsche nach einer weitgehenden Unabhängigkeit zu erfüllen.

“Auch habe ich als Präsident, der die Republik Italien vertritt, die Größe mich bei den SüdtirolerInnen für das historische Unrecht, das 1919 durch die Annexion Südtirols an Italien entstanden ist, zu entschuldigen. Es ist eine Schande, dass sich die Republik Italien noch nie dafür eingesetzt hat, dass die historischen Namen dieser faszinierenden Alpenregion, im Einklang mit einer entsprechenden Empfehlung der UNO, ihren Platz einnehmen können.

Aber nicht die Vergangenheit soll unsere kostbare Zeit einnehmen, sondern unsere gemeinsame Zukunft. Schon in den nächsten Tagen und Wochen soll eine von mir angeregte Delegation zwischen Vertretern Südtirols und des Zentralstaates die weitere Vorgangsweise zu einer weitgehenden Vollautonomie aushandeln. Dabei können bewusst Tabus angesprochen werden. In einem Zeitalter beschleunigter Geschichte kann ich mir sehr gut vorstellen, dass in einem zusammenwachsenden Europa, das den traditionellen Nationalstaat zusehends ersetzen muss, um Katastrophen wie im 20 Jh. zu verhindern, Südtirol in 10 bis 15 Jahren völlig frei über den weiteren Status entscheiden kann. Der Weg zu einem wirklich demokratischen Europa von frei assoziierten Regionen wird von Italien nicht behindert werden. In diesem Sinne viel Glück für das mehrsprachige Südtirol auf dem Weg zur völligen Eigenständigkeit. Auf dass die VertreterInnen dieser faszinierenden Alpenregion die Verantwortung mit Weitsicht und Behutsamkeit und im Respekt aller hier lebenden Sprachgemeinschaften wahrnehmen mögen.”

Ein Augenblick der ohrenbetäubenden Stille legte sich über den Meraner Kursaal, bevor standing ovations für das italienische Staatsoberhaupt aufbrandeten und mich von meinen Träumen rissen.

Ich war wohl bei der Lektüre der Süddeutschen Zeitung eingeschlafen, obwohl der Artikel, den ich soeben studiert habe, mehr als interessant ist. Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse hat in der Eröffnungsrede des “M100 Sanssouci Colloquiums” eine Lanze für ein Europa von frei assoziierten Regionen gebrochen. Der Nationalstaat findet darin keinen Platz mehr — aber darüber mehr in einem anderen Beitrag.

Ach, und zu Napolitano: Ist eben doch nur der Vertreter eines Nationalstaates im traditionellen Sinne. Ein Gebilde, das die letzten zwei Jahrhunderte geprägt hat, aber mittlerweile die Zukunft dieses Kontinents verbaut und aufs Spiel setzt.

Etwas weiter ist da schon die dänische Königin Margarethe, die am 21. Juni 2009 in grönländischer Tracht gekleidet, dem grönländischen Parlamentspräsidenten Josef Motzfeldt das erste Exemplar des mit Dänemark ausgehandelten Gesetzes über die Selbstverwaltung überreichte.

Cëla enghe: 01 02 03



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Comentârs

9 responses to “Napolitano — bahnbrechende Rede.”

  1. 1950er avatar
    1950er

    … da werden jetzt einige ungläubig über die Zeilen huschen und denken na bitte “alles paletti”. Wenn man dann weiterliest > (bitte “umblättern”) befindet man sich schnell wieder auf dem heimischen Boden der Tatsachen “Nichts Neues unter dem Himmel im Lande S-Tirol! – Schön wär´s gewesen, aber Cossiga´s Zeiten sind vorbei, – er war derjenige, der meines Wissens als einizger in seiner Weihnachtsansprache als Staatspräsident Italiens (!) einige Worte auf deutsch via Staatsfernsehen an “seine” S-Tiroler gerichtet hat. Im Ruhestand hat er den S-Tirolern dann eindringlich den Gebrauch des Selbstbestimmungsrechtes ans Herz gelegt, – Durnwalder war total benommen und konnte sich gar nicht schnell genug erholen! …

  2. succus avatar
    succus

    Habe ich da was versäumt oder sind die heimischen Medien auf die Bedeutung der Rede überhaupt eingegangen?

    1. pérvasion avatar

      Ich fürchte, dir ist das Ende des Artikels entgangen.

  3. succus avatar
    succus

    Sorry, war wohl etwas abgelenkt. ;-)

  4. franz avatar
    franz

    …in 10-15 Jahren völlig frei über die weitere Zukunft entscheiden…

    In Schottland gehts schon 2014 und auch wenn die sich vermutlich dagegen entscheiden so hatten sie doch die freie Wahl.
    Hättest ruhig weiter schlafen können, das war nur die übliche Hinhalte-Taktik. ;)

  5. pérvasion avatar

    Der Autor dieses Artikels hat nicht verstanden, dass Wolfgangs Beitrag nicht lustig sein soll. Er soll durch seine Absurdität vielmehr aufzeigen, was hätte geschehen können bzw. was ebenfalls vorstellbar (und aus unserer Sicht wünschenswert und demokratisch, aber im Nationalstaat sehr unwahrscheinlich) gewesen wäre. Es ist auch kein Zufall, dass die fiktive Rede Napolitano (und nicht Fischer) in den Mund gelegt wurde. Das hat nichts damit zu tun, dass wir »nur« die Auflösung Italiens wünschen — sondern damit, dass es hier (genauso wie im Meraner Kurhaus) um Südtirol geht. Und bzgl. Südtirols Unabhängigkeit hat Fischer leider sehr wenig mitzureden; wenn’s nach Österreich ginge, wäre Südtirol wohl schon längst ein eigener Staat. Um es aber nochmal in aller Klarheit zu sagen: BBD befürwortet die Auflösung aller Nationalstaaten, das wurde hier schon mehrmals unmissverständlich geschrieben; und auch Wolfgangs Hinweis auf Menasses Rede belegt dies.

    1. pérvasion avatar

      Auch Stefano Fait, Co-Autor von Contro i miti etnici, hat den genannten Artikel kommentiert. Er traut sich mit einer völlig abstrusen und unredlichen Argumentation ans Tageslicht, die einer Stellungnahme bedarf.

      Der »großartige Wissenschaftler« Fait nimmt auf Hannah Arendt Bezug und behauptet, die Juden seien entnationalisiert worden, bevor sie von den Nazis ausgegrenzt und schließlich vernichtet werden konnten. Ein Nazi-Vergleich macht sich immer bezahlt.

      Durch das Stichwort der Entnationalisierung stellt Fait einen Zusammenhang zu BBD her. Will nicht auch BBD die Südtiroler der Nationalstaatlichkeit entziehen? Also sind die nächsten Schritte wohl die Ausgrenzung und Vernichtung der Italiener.

      ci sono in ballo le vite di centinaia di migliaia di persone

      Wenn man es nicht läse — man würde wohl bezweifeln, dass ein erwachsener Mensch auf einem derart niedrigen Niveau argumentieren kann.

      Natürlich wurden die Juden von den Nazis nicht im BBD-Sinne oder im Sinn der Überwindung von Nationalstaatlichkeit »entnationalisiert«. Den Juden wurde hingegen die Zugehörigkeit zur nationalen (deutschen) Gemeinschaft in Abrede gestellt, ja, sie wurden sogar zu Feinden des »deutschen Volkes« hochstilisiert. Das ist genau das Gegenteil von dem, was BBD beabsichtigt, nämlich alle Bürger zu vollwertigen Mitgliedern der Südtiroler Gesellschaft zu machen. Die Verbindung, die Fait herzustellen versucht, existiert also nicht.

      Poiché non si sa mai chi può andare in futuro, sarebbe opportuno evitare vaghezze, opacità  e fedi visionarie.

      Natürlich: Italien, ein Land, das über Jahre von einem Herrn Berlusconi regiert wurde, gilt uns als Hort der Rechtsstaatlichkeit, während man (nur) in einem unabhängigen Südtirol nicht sagen kann, was in Zukunft passiert. Als ob die internationale Gemeinschaft keine Handhabe hätte, wenn auch nur ein Bruchteil von dem eintreten sollte, was Fait auf unredliche Weise mit BBD in Verbindung bringen möchte.

      1. niwo avatar
        niwo

        Bravo pérvasion für diese Stellungnahme. Da wird von bestimmten Leuten einfach auf einem Niveau argumentiert, das unterste Schublade ist. Wo Argumente fehlen beginnt die Welt der Unterstellungen und Behauptungen.

  6. franz avatar
    franz

    Warum hat Stefano Fait nicht die vielen faschistischen Denkmäler in Süd-Tirol erwähnt? Wer die wohl aufgestellt hat?

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