Seit Mittwoch gibt es sie offiziell: die Piratenpartei Südtirols. Um sich einen sozialrebellischen Anstrich zu geben, hätte der Parteimitbegründer nicht unbedingt auf einen englischen Piraten des 12. Jahrhunderts zurückgreifen müssen, der den “reichen Fettsäcken an die Gurgel will”. Da läge der Michael Gaismair schon etwas näher, vielleicht mit einer inhaltlich runderneuerten “Tiroler Landesordnung”. Überhaupt scheinen Piraten in unserer Gebirgsgegend etwas deplaziert, Wilderer wären glaubwürdiger, die tatsächlich oft aus sozialer Not heraus handelten.
Doch frischen Wind in die Parteienszene bringen die Piraten allemal, auch wenn ihre politische Positionierung “nicht links noch rechts, weder oben noch unten, weder hinten noch vorne” ein Uraltspruch der Grünen ist. Eine neue Partei zu gründen, heißt sich politischer Bewusstseinsbildung zu widmen, politische Phantasie entwickeln, gemeinsam Kernthemen der Politik bearbeiten, also eine Kommunikation zu politisch relevanten Themen zu entfalten. Und die Piraten anderswo zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie einen neuen Stil entwickeln, ganz neue Kreise überhaupt für Politik interessieren, sich herkömmlichen Formen verweigern und Expertokratie verabscheuen. Das versprochene Engagement für mehr Transparenz und eine bessere direkte Demokratie ist dringend nötig.
Sich nicht inhaltlich festlegen zu wollen, kann eine neue Qualität, aber auch ein Manko bedeuten. Die neue Piraten-Basis soll die politische Wunschliste in freier Diskussion festlegen. Überhaupt könnte man nächstens eine Partei als leere Schachtel gründen: das Programm definiert man dann per Ankreuzen einer Liste mit “gefällt mir” oder “gefällt mir nicht”.
Bevor sich die Piraten überhaupt richtig formiert haben, werden sie aber schon von eifrigen Journalisten und Meinungsforschern zerklaubt. Natürlich haben Letztere immer Umfragenergebnisse und gute Argumente zur Hand, doch wie kann man (geschehen am gestrigen Donnerstag, RAI Sender Bozen) eine allgemeine Meinung zu den Perspektiven der Piraten deuten, bevor es sie überhaupt gibt? Anders gefragt: welchen Sinn macht es, die Ergebnisse einer Wählerumfrage, bei der 8% “Weiß nicht” oder “andere” geantwortet haben, hinsichtlich der Piraten zu deuten, obwohl es die Piraten bei dieser Umfrage noch gar nicht gab? Welche Themen sollen die Piraten denn besetzen, wenn die qualifizierten Beobachter der Arena nur mehr einige wenige Themen als “besetzbar” vorgeben? Sind Piraten nicht von vornherein Spezialisten im Besetzen und können alle Themen besetzen, wenn sie dazu in der Lage sind?
Allerdings muss rasch festgehalten werden, dass die neue Piratenriege wirklich mutig ist, sich mit solch kargen wie den gestern vorgestellten Thesen an die Öffentlichkeit zu wagen. “Wir stehen für Transparenz, Internet, Privacy und Datenschutz und stellen eine Alternative für die Wähler dar,” sagt die Vorstandsvorsitzende in der Tageszeitung. Braucht es für diese Anliegen eine Partei, die zu Landtagswahlen antritt? Wenn gern Alternative, warum eigentlich? Hätten die Piraten nicht zumindest das Programm der bundesdeutschen Piraten auf die Südtiroler Erfordernisse herunterbrechen können? Wie kann man sich überhaupt als politische Kraft in diesem Land präsentieren, ohne programmatische Aussagen zu zentralen Fragen zu treffen: die Weiterentwicklung der Autonomie, die Sprachenpolitik, Sozial- und Wirtschaftspolitik im Zeichen dezidierten Sparens, eine Politik der Verteilungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit für Südtiroler Verhältnisse durchdeklinieren und einige wenige mehr. Leider is dies etwas dünne Suppe, die die Piraten da aufkochen. Auch die GRÜNEN, in deren Teich die Piraten am stärksten fischen werden, stehen für Transparenz, Datenschutz, freies Internet und direkte Demokratie. Mit anderen Worten: diese Anliegen kann ein Arbeitskreis der Grünen mindestens genauso kompetent bearbeiten, ohne den Aufwand einer neuen Parteistruktur.
Dennoch wünsche ich den Piraten viel Glück. Sie sind Ausdruck der “liquid democracy”, der international durchs Netz wogenden Ideen und Bewegungen, die die Menschen inspirieren, was Neues zu wagen, Demokratie zu erfahren “learning by doing”, sich nicht viel um herkömmliche Wenn und Aber zu kümmern. Eine Eigenschaft, die allerdings in Südtirols Politik immer wieder verlangt wird, ist Bodenständigkeit, auf die Besonderheiten dieses Landes Bezug zu nehmen. Um die Machtverhältnisse in Südtirol tatsächlich stärker aufzurühren, bräuchte es in diesem Sinne eine sozialdemokratische Initiative, die in der hiesigen Parteienlandschaft seit 30 Jahren fehlt, und diese Lücke werden die Piraten ganz gewiss nicht schließen.
Cëla enghe: 01
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