Der olympische Geist:
Citius, altius, fortius! oder doch eher pecunia non olet? Jedenfalls sind die 30. Olympischen Spiele der Neuzeit eröffnet und somit steht einmal mehr der Wettstreit der Nationen für gut einen Monat im Mittelpunkt des Weltinteresses. Und immer wenn ich dann im Fernsehen oder im Internet den Medaillenspiegel präsentiert bekomme – und das ist ziemlich oft – fällt mir Terje Håkonsen ein:
I just think our generation is more about individual performance than about your country getting a medal. When you look at the newspapers during the Olympics, it’s hardly ever about the individuals. It’s about how many medals every country has. And then we can go out to the bar and talk about how great our countries are. I think nationalism, with people traveling and having friends all over the world, in different generations, I think it’s a really old school format by now.1Vollständiges Interview im Snowboarder Magazine
Terje wer? … Terje Håkonsen ist eine Ikone des Snowboardsports. In den 1990er-Jahren galt er in der Königsdisziplin Halfpipe als unbesiegbar, da er tatsächlich nahezu jeden Bewerb gewann, an dem er teilnahm (Weltmeister 1993, 1995 und 1997, Europameister 1991, 1992, 1993, 1994, 19972Snowboard-Europameisterschaften wurden jährlich, Weltmeisterschaften alle zwei Jahre ausgetragen.). 1998 in Nagano wurde Snowboarden erstmals olympisch. Terje hätte sich das Gold – und damit Ruhm und in der Folge auch einiges an Geld – wohl nur abzuholen brauchen. Doch der Norweger verzichtete – aus rein idealistischen Gründen. Erstens gefalle ihm der nationalistische Charakter der Spiele nicht und zum Snowboardsport passe dieser schon gar nicht. Zweitens weigere er sich, an den Qualifikationsbewerben teilzunehmen, da diese von der FIS (Anm.: Internationaler Skiverband) und nicht von einer Snowboarderorganisation ausgetragen würden. “Snowboarding is about fresh tracks and carving powder and being yourself, and not being judged by others. It’s not about nationalism and politics and big money. Snowboarding is everything the Olympics isn’t.” Einige andere – vor allem amerikanische – Snowboardgrößen folgten Terjes Beispiel und so kam es, dass der damals völlig unbekannte Schweizer Gian Simmen erster Halfpipe-Olympiasieger wurde. Ob Håkonsen seinen damaligen Entschluss jemals bereut hätte? “No. Hell no!”
Szenenwechsel. In den heutigen Medien wird Markus Rogan, österreichischer Weltklasseschwimmer und Fahnenträger der rot-weiß-roten Mannschaft wie folgt zitiert: “Ich war noch nie so stolz, Österreicher zu sein!” Wenngleich man sich beim bekannten Spaßvogel Rogan nie hundertprozentig sicher sein kann, ob seine Aussagen nicht ironisch verstanden sein wollen, dürfte er diesen Sager wohl ernst gemeint haben, denn er schoss nach: “Es war noch viel schöner als erwartet!” Keine Frage, es ist bestimmt beeindruckend und bewegend, unter dem Jubel Zehntausender, eine Mannschaft ins Stadion zu führen. Jedoch bestätigt Rogans Aussage genau jene Kritikpunkte, die Håkonsen als Argumente für seinen Boykott ins Treffen führte. Wieso sollte man auf ein Merkmal, zu dem man meist nichts beigetragen hat, da hineingeboren, stolz sein? Man mag froh, glücklich oder zufrieden sein, dass man in einem wohlhabenden, schönen oder friedlichen Flecken Erde wohnt bzw. geboren ist. Aber stolz? Stolz impliziert Wertigkeit und Hierarchie. Wenn dann jedoch alle – zurecht? – stolz auf ihre Nation, auf ein recht schwammiges Kollektiv, sind, was dann? Dieser Stolz hat nämlich zur Folge, dass Sportarten – und damit Sportlerinnen und Sportler – die sonst kaum beachtet werden (ich denke da an Sportschützen oder Synchronschwimmer), plötzlich zu Nationalhelden werden; jedoch nicht wegen ihrer Leistungen, sondern weil sie einer bestimmten Nation angehören. Ich gönne jedem von Herzen seine “15 Minutes of Fame”, aber würde es tatsächlich um die individuelle Leistung gehen, die diese Sportler ja auch abseits der Olympischen Spiele erbringen, dürften sie vor und nach den Spielen sowohl in medialer als auch in finanzieller Hinsicht nicht so ein Schattendasein fristen.
Der demokratische Geist:
Dass die (Neu!)-Benennung einer Straße nach einer militärischen Einheit, die sich nie für Kriegsverbrechen entschuldigt oder von faschistischen Angriffskriegen distanziert hat, für ein demokratisches Gremium wie den Brixner Gemeinderat absolut anachronistisch und unverständlich ist, will ich gar nicht länger ausführen. Auch dass “martialische” Benennungen für überzeugte Pazifisten und Grüne generell tabu sein sollten, ist mir an dieser Stelle keine weiteren Worte mehr wert. Vielmehr möchte ich die Brixner Entscheidung für eine “Alois-Pupp-Anlage” mit einer Episode vergleichen, die sich unlängst in Wien zugetragen hat.
Dr. Karl Lueger war Wiener Bürgermeister um die Jahrhundertwende. Während seiner Zeit erlebte die österreichische Hauptstadt einen ungemeinen Modernisierungsschub. Straßenbahnen wurden gebaut, die Wasserversorgung wurde erneuert, die Stadt großflächig elektrifiziert. Dementsprechend allgegenwärtig ist Karl Lueger noch heute. Es gibt einen Dr.-Karl-Lueger-Platz, eine Dr.-Karl-Lueger-Statue, eine Dr.-Karl-Lueger-Gedächtniskirche und es gab den Dr.-Karl-Lueger-Ring. Dieser war Teil der Wiener Ringstraße, an der so prominente Gebäude wie das Burgtheater und die Universität gelegen sind. Neben seinem verwalterischen Geschick zeichnete Lueger aber auch noch eine andere Eigenschaft aus: er war überzeugter und aggressiver Antisemit. Daher kämpften Intellektuelle, Künstler, Universitätsbedienstete sowie grüne und sozialdemokratische Politiker schon seit Jahren für eine Umbennenung dieses Teils der Wiener Prachtstraße. Universität und Burgtheater wollten nicht länger mit einem Antisemiten in Verbindung gebracht werden, indem sie unter “Dr.-Karl-Lueger-Ring” firmierten. Umbenennungen sind im Gegensatz zu Neubenennungen meist schwieriger zu bewerkstelligen, da ersteren oft der Nimbus des “Auslöschens” und “Färbens” anhaftet. Der zuständige Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny betonte sogar, dass die Umbenennung eine Ausnahme bleiben würde: “Ich habe grundsätzlich nicht vor, Umbenennungen in der Stadt vorzunehmen”, betonte er. Denn schließlich solle Wiens Straßenkarte nicht “ausgeweißelt” werden. Namensgebungen spiegelten immer auch die Geschichte einer Stadt wider – und “man soll nicht so tun, als ob es keine dunklen Seiten gegeben hätte”.3Quelle: Der Standard Dennoch gab der Gemeinderatsausschuss dem Druck der Gegner des Dr.-Karl-Lueger-Rings nach und beschloss die Umbenennung in “Universitätsring”, um Wiens Vorzeigeadressen eine “würdigere” Anschrift zu geben.
Das Argument Mailath-Pokornys, wonach Namensgebungen immer auch die Geschichte einer Stadt widerspiegelten, würde vielleicht (!) für die Beibehaltung einer “Alois-Pupp-Anlage” sprechen, wenn es diese schon seit Jahrzehnten gäbe. In solch einem Fall wäre eine entsprechende Erklärung zur Person (wie sie zum Beispiel auf Innsbrucks Straßenschildern üblich ist) zielführender als eine Umbenennung. Denn würde man alle “dunklen Seiten” beseitigen wollen, müsste wohl ein Gutteil der Straßen, die Monarchen, Schlachten oder Heeresführern gewidmet sind, umbenannt werden. Die Botschaft einer Neubenennung, wie sie kürzlich in Brixen passiert ist, hat jedoch eine ganz andere Dimension. Hier wird Pupp trotz des Wissens um seine (freiwillige) NSDAP-Mitgliedschaft nun nach Jahrzehnten mit einer Straßenbenennung geehrt (wiederum mit den Stimmen der grünen Bürgerliste wohlgemerkt). Eine derartige Würdigung kann nicht mehr aus dem “geschichtlichen Kontext” heraus erklärt oder gerechtfertigt werden. Der Unterschied zwischen der Wiener und der Brixner Entscheidung könnte größer nicht sein.
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- 2Snowboard-Europameisterschaften wurden jährlich, Weltmeisterschaften alle zwei Jahre ausgetragen.
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