In vielen Minderheitengebieten Europas wird die Verpflichtung, die Flagge des Staates auszuhängen, eher flexibel ausgelegt, um regionalen Sensibilitäten Rechnung zu tragen. Im Baskenland und in Katalonien etwa wurde über Jahrzehnte geduldet, dass Kommunen keine spanische Flagge hissten, obschon dies wie hier in Südtirol gesetzlich vorgeschrieben wäre. Erst seit die neue Rechtsregierung um Mariano Rajoy (PP) in Madrid an der Macht ist, wird die Norm etwas restriktiver ausgelegt. Gemeinden und Generalitat wehren sich in Katalonien jedoch gemeinsam gegen diese neue Form von symbolischem Zentralismus — zum Teil mit recht einfallsreichen Methoden.
In Südtirol ticken die Uhren wieder einmal anders. Nicht nur, dass man sich schon lange mit der nationalen Symbolik abgefunden hat — selbst SVP-Bürgermeisterinnen schlüpfen bisweilen gerne in die Trikolore, obschon ihre Partei lange dafür gekämpft hat, dass ihnen diese Pflicht erspart bleibt. Jetzt schreibt auch noch das Land selbst den Gemeinden vor, dass sie die italienische Flagge an ihren Amtsgebäuden anzubringen haben.
In einem Beschluss, der diesen Montag von der Landesregierung gefasst wurde, wird den Kommunen verordnet, neben einer allfälligen Gemeindeflagge auch die Landes-, Staats- und Europaflagge aufzuhängen.
Pikante Nebenwirkung: Die einzige dieser vier Flaggen, die in der Stadt Bozen bisher nicht ausgehängt wurde, war die Landesfahne. Bürgermeister Spagnolli ist über die Verordnung richtig verärgert: Er ließ mitteilen, dass er nicht daran denke, eine zusätzliche Halterung am Rathaus anbringen zu lassen und bezeichnete die neue Verpflichtung als Machtdemonstration und Einschränkung der Gemeindeautonomie.
Während des kürzlich stattgefundenen Alpinitreffens wurde — auch von Spagnolli selbst — ausgerechnet die Flagge des zentralistischen Nationalstaats mit großem Pathos zum neuen Symbol des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Südtirol umgedeutet. Und jetzt soll auch noch die Flagge unserer Autonomie den Zentralismus repräsentieren? Wahrlich eine kreative Auslegung.
Scrì na resposta