Zum Thema Vetternwirtschaft im überschaubaren Umfeld hatte ich – unter anderem – das schweizerische Justizdepartement angeschrieben, um Informationen aus erster Hand darüber zu bekommen, wie die Eidgenossen mit diesem Problem umgehen. In der Schweiz verfügt jeder Kanton über eine weitgehend unabhängige Legislative, Exekutive und Judikative.
Heute ist dazu eine sehr informative Antwort hereingeflattert, die ich hier publik machen möchte:
Sehr geehrter Herr Constantini
In der Schweiz hat jeder Kanton ein eigenes Justizsystem, wobei der Bund allerdings Mindestvorgaben gibt. Das Strafprozessrecht ist zudem dieses Jahr vereinheitlicht worden, das Zivilprozessrecht wird bald folgen. Auch ist es nicht so, dass jeder Kanton grundlegend andere Regeln hätte. Grundsätzlich haben alle ein System mit 1.- und 2.-instanzlichen Gerichten. Danach können die Bundesgerichte angerufen werden. Diese Möglichkeit setzt auch der von Ihnen angesprochenen Vetternwirtschaft Grenzen. Es ist immer möglich, einen Rechtsstreit aus dem Kanton herauszutragen und an die Gerichte des Bundes zu gelangen. In den Anfängen der Eidgenossenschaft war das Bundesgericht insbesondere die Hüterin der Grundrechte, die in der Bundesverfassung garantiert sind. Diese gingen weiter, als in vielen Kantonen vorgesehen war. Das Bundesgericht war moderner als viele kantonalen Gerichte. Auch heute ist es noch so, dass das Bundesgericht für die einheitliche Rechtsanwendung auf dem Gebiete der Schweiz sorgt.
Dass in der Schweiz die Vetternwirtschaft nicht so verbreitet ist, hängt vielleicht gerade damit zusammen, dass man sich kennt – diese Nähe bedeutet auch Überwachung. Der effekt “neidischer Nachbar” hat da sicher eine gewisse Wirkung. Das sieht man z.B. bei den Steuerbehörden, wo der neidische Nachbar schon einmal meldet, wenn jemand ein teures Auto fährt, das nicht zur Steuererklärung passt (diese ist in vielen Kantonen einsichtbar)… Gleiches gilt auf der politischen Ebene: Wenn ein Exekutivmitglied Aufträge an seine Vettern vergeben würde, griffe das die Opposition sehr schnell auf.
Zudem scheint mir, dass wir in der Schweiz immer noch ein gewisses Ethos für den Staat, die “Res Publica” haben. Der Staat wird nicht wie in manchen anderen Staaten als Feind gesehen, sondern als die Angelegenheit aller. Dies wird sicher durch die direkte Demokratie gefördert. Wir können direkt abstimmen über die wichtigsten Entscheidungen (auf Gemeindeebene heisst das auch, dass wir abstimmen darüber, ob eine Strasse gebaut oder ein Schulhaus mit einer Holzschnitzelheizung ausgestattet werden soll). Wir wählen also nicht nur die Regierung und das Parlament, “die dann sowieso machen, was sie wollen”, sondern entscheiden direkt in der Sache.
Die Kantone erheben ihre eigenen Steuern. Sie sind zudem namentlich zuständig in den Bereichen Ausbildung, Gesundheit, Kultur, Sicherheit (Polizei), Naturschutz, Infrastruktur (Strassen, Wasser), Raumplanung und Sozialhilfe.
Weitere Informationen finden Sie auf www.admin.ch oder in folgendem Standartwerk des Schweizer Verfassungsrechts: Ulrich Häfelin / Walter Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 6. Auflage, Zürich 2005 (mit einem Supplement zum Bundesgerichtsgesetz).
Freundliche Grüsse
Robert Baumann
Dr. iur., Rechtsanwalt
wissenschaftlicher MitarbeiterEidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD
Bundesamt für Justiz BJ
Direktionsbereich Öffentliches Recht
Fachbereich Rechtsetzungsprojekte und -methodikBundesrain 20, 3003 Bern
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