Innerhalb Südtirols Wirtschaftsverbänden rumort es. HGV-Präsident Meister droht gar mit der Gründung einer neuen Partei und generell stöhnt man unter der hohen Steuerbelastung. Dazu Stefan Pan, Präsident des Südtiroler Unternehmerverbandes im Sender Bozen am 18.04.2012: “Italien hat die höchste Steuerbelastung Europas und Südtirol die höchste Steuerbelastung Italiens”. Unabhängig davon, ob diese Aussage zutrifft — Stefan Pan und viele Akteure des öffentlichen Lebens in Südtirol, einschließlich der Presse, nehmen es mit der wissenschaftlichen Belegbarkeit ihrer Aussagen nicht immer sehr genau — geht es mir nicht darum zu ergründen inwieweit diese Aussage zutrifft, sondern darum, dass die Diskussion um niedrige Steuern das Problem nicht in seinem Kern trifft.
1) Welches Gesellschafts- und Wirtschaftssystem wollen wir?
Die Frage der Steuerhöhe impliziert die Frage nach dem Anteil, den der Staat (Staatsquote) am Wirtschaftsleben haben soll. Mit dieser nüchternen Frage ist die Ausgestaltung des gesellschaftlichen Lebens verbunden. Wollen wir ein öffentlich finanziertes Kindergarten- und Schulsystem, ein öffentliches Gesundheitswesen, öffentliche Forschungseinrichtungen usw. Sollen natürliche Monopole (Bahnnetz, Straßennetz, Stromnetz, Wasserversorgung, kommunale Versorgungsbetriebe usw.) in öffentlicher Hand sein oder privatisiert werden?
Generell muss die Rolle des Staates definiert werden. Je nach politischer Konstellation kommt es hier zu unterschiedlichen Antworten. Ein hohes staatliches Engagement im gesellschaftlichen Leben verlangt höhere Steuersätze als ein Staat, der sich aus vielen Bereichen zurückzieht. Schweden hat eine hohe Steuerbelastung. Der Staat liefert im Gegenzug gut funktionierende öffentliche Dienstleistungen. Ein schwedischer Unternehmer sagte vor Jahren im Spiegel einmal, dass ihn die hohe Steuerbelastung nicht störe, da er vom Staat im Gegenzug gut ausgebildete MitarbeiterInnen bekommt, ein gut funktionierendes öffentliches Gesundheitswesen angeboten wird und insgesamt auch ein hohes Maß an gesellschaftlichem Ausgleich geboten wird. Eine für unsere Breitengrade fast schon exotische Aussage. Wobei wir schon bei der zweiten Frage sind.
2) Was bietet mir ein Staat für meine Steuern?
Stefan Pan suggeriert mit seiner (falschen) Aussage “Italien hat die höchste Steuerbelastung Europas und Südtirol die höchste Steuerbelastung Italiens”, dass Italien schlecht sei und Südtirol noch schlechter.
Es gilt deshalb zu prüfen was mit den Steuern geschieht und ob die öffentlichen Dienstleistungen qualitativ zufriedenstellend sind.
Italien weist eine sehr hohe Steuerbelastung auf und bietet seinen Bürgern im Gegenzug verhältnismäßig wenig. Die öffentlichen Dienstleistungen sind teils unter jeder Kritik und qualitativ nicht mit denen in Südtirol vergleichbar. So soll es z.B. in bestimmten italienischen Krankenhäusern üblich sein, dass PatientInnen ihre Handtücher und ihr Essen über Angehörige selbst mitbringen müssen.
Zusätzlich wird ein wesentlicher Teil der Steuern nicht für öffentliche Dienstleistungen aufgebracht, sondern für Zinszahlungen des angehäuften Schuldenberges, was den Gestaltungsspielraum des Staates massiv einschränkt.
Das Land Südtirol bietet in seinem Zuständigkeitsbereich qualitativ vielfach sehr gute Dienstleistungen an. Die Wirksamkeit der Dienste ist gewährleistet, ob der Mitteleinsatz auch immer effizient ist darf in einigen Bereichen angezweifelt werden. Hier kann in einigen Bereichen sicher der Hebel angesetzt werden, allerdings muss dazu gesagt werden, dass bestimmte Missstände selbst im Einzugsbereich der Autonomie von zentralstaatlichen Organen verursacht werden. Südtirol kann sehr wohl in einem bestimmten Bereich über die primären Zuständigkeiten verfügen, das Arbeitsrecht und nationalstaatliche Tarifverträge, die für Südtirol vielfach nicht maßgeschneidert sind, werden in Rom gezimmert.
Es gilt auch anzumerken, dass Dienstleistungen, die vom Zentralstaat in Südtirol angeboten werden, wie etwas das Polizeiwesen, die Finanzbehörden, das Gerichtswesen usw. teilweise nicht einmal über elementarste qualitative Voraussetzungen verfügen. Wenn in Südtirol gute Kenntnisse der Landessprachen nicht garantiert werden ist der Dienst qualitativ nicht akzeptabel. Zudem bietet das Rechtssystem und das Gerichtswesen keine akzeptables Niveau der Rechtssicherheit, was unsere Wirtschaftsverbände auch interessieren sollte.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Südtirols Wirtschaftsverbände in ihrer Kritik mehr Treffsicherheit erlangen müssen. Pauschale Kritik an der hohen Steuerbelastung greift zu kurz. Es wird auch spannend, wann sich Teile der “Wirtschaft” die Gretchenfrage stellen, ob die Zugehörigkeit Südtirols zu Italien für die zukünftige Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung noch tragbar ist? Diese Diskussion muss allerdings fundierter geführt werden als eine unartikulierte Kritik an der Steuerbelastung.
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