Offene Version eines Briefs an Brigitte Foppa (Vërc).
Liebe Brigitte,
überraschenderweise war ich bei der Erstlektüre deines Briefes an Elmar Thaler in weiten Teilen mit dir einverstanden, wobei ich mir wünschte, du hättest die Angelegenheit radikaler »entethnisiert«. Auch mir ist — als überzeugter Pazifist — jegliche martialische Anwandlung mehr als nur suspekt. Eine Schusswaffe — egal ob Attrappe oder echt — kann das Stigma eines Tötungsinstrumentes, da ja das Töten ihr alleiniger Zweck ist — niemals ablegen. Darum einen Kult zu veranstalten, finde ich befremdend.
Mindestens ebenso überrascht war ich aber auch von den (beiden) Antworten 1 02
von Seiten der Schützen, die meines Erachtens sehr gut sind und denen ich ebenfalls größtenteils zustimmen kann.
Dazu einige Gedanken:
A) Du erwähnst zwar die Alpini und die faschistischen Verbrechen — ich finde aber, dass du die Chance ausgelassen hast, derartige Diskussionen endlich einmal außerhalb der ethnischen Demarkationslinien zu führen. Sowohl Schützenaufmarsch als auch Alpiniumzug sind doch Manifest chauvinistischer Machtdemonstration und Reviermarkierung. Unser Ziel muss es sein, das bipolare Deutsch-Italienisch-Denken und die damit verbundenen Stereotypen zu überwinden. Allzu oft ist es aber so, dass Aktionen auf »deutscher Seite« gern als rechtslastig und zündlerisch gegeißelt werden, während exakt dieselben Ausformungen auf »italienischer Seite« geduldet werden bzw. die Kritik an denselben gar als »unnötige Provokation« abgetan wird. Patriotismus bis Nationalismus für Italien gilt als Norm, sogenannter Tirolpatriotismus hingegen als rückwärtsgewandt, ewiggestrig und rechts.
Da zum Beispiel auch Markus Lobis — so sehr ich sein ökosoziales Engagement schätze — hier auch oft selektiv wahrnimmt, hab ich ihm kürzlich auf Brennerbasisdemokratie folgenden Vorschlag gemacht:
ich hätte da einen vorschlag. wenn du das durchziehst, nehme ich meine kritik an deiner gesellschaftspolitischen ausrichtung zurück und zolle dir höchsten respekt:
male ein großes transparent auf dem steht: “euer antifaschismus ist einseitig und unglaubwürdig!” und stell dich damit beim schützenumzug an den straßenrand.
dann male ein zweites großes transparent mit der aufschrift: “entschuldigt euch für nazi-kollaboration und kriegsverbrechen!” und platzier dich damit während des alpiniumzuges auf dem siegesplatz.
Wenngleich ich den Alto Adige nicht regelmäßig lese, hab ich noch keine einzige wirklich kritische Stellungnahme zum Alpini-Aufmarsch gesehen. Im Gegenteil. Den Schützen-Aufmarsch werden aber bestimmt wieder die Attribute »estrema destra tedesca« begleiten, was beim italienischsprachigen Leser natürlich die gewünschten Assoziationen weckt (so dubios manche der Klotz’schen Bekanntschaften sind, muss man schon auch sagen, dass die Süd-Tiroler Freiheit immer noch Mitglied der European Free Alliance ist, die zusammen mit den Grünen (!!!) im Europaparlament eine Fraktion bildet. Die EFA ist, was Nazismus und Rassismus angeht, sehr empfindlich und hat zum Beispiel die Lega Nord und die BürgerUnion ob ihrer radikalen Ansichten rausgeschmissen. Die Süd-Tiroler Freiheit jedoch nicht, da sie programmatisch nicht rechtsradikal ist). Auch die Hymnendiskussion wird auf italienischer Seite kaum geführt. Und somit ist auch dieses Thema wieder ein ethnisches und die SVP bemüht sich lediglich zu verhindern, dass die Deutsch- und Ladinischsprachigen die Hymne lernen müssen.
Dabei ist der Gesetzesvorschlag eine Anomalie in Zentraleuropa und ähnliches würde in Österreich einen Aufschrei durch sämtliche Bevölkerungsschichten hervorrufen. Erschwerend hinzu kommt, dass sich die Hymne explizit gegen europäische Nachbarn richtet und einen lächerlichen Pathos bis hin zum Tod für Italien propagiert. Kein Kind — egal welcher Muttersprache — sollte dazu verdonnert werden, diesen Müll zu lernen. Eine kritische Auseinandersetzung von mir aus — aber davon ist in der Diskussion nicht die Rede.
Die Trennlinie verläuft also nicht zwischen deutsch und italienisch sondern zwischen turbonationalistisch und liberal, zwischen demokratisch und totalitär. Diesen Umstand sollte man meines Erachtens viel vehementer hervorstreichen und Themen, die traditionellerweise ethnisch besetzt sind, vermehrt entsprechend kontextualisieren, damit sie endlich das Label verlieren, das sie von Beginn an gar nicht haben dürften. Verbeißt man sich jedoch in zwar ideoligischer — jedoch ethnisch einseitiger — Kritik, befeuert man das Auseinanderdriften der Sprachgruppen umso mehr.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es die angeblich so ethnisch denkende und geschlossene »deutsche Seite« ist, die sich — aus welchen Gründen auch immer — manchmal der ethnischen Logik entzieht und zumindest in Ansätzen — meist medial in Form des Hauses Athesia — im positiven Sinne ideologisch argumentiert (vergleiche Nazi-Aufarbeitung in den Dolomiten; ähnliches gibt es im Alto Adige bezüglich Faschismus nicht. Vergleiche Opposition der Dolomiten zu Schützenaufmarsch — SVP vs. STF — und verhältnismäßig milde Beurteilung des Alpiniumzuges).
B) Du schreibst:
Ich bin sicher, ihr werdet auch am 14. April mit Schildern auftreten, die “Freiheit” fordern. Gewundert hab ich mich schon über diese vielen Jugendlichen, die sich im Ahrntal, in Gröden vom italienischen Staat unterjocht fühlen. Ich kann es ja verstehen, wenn dieses Gefühl von denen kommt, die den Faschismus oder die Italienisierungspolitik des Staates in der Nachkriegszeit miterlebt haben […] Vergleicht doch einmal Südtirol mit der DDR, mit dem von euch wohlstudierten faschistischen Italien, mit Kuba oder auch nur mit Putins Russland und dann sagt, dass wir nicht frei sind?
Das erinnert mich an eine Aussage, die oft zum Thema Toponomastik kommt: »Gut, dass wir keine größeren Probleme haben«. Erstens denke ich, dass die Toponomastik sehr wohl Symptom eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Problems ist und zweitens entbindet mich die Existenz größerer Probleme ja nicht vom Drang bzw. der Pflicht, auch die kleineren zu lösen. Oder dürfen wir uns nicht um andere Dinge kümmern, solange immer noch Menschen in dieser Welt an Hunger sterben? Dürfen die Opfer des Mussolini-Regimes nicht Gerechtigkeit und Mitgefühl fordern, nur weil es den Juden und anderen im Deutschen Reich noch viel schlimmer ergangen ist? Verlieren die Katalanen das Recht, für ihre Version von »Freiheit« zu kämpfen, nur weil die Tibeter noch viel unfreier sind? Dieser Relativismus ist Schwachsinn. Italien ist ein freies Land, aber im Vergleich zu einigen Nachbarn doch auch ziemlich unfrei. Eine Verbesserung der eigenen Situation anzustreben ist daher für jede Gesellschaft ein legitimes Ziel. Wenn ich mich also auch nur ein kleines bisschen unfrei fühle (ob der mangelnden Pressefreiheit, der überbordenden Bürokratie, nationalstaatlicher Zwänge usw.) habe ich sehr wohl das Recht, auf demokratischem Wege Alternativen anzustreben.
C) Außerdem schreibst du:
Einige von Euch sind für die Gründung einen neuen Staates. Reden wir gerne auch darüber, denn es klingt ja nicht schlecht. Aber klärt uns auf darüber, ob Ihr der EU beitreten möchtet.
Dazu, finde ich, hat Elmar Thaler sehr gut geantwortet. Die Schützen machen von einem ureigenen demokratischen Recht — dem der Versammlungsfreiheit — Gebrauch und solange sie sich damit im demokratischen Grundkonsens bewegen, ist dagegen nichts einzuwenden. Machen die Gewerkschaften und viele andere ja auch. Die Schützen sind auch keine politische Partei sondern ein Verein — eine Interessensvertretung wenn man so will. Und da hat Elmar recht, dass sie eine Willensbekundung abgeben dürfen, es aber nicht ihre Aufgabe ist, die Umsetzung auf Punkt und Beistrich auszuformulieren (machen die Gewerkschaften bei ihren Protestaktionen ja auch meistens nicht). In diesem Sinne habe ich die Formulierung mit der »Legitimation« verstanden, wenngleich sie schon recht ungeschickt war.
D) Zuletzt schreibst du:
Das alles wollen wir verwerfen? Von neu anfangen und womöglich all die bereits erlebten Kämpfe, Verletzungen, Fehler oder gar Toten noch einmal erleben?
Das klingt mir zu hart. Niemand plant einen Militärputsch. Alle Akteure betonen, dass sie ihre Ziele auf demokratischem Wege und gewaltfrei erreichen möchten. Und wenn der Staat Italien eine freie Demokratie ist, dann wird er doch wohl mit demokratischen Willensbekundungen umzugehen wissen. Wenn nicht, wäre dies ein Grund mehr für eine Loslösung. Außerdem sehe ich eine zukünftige Unabhängigkeit ja nicht als Projekt, das vom absoluten Nullpunkt startet, sondern vielmehr als eine Weiterentwicklung dessen, was wir zur Zeit haben.
Und besonders die Grünen müssten allein schon aus Eigeninteresse ein derartiges Szenario herbeisehnen. Wir sind uns glaub ich einig, dass es in Südtirol ein Demokratiedefizit gibt. Diese »Anomalie« im Vergleich zu den umliegenden, bisweilen sehr ähnlich geschichteten Regionen, ist meiner Meinung nach fast ausschließlich der Autonomie und der Zugehörigkeit zu Italien geschuldet. Eine andere Erklärung dafür habe ich nicht. In Nordtirol liegen die Grünen — obwohl sie bei den vergangenen Wahlen ein Drittel ihrer Stimmen verloren haben — immer noch bei fast 11 Prozent. Erschwerend hinzu kommt, dass es in Nordtirol im Gegensatz zu Südtirol sehr wohl eine sozialdemokratische Konkurrenz gibt, die in ähnlichen Gewässern fischt. Dennoch kommen die Grünen südlich des Brenners nicht einmal auf 6 Prozent. Vergleicht man die Landeshauptstädte, die sich nicht nur wegen ihrer Geschichte durchaus vergleichen lassen, ist der Unterschied noch eklatanter. Die Innsbrucker Grünen lagen bei den vergangenen Wahlen bei 18,5 Prozent. Die Bozner Grünen holten gerade einmal ein Drittel davon (6,5 Prozent). Ich habe trotzdem nicht den Eindruck, dass »grüne Themen« den Südtirolern egal sind. Ganz im Gegenteil orte ich hier ein fast noch stärkeres Umweltbewusstsein als in Nordtirol. Wie erklärst du dir diese Diskrepanz? Sind einfach die Kandidaten hier so viel »unwählbarer«? Das hoffe ich wohl nicht.
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