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Das gute alte Autonomiestatut.

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Unter dem Titel »das gute alte Autonomiestatut« hat Georg Mair für die dieswöchige ff einen Leitartikel verfasst, dem zu widersprechen kein Leichtes ist. Dies ist nicht etwa auf die Güte der darin enthaltenen Argumente zurückzuführen, sondern vielmehr auf deren fast vollständige Abwesenheit. Mit einem unheimlichen Drunter und Drüber an Pauschalisierungen, Verallgemeinerungen und Unwahrheiten wird eine sachliche Auseinandersetzung ad absurdum geführt. Trotzdem: Ein Versuch.

Proporz, Bequemlichkeit, beschränkte Mehrsprachigkeit, Trennung, gehemmte Entwicklung — zunächst zählt Mair gleich selbst ein halbes Dutzend Gründe auf, die gegen die Gesellschaftsordnung sprechen, welche aus der Autonomie hervorgegangen ist. Eigentlich das halbe Argumentarium jener, die sich die Überwindung dieser Autonomie wünschen. Ein hilfloser Versuch, ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen? Die angebliche »Tatsache«, die Loslösung vom Nationalstaat sei eine Illusion, untermauert Mair jedenfalls (wie gewohnt) mit keinem einzigen Argument. Es geht nicht, weil’s nicht geht. Und außerdem: Wir leben nicht in einer Diktatur.

Die Schotten, die demnächst über ihren Verbleib im Vereinigten Königsreich abstimmen dürfen, werden meines Wissens auch nicht von einem Despoten aus London unterdrückt — und andersrum leben die Tibeter zwar in einer Diktatur, verlangen aber nichts mehr als eine Südtirolautonomie.

Für Mair zählt: Südtirol ist wohlhabend. Das ist selbstlos. Wer dem vielen Geld die Eigenverantwortung vorzieht, wird von ihm dafür pauschal als Egoist und Fremdenfeind bezeichnet:

Wollen wir etwa in einem Freistaat ärmer werden – eifersüchtig unser kleines Nest gegen Einwanderer und Bettler verteidigend?

– Georg Mair

Und schließlich: Die Autonomie wird zwar beschnitten. Aber zum Glück nicht aus Minderheitenfeindlichkeit, sondern weil die Regierung Monti neoliberal und zentralistisch eingestellt ist. Na dann! Lehnen wir uns doch einfach zurück und genießen es… es kann nur besser werden.

Cëla enghe: 01 02



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Comentârs

6 responses to “Das gute alte Autonomiestatut.”

  1. Flo avatar
    Flo

    Ja, der Artikel ist echt für die Tonne…
    Die FF hat sich ja inzwischen in eine sehr dummen Situation manövriert. Für eine eigenen Staat zu trommeln geht gar nicht, denn das würde die größten Glaubensbekenntnissen der FF ad absurdum führen und dazu würden sie auch noch auf gleicher Linie mit den Freiheitlichen, und noch schlimmer mit den Erzfeinden von der Süd-Tiroler Freiheit stehen.

    Jetzt müssen sie, ob sie wollen oder nicht die Linie der SVP verteidigen. Dass ihnen das sauer aufstösst, sieht man ja in diesem wirren Leitartikel.
    Tja, die berühmte Wahl aus der Sicht der FF für Pest oder Cholera.

    Aber vllt springt die FF ja in ferner Zukunft über ihren eigenen Schatten und recherchiert die Situationen in Schottland und Katalonien. Aber das würde ja u.a. unsere Grünen total vor den Kopf stoßen, weil ihre spanischen Brüder ihre Zentralstaasliebe so gar nicht verstehen wollen…

  2. succus avatar
    succus

    Das dritte Autonomiestatut müsste das Ziel haben, eine offene Gesellschaft zu schaffen, vielsprachig, vielfarbig, unter Einbeziehung der Einwanderer, mit dem Blick nach vorne und nicht zurück in die Vergangenheit, offensiv, nicht abwehrend. Die Fesseln können wir nur selber lösen, nicht Rom, nicht Wien und auch nicht Brüssel.

    Georg Mair widerspricht sich doch selbst. Während ein Großteil des Artikels wieder einmal über unsere allzu bequeme Situation lamentiert wird, gleichzeitig alle Bestrebungen hin zu einem anderen Modell lächerlich gemacht wird, wird im Prinzip im letzten Abschnitt all das gefordert, das ein unabhängiges und freies Südtirol erfüllen könnte. Ich habe erst kürzlich einen Vortrag der SVP zur Vollautonomie besucht, auch hier diesselben Argumente, uns geht es gut, wir müssen nur die Autonomie ein bisschen ausbauen, jede Art von Vision, die über die Schranken der Autonomie hinausgeht, wird als verrückt und illusorisch erklärt. Gleichzeitig wird die Haltung und das Gebaren der aktuellen Regierung Monti kritisiert, die Südtirol alles mögliche nehmen aber nichts geben will. Ja wo bleiben denn die Visionen, die Europäsiche Union wäre niemals entstanden, hätten die Gründerväter derart kleinkariert gedacht, wie unsere heutigen SVP-Politiker und Journalisten. Was ist den so falsch daran, dass Alternativen in Betracht gezogen werden, die über ein paar Verbesserungen des aktuellen Autonomiestatutes hinausgehen?

  3. hunter avatar
    hunter

    was mich an dem artikel so erschreckt:

    1. kein einziger punkt, der vorgebracht wird, ist argumentativ untermauert oder ich bin einfach zu blöd, die logik dahinter zu verstehen

    2. es werden einfach pauschalierende – um nicht zu sagen rassistische – behauptungen aufgestellt.

    Wollen wir etwa in einem Freistaat ärmer werden – eifersüchtig unser kleines Nest gegen Einwanderer und Bettler verteidigend?

    3. montis liberalismus wird – wie pervasion richtig bemerkt – zwar kritisiert aber als “gottgegeben” hingenommen?!??!

    4. und schlussendlich wird alles noch wunderbar auf die ökonomischen aspekte reduziert. ich für meinen teil möchte in keiner region leben, die von anderen regionen durchgefüttert werden muss. auch wenn das bedeuten würde, dass ich ärmer werden würde – was ich nicht glaube. das nennt sich dann eigenverantwortung – aber davon möchte der weltoffene und demokratische herr mair nichts wissen?!??!

    ich frag mich wie der mit soviel analytisch-kombinatorischer fähigkeit tagtäglich aus dem haus findet :-)

  4. hunter avatar
    hunter

    p.s.:

    Die Fesseln können wir nur selber lösen, nicht Rom, nicht Wien und auch nicht Brüssel.

    ist das nicht eine tolle definition des rechtes auf selbstbestimmung?

  5. niwo avatar
    niwo

    Die Autonomie ist laut Georg Mair Garant für die wirtschaftliche Entwicklung gewesen, mittlerweile allerdings manchmal eine Fessel.

    Heute freilich ist das Autonomiestatut selber auch manchmal eine Fessel: weil es einerseits bequem ist, sich darauf zu berufen und so Sonderinteressen zu verteidigen, weil es immer noch eine Trennung der Gesellschaft in Deutsche und Ladiner auf der einen und Italiener auf der anderen Seite festschreibt, weil für die Zulassung zu öffentlichen Stellen nicht das Können als oberstes Kriterium gilt, sondern die Zulassung zu einer Sprachgruppe (der elende Proporz) oder weil es etwa die Einrichtung einer mehrsprachigen Schule erschwert.

    Bezeichnend, dass einem Georg Mair bezüglich möglichen Änderungen bzw. Reformen am Autonomiestatut in erster Linie die Abschaffung des Proporzsystems und eine Immersionsschule einfallen. Anderweitigen Handlungsbedarf scheint er nicht zu erkennen. Diesbezüglich unterscheidet er sich auch nicht wesentlich von einem Günther Pallaver oder der “Manifest 2019 Gruppe”, die auch weitgehend dieser Linie folgen.
    Perspektiven zum konsquenten Ausbau der derzeitigen Teilautonomie sucht man deshalb in Mairs Leitartikel vergeblich. Bei der weiteren Lektüre kommen sowieso ernsthafte Zweifel auf, ob sich Mair jemals seriös mit dem Thema Autonomie im Allgemeinen bzw. der Südtiroler Autonomie im Spezifischen auseinandergesetzt hat.

    Die Feststellung

    Das Autonomiestatut erlaubt es Südtirol, weigehend über sich selber zu bestimmen, auch wenn die Regierung Monti zentralistische Züge zeigt…

    legt den Verdacht von völliger autonomiepoliticher Inkompetenz nahe.

    Die Liste der Bereiche in denen Südtirol über keinerlei Einfluss und Gestaltungsspielraum verfügt ist nämlich wesentlich umfangreicher als die Bereiche in denen wir über primäre Zuständigkeiten verfügen.
    Die Fesseln von denen Mair spricht existieren tatsächlich. Nur verkennt er sowohl deren Ursache wie auch wirkliche Lösungsansätze. Südtirol verfügt in der Tat über brachliegendes Potential. Es ist in erster Linie die Zugehörigkeit Südtirols zu Italien und die darin eingeschlossene nationalstaatliche Logik, die sich durch einen Großteil der gesellschaftlichen Bereiche zieht und zukunftsweisende Entwicklungen verhindert.

    Nicht die MitbürgerInnen, die sich seriös und im Respekt zwischen allen in Südtirol lebenden Sprachgemeinschaften, mit dem Thema Eigenstaatllichkeit und Unabhängigkeit beschäftigen, hängen Illusionen und Utopien nach – nein die größte Utopie, zudem eine äußerst naive Utopie, ist diejenige, dass wir in Südtirol mal ganz salopp Kernbereiche der Autonomie aufschnüren könnten, ohne die Zugehörigkeit zu Italien in Frage zu stellen. Es ist der Nationalstaat der uns einschnürt und die Abschaffung des Proporzsystems bzw. die Einführung von Immersionschulen, außer wohldurchdachten asymmetrischen Modellen nach katalanischem Vorbild, verunmöglicht. Wer diese Zusammenhänge nicht erkennt, mag heute zwar viel von Mehrsprachigkeit und multikultureller Gesellschaft reden, letzendlich aber alle Schleusen öffnen, dass Südtirols Vielfalt in wenigen Jahrzehnten lediglich ein folkloristisches Anhängsel des (italienischen) Nationalstaates ist.

    Das dritte Autonomiestatut müßte das Ziel haben, eine offene Gesellschaft zu schaffen, vielsprachig, vielfarbig, unter Einbeziehung der Einwanderer, mit dem Blick nach vorne und nicht zurück in die Vergangenheit, offensiv, nicht abwehrend.

    Der Nationalstaat hat die Einwanderer in Südtirol längst in seine Zukunftsplanungen einbezogen, mit Italienisch als der alleinigen lingua franca. Wenn wir ein buntes, vielfarbiges und vielsprachiges Südtirol wünschen, gilt es in erster Linie die Fesseln des Nationalstaates abzuschütteln. Ein Nationalstaat hat per se keinen mehrsprachigen Quellcode. Den Blick nach vorne werfen heißt deshalb etwas Neues wagen. Abwehrhaltung und Blick in die Vergangenheit ist bei den Anhängern der Union mit Italien wesentlich verbreiteter als bei den UabhängigkeitsbefürworterInnen.
    Ein staatlich unabhängiges, ökosoziales, mehrsprachiges, multikulturelles und wirtschaftlich starkes Südtirol muss die Zielmarke sein.

  6. pérvasion avatar

    Niwo hatte seinen Kommentar eigentlich als Artikel geschrieben, leider bin ich ihm um wenige Minuten zuvor gekommen… Um nicht zwei Diskussionen zum selben Thema zu eröffnen, hat er sich dazu bereit erklärt, seinen Beitrag als Kommentar zu posten.

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