Nachtrag: Sprachencharta: Doch nicht.
Inmitten einer nicht enden wollenden Reihe von autonomie- und minderheitenfeindlichen Beschlüssen hat die technische Regierung um Professor Mario Monti jetzt unerwartet die Europäische Charta für Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats* ratifiziert. Wie das zusammenpasst, ist nicht ganz nachvollziehbar. Trotzdem handelt es sich um einen sehr wichtigen Schritt, den bisher weder Rechts- noch Linksregierungen gewagt hatten — schließlich lag der Vertrag bereits seit 1992 auf. Ganze 20 Jahre hat das Italien, das sich gern selbst einen vorbildlichen Umgang mit seinen Minderheiten bescheinigt, zur Ratifizierung benötigt, und war somit mit Griechenland und Frankreich eines der letzten säumigen EU-Mitgliedsstaaten.
Die Charta beinhaltet einen gestaffelten Minderheitenschutz: Der allgemeinere Teil II des Vertrages ist auf alle Sprachgemeinschaften anzuwenden, die sich auf dem Staatsgebiet befinden. Der wesentlich verbindlichere Teil III gilt hingegen nur für ausgewählte Minderheiten, deren Liste jeder Staat bei Hinterlegung der Ratifizierung beim Europarat nennen muss**. Diese »Ungleichbehandlung« sollte dazu dienen, Staaten nicht grundsätzlich von einer Ratifizierung abzuschrecken. Somit bleibt aber noch abzuwarten, ob und welchen Minderheiten Italien den Schutz von Teil III angedeihen lassen möchte.
Die Charta ist selbst nach ihrer Ratifizierung rechtlich nicht verbindlich, ein vor einer internationalen Instanz einklagbarer Anspruch erwächst den Minderheiten dadurch nicht. Dieses erste völkerrechtliche Abkommen zum Schutz von Minderheitensprachen setzt vor allem auf sanften Druck und Überzeugungsarbeit: In regelmäßigen Abständen müssen die Mitgliedsstaaten über die Umsetzung der Maßnahmen Rechenschaft ablegen, darüberhinaus reisen Beobachter des Europarats in die jeweiligen Gebiete und sammeln eventuelle Gegendarstellungen oder Beanstandungen von Regionalregierungen, Minderheitenvertretern und Nichtregierungsorganisationen (NROs). Daraus entstehen dann Berichte mit Empfehlungen und Rügen, die den Minderheiten als politisches Argumentarium dienen.
Am meisten werden in Italien selbstverständlich die bislang weniger gut geschützten Minderheiten von der Charta profitieren — jedenfalls, wenn sie in den Genuss der Maßnahmen von Teil III kommen. Aber auch für Südtirol sind noch wesentliche Verbesserungen möglich, wenn wir den internationalen Beobachtern nicht die gewohnte Mär von der Modellautonomie auftischen: Katalanen und Basken (Spanien hat das Abkommen vor 11 Jahren genehmigt) konnten ihre Rechte dank Charta in einigen Punkten wesentlich verbessern.
Wichtig ist außerdem, dass sich Italien mit diesem Vertrag offiziell zu einer international anerkannten Definition von Sprachminderheiten bekennt. Im Wortlaut:
»Regional- oder Minderheitensprachen« [sind] Sprachen, i) die herkömmlicherweise in einem bestimmten Gebiet eines Staates von Angehörigen dieses Staates gebraucht werden, die eine Gruppe bilden, deren Zahl kleiner ist als die der übrigen Bevölkerung dieses Staates, und ii) die sich von der (den) Amtssprache(n) dieses Staates unterscheiden; er umfasst weder Dialekte der Amtssprache(n) des Staates noch die Sprache von Zuwanderern.
Damit wird dem Versuch einiger italienischen Rechtsparteien in Südtirol, die Italiener als Minderheit zu definieren, um den Minderheitenschutz auszuhöhlen, ein Riegel vorgeschoben. Noch ausdrücklicher wird die Charta in folgendem Abschnitt:
Das Ergreifen besonderer Maßnahmen zugunsten der Regional- oder Minderheitensprachen, welche die Gleichstellung zwischen den Sprechern dieser Sprachen und der übrigen Bevölkerung fördern sollen oder welche ihre besondere Lage gebührend berücksichtigen, gilt nicht als diskriminierende Handlung gegenüber den Sprechern weiter verbreiteter Sprachen.
Speziell für die Ladiner könnte folgender Passus interessant werden, der in Teil II enthalten ist und somit allen Minderheiten zugute kommt:
b) die Achtung des geographischen Gebiets jeder Regional- oder Minderheitensprache, um sicherzustellen, daß bestehende oder neue Verwaltungsgliederungen die Förderung der betreffenden Regional- und Minderheitensprache nicht behindern.
Dies könnte einerseits dazu beitragen, den Übergang der ladinischen Gemeinschaften in Souramont von Venetien zu Südtirol durchzusetzen, andererseits aber auch die Schaffung einer ladinischen Bezirksgemeinschaft in Südtirol zu ermöglichen, die das Land bisher stets behindert hat.
*) nicht mit der EU zu verwechseln
**) doch auch hier müssen die Staaten unter 98 aufgezählten Schutzmaßnahmen »nur« 35 aussuchen, die sie ihren Minderheiten auch tatsächlich zubilligen
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