an Bürgermeister Luigi Spagnolli und
an Giovanni Benussi, Präsident der
»Associazione Nazionale Venezia Giulia e Dalmazia« von Bozen
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, lieber Gigi,
sehr geehrter Herr Benussi,
für Kriegsverbrechen, wie sie gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und auch noch danach an der italienischsprachigen Bevölkerung im oberen Adriaraum begangen wurden, kann und darf es niemals eine Rechtfertigung geben. Das jahrzehntelange »offizielle Ignorieren« der Foibe-Massaker im Nachkriegsitalien muss für die Betroffenen und Hinterbliebenen zutiefst demütigend gewesen sein. Sie haben daher jedes Recht – ja ich würde meinen sogar die Pflicht – der Opfer der Morde und Vertreibungen zu gedenken.
Im Sinne einer zeitgemäßen Gedenk- und Erinnerungskultur glaube ich jedoch, dass das (absichtliche?) Ausblenden des geschichtlichen Kontexts und das konsequente Verharren in der Opferrolle am »Giorno del Ricordo« dem Geschehenen nicht adäquat Rechnung trägt. Es geht hierbei keinesfalls um Revanchismus oder gegenseitiges »Aufrechnen« und erst recht nicht um die Verharmlosung von Gräueltaten, aber ich hoffe, Sie können eine Erklärung von einer Rechtfertigung unterscheiden. Die grausame Ermordung Unschuldiger (wie im Übrigen — nach meinem Rechtsempfinden — auch Schuldiger) ist niemals und nirgendwo gerechtfertigt – unabhängig davon, ob sich einige der Opfer selbst Gräueltaten schuldig gemacht haben. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass ein »Tag der Erinnerung«, bei dem nicht auch die Konzentrationslager, die Zwangsarbeit und die willkürlichen Erschießungen slawischer Bewohner von Istrien und Dalmatien durch die mit den Nazis verbündeten Faschisten Eingang in die Reden finden, genau jenem schwarz-weiß-malerischen Täter-Opfer-Schema verhaftet bleibt, welches eine tiefgreifende Aufarbeitung der Untaten des 20. Jahrhunderts unmöglich macht; ja mehr noch, manche der Katastrophen sogar bedungen hat.
Wie Sie bestimmt wissen, gab es im Laufe von kriegerischen Auseinandersetzungen immer wieder und vielerorts revanchistische Verbrechen an meist unschuldigen Zivilisten. Trotzdem wäre beispielsweise eine Betrachtung der Vertreibung der Sudetendeutschen, ohne sie in Zusammenhang mit der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten zu stellen, zutiefst befremdlich. Ebenso ist die »Ethnisierung« solcher Verbrechen in der Gegenwart eine bedenkliche Praxis. So wie der Vernichtungsmaschinerie Hitlerdeutschlands nicht nur Juden sondern auch Homosexuelle, Roma und Sinti, Widerstandskämpfer und andere Gruppen zum Opfer gefallen sind, so landeten in den Karsthöhlen auch Gegner der Partisanen, Wehrmachtssoldaten und slawische Kollaborateure der Nazis und Faschisten.
Wie die Teilnahme des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder an den Gedenkfeierlichkeiten zum D-Day 2004 in der Normandie und auch die bayerischen Abordnungen beim Landesfestumzug zur Erinnerung an die Bergisel-Schlachten 2009 in Innsbruck gezeigt haben, sollte mit der nötigen Distanz eine gemeinsame Erinnerungskultur ohne lehrmeisterisches Fingerzeigen möglich sein. Dies setzt allerdings eine Abkehr vom bipolaren Täter-Opfer-Denken und das offene Eingeständnis einer »historischen Schuld«, die nicht als Kollektivschuld der damaligen und schon gar nicht der heutigen Bevölkerung zu verstehen ist, voraus.
Ich verfasse diesen Brief nicht zuletzt auch deshalb, weil die Geschichtsaufarbeitung in Südtirol im Allgemeinen und in Bozen im Besonderen weiterhin und offensichtlich zwingend ebenfalls der revanchistischen Logik folgt. Auch die Unsitte, sämtlichen geschichtlichen Ereignissen immer gleich eine ethnische/nationalistische Dimension angedeihen zu lassen — und zwar auch dort, wo es keine gibt* — bestimmt in unserem Land nach wie vor den öffentlichen historischen Diskurs. Ich würde mir wünschen, dass man auf allen Seiten die Größe aufzubringen imstande ist, das nationalistische Konfliktdenken des 20. Jahrhunderts ein für alle Mal hinter sich zu lassen. Anstatt nur vom »rispetto e la consapevolezza che vi possono essere anche culture diverse dalla nostra« zu sprechen, wäre es doch schön, wenn Italiener, Slowenen und Kroaten sich bei den kommenden Gedenkfeiern auf Augenhöhe begegnen und den vollmundigen Worten auch Taten — sprich eine bleibende gegenseitige Versöhnung — folgen ließen. Gemäß dem Grundsatz: »Vergeben ja, vergessen nie!«
Harald Knoflach
*) »Ethnisierung der Geschichte« in Südtirol: Zwei Beispiele, in denen die Ethnie keine Rolle spielt respektive spielen sollte, die jedoch eindeutig ethnisch besetzt sind:
Die Frage der »faschistischen Relikte« ist keine ethnische, sondern eine ideologische. Die Trennlinie verläuft dabei nicht zwischen deutsch/ladinisch und italienisch sondern zwischen demokratisch und totalitär. Es ist absurd, aus dem Siegesdenkmal eine auch nur im Entferntesten identitätsstiftende Komponente für die italienischsprachige Bevölkerung Südtirols konstruieren zu wollen.
Obwohl der Anschein in Südtirol ein anderer ist, hat der — durchaus kritisch zu betrachtende — Andreas-Hofer-Kult historisch gesehen keine ethnische Dimension. Andreas Hofer starb 51 Jahre vor der Einigung Italiens, er war sogar — wie es damals hieß — »der walschen Sprache« mächtig und in seinen Reihen kämpften am Bergisel dutzende Welschtiroler (also italienischsprachige) Verbände freiwillig gegen Bayern und Franzosen.
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