Außer meinem Leserbrief ist zum Thema Freistaat in der dieswöchigen ff auch einer von Georg Lezuo erschienen, der die Meinung vieler — vor allem »alternativer« — Südtirolerinnen (Beispiele: 01
02
) gut zusammenfasst. Aus diesem Grund eignet er sich für einen Kommentar ganz besonders. Der Wortlaut:
Wenn es bereits in Südtirol in seinem heutigen Zustand als mutige Tat gilt, Gedanken, die den Mächtigen nicht genehm sind, offen auszusprechen; wenn mir wohlmeinende Menschen davon abraten, mich als Lehrer über Führungsstil und Entscheidungen innerhalb der lokalen Schulhierarchie auszulassen; wenn man nicht allzu selten herbem, respektlos Spott ausgesetzt ist, weil Akzent und Tonfall das Hochdeutsch als Erstsprache verraten, dann frage ich mich: Wie wird es sein, wenn derart kleinkarierte, intolerante Spießer unumschränkte Herren im kleinen, engen, kontrollierbaren Land wären?
Ein solcher Freistaat ähnelte eher einem Gruselkabinett, ja einer Hölle auf Erden. Sollte es in der Tat zur Entstehung eines Freistaates kommen, täte ich womöglich etwas, womit ich in jüngeren Jahren in meinen Gedanken gespielt habe: Ich würde meine Koffer packen und mir für den Rest meines Lebens anderswo eine Bleibe suchen. Irgendwo, wo ich mich frei fühlen würde.Georg Lezuo, Bozen
Da ich nicht glaube, dass Herr Lezuo den Südtirolerinnen grundsätzlich bescheinigen möchte, schlechtere Menschen zu sein — Rassismus unterstelle ich ihm nicht — muss doch irgendwie anders erklärbar sein, dass »in Südtirol in seinem heutigen Zustand als mutige Tat gilt, Gedanken, die den Mächtigen nicht genehm sind, offen auszusprechen«. Lassen wir mal die Frage offen, ob Lezuos Aussage wirklich zutrifft: Ich persönlich trete mit meinem Blog ziemlich vielen auf den Schlips, eine auch nur indirekte Bedrohung oder Benachteiligung habe ich jedoch noch nie erlebt. Den wenigsten Humor und die geringste Gelassenheit bringen regelmäßig — leider! — im weitesten Sinne Oppositionelle und nicht die SVP auf. Nehmen wir trotzdem mal an, Herrn Lezuos Aussage stimmt, und trifft auf Südtirol auch noch in einem höheren Maße zu, als auf andere Regionen des Kontinents*. Was jedenfalls relativ unstrittig scheint, ist, dass wir in Südtirol ein Machtproblem haben — ein Problem der Machtkonzentration. Eine einzige Partei vereint über einen ungewöhnlich langen Zeitraum eine ungewöhnlich große Macht auf sich: Dass dies zu Filz, Freunderlwirtschaft und den Problemen führen kann, die Herr Lezuo nennt, liegt auf der Hand.
Die entscheidende Frage, die man sich nun stellen muss, ist, aufgrund welcher Voraussetzungen diese Konstellation entstehen konnte. Die Antwort darauf sollten alle kennen: Minderheit im Nationalstaat, kalter Wind aus Rom, Zusammenhalt, Autonomie und schließlich: Sammelpartei. Eine solche Partei gibt es in Liechtenstein und in Luxemburg nicht, es gibt sie nicht in Nordtirol oder in der Schweiz. Ja nicht einmal in Bayern, obwohl einige Parallelen zweifellos bestehen (die SPD hat aber nicht mit der CSU fusioniert).
Warum also geht Herr Lezuo davon aus, dass die Unabhängigkeit diese Situation erhalten, ja noch verstärken würde, anstatt sie ein für alle Male auf den Müllhaufen der Geschichte zu verbannen? Seine Schlussfolgerung greift zu kurz: Warum ist die Volkspartei — entgegen ihrer statuarischen Grundsätze — zwar für den Ausbau des derzeitigen Systems, aber gegen die Loslösung vom Nationalstaat? Könnte es vielleicht auch daran liegen, dass dann der soziale Kitt, die Rechtfertigung für ein demokratisch so unnatürliches Konglomerat abhanden käme?
* was ich nach 6 Jahren in der Schweiz nicht ohne weiteres bestätigen würde
Scrì na resposta