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  • Bahnhofsschilder: ÖBB lassen Südtirol alt aussehen.
    Zweisprachigkeit

    LH Peter Kaiser (Kärnten), BM für Klimaschutz Leonore Gewessler, Vorstand ÖBB-infra Johann Pluy (© ÖBB/evmedia)

    Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) haben kürzlich angekündigt, bis Ende des laufenden Jahres alle Bahnhöfe in Österreich, deren Standort nach dem Volksgruppengesetz als zweisprachig gilt, in beiden offiziellen Sprachen zu beschildern. Das gilt für Ortschaften in Kärnten (Slowenisch) und Burgenland (Kroatisch), wobei die Beschriftungen — wie auf dem Bild ersichtlich — gleichwertig sind.

    Was diese Ankündigung aus meiner Sicht besonders macht ist, dass es für die ÖBB keinerlei gesetzliche Verpflichtung zur zweisprachigen Beschriftung gibt. Das ist natürlich einerseits ein Manko, macht aber andererseits eine (neue) Sensibilität offensichtlich, die sich auch andere zueigen machen könnten.

    In Südtirol zum Beispiel gibt es für die Bahn bzw. den Schienennetzbetreiber RFI seit langem eine klare gesetzliche Verpflichtung zur gleichwertigen Behandlung der Landessprachen Deutsch und Italienisch — doch RFI setzt sich darüber immer hinweg, in vergangenen Jahren sogar relativ systematisch. In italienischen Gebieten mit anerkannten sprachlichen Minderheiten, in denen sich für RFI jedoch keinerlei Verpflichtung zur zweisprachigen Beschilderung ergibt, sind die Schilder meinen sporadischen Beobachtungen zufolge ausschließlich auf Italienisch und Englisch.

    Per Selbstverpflichtung »überholt« ÖBB infra nun durch die freiwillige Gleichbehandlung von Slowenisch und Kroatisch mit Deutsch sogar Südtirol, wo es in den letzten Jahren hingegen immer wieder zu (illegalen) Rückschritten (01 02 03) gekommen ist.

    Cëla enghe: 01 02 | 03 04 05 06



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  • Innsbrucker Fingerspitzengefühl.
    Bozner Platz wird zur Piazza

    In der Architektur – zumal der Landschaftsarchitektur und dem Städtebau – geht es nicht bloß um Ästhetik und Funktionalität. Qualitätsvolle Architektur ist stets auch ein Dialog. Ein Dialog mit der Umgebung und der Geschichte des Ortes. Als Ausgangspunkt für die Planung dient dabei der Genius Loci (dt. Geist des Ortes). Er beschreibt das bisweilen nicht Sicht- jedoch Spürbare einer Lokalität.

    Seit Jahren wird in Innsbruck über eine längst überfällige Umgestaltung des Bozner Platzes am Rande der Innenstadt debattiert. Nach einer Ausschreibung steht laut Informationsportal der Stadt nun das Siegerprojekt fest, das bis 2025 umgesetzt werden soll.

    Ungeachtet der rein städtebaulichen Qualität der Umgestaltung durch EGKK Landschaftsarchitektur aus Wien ist die Terminologie, mit der das Projekt präsentiert wird, ein ziemlicher Griff ins Klo. “Bozner Platz wird zur Piazza” und “Gemeinderat beschließt mehrheitlich Projekt ‘Piazza’” heißt es auf der Internetseite und im Info-Magazin der Stadt Innsbruck. Fragen zum Projekt können über die Mailadresse piazza@innsbruck.gv.at gestellt werden, heißt es. Das Ziel sei, italienisches Flair nach Innsbruck zu bringen. Das ist an und für sich überhaupt kein Problem. Es gibt jedoch genau zwei Plätze in Innsbruck, wo die Umsetzung dieses Unterfangens ein No-Go ist, weil es dem “Geist des Ortes” diametral entgegensteht.

    Angesichts der Teilung Tirols und der faschistischen Verbrechen in Südtirol, die mit einem Verbot der endonymen Ortsbezeichnungen und generell der deutschen Sprache einhergingen, hat der Innsbrucker Gemeinderat 1923 beschlossen, mehrere Straßen und Plätze im Zentrum der Stadt nach Südtiroler Orten zu benennen. Seither heißt der Platz am Hauptbahnhof “Südtiroler Platz”. Von dort nach Norden führt die Brunecker Straße und nach Süden die Salurner Straße. Gegen Westen hin kommt man über die Brixner Straße zum Bozner Platz und weiter zur Meraner Straße. Dieser ganze Bereich Innsbrucks ist also ein toponomastisches Mahnmal gegen Faschismus, eine Sichtbarmachung dessen, dass Mussolini versucht hat, alles Deutschsprachige zu eliminieren und Südtirol gewaltsam zu italianisieren.

    Und jetzt kommt man in der Tiroler Landeshauptstadt auf die großartige Idee, ausgerechnet den Bozner Platz symbolisch zu italianisieren. Also genau jenen Akt zu setzen, gegen den sich die Umbenennung vor knapp über 100 Jahren richtete. Angeblich soll auch bereits die Bezeichnung “Piazza Bolzano” die Runde machen. Zwar wird der Platz laut Bürgermeister Johannes Anzengruber (JA-Jetzt Innsbruck) auch weiterhin Bozner Platz heißen, aber die Optik ist dennoch schiach, wie der Innsbrucker sagen würde. Nicht zuletzt in Anbetracht des Erstarkens rechtspopulistischer bis rechtsextremer Gruppierungen (FPÖ, AfD usw.), postfaschistischer Kräfte an Italiens Regierungsspitze (Fratelli d’Italia) und genereller illiberaler Tendenzen in ganz Europa (Ungarn, Slowakei usw.) ist dieser geschichtsvergessene Umgang mit belasteter und belastender Geschichte ein zutiefst befremdlicher und der “Weltstadt” unwürdiger.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05



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  • Schülerinnen vor dem Ideologiekarren.
    Fall “Goetheschule” offenbart einmal mehr mangelnde Debattenkultur

    Die laufende – auch medial geführte – Diskussion um die geplante ominöse “Sonderklasse” in der Bozner Goetheschule erschreckt mich auf vielen Ebenen. Wieder einmal werden ideologische Grabenkämpfe auf dem Rücken jener ausgetragen, die wenig Macht und keine Lobby haben. Aber alle wissen – in bester Ferndiagnosenmanier -, was das Beste für sie sei.

    Bevor ich meine Gedanken dazu äußere, möchte ich zwei Dinge vorausschicken:

    1. Soweit ich das mitbekommen habe, weiß man nach wie vor nicht im Detail, was in der Goetheschule geplant war bzw. gibt es widersprüchliche Informationen dazu. Was wären die exakten Kriterien für diese “Sonderklasse” gewesen? Wie lange hätte sie Bestand gehabt? Hätte es übergreifende Aktivitäten gegeben? Das alles sind entscheidende Fragen für eine seriöse Beurteilung.
    2. Mir sind im Moment ebenfalls nur Vermutungen über die Motive hinter der geplanten “Sonderklasse” bekannt. Man kann nicht gesichert sagen, ob die Motivation rein pädagogischer Natur war, ob es Druck von irgendwelchen Seiten (Eltern, Politik usw.) gegeben hat, der eventuell auch anti-migrantisch bzw. anti-italienisch angehaucht ist oder ob es schlicht ein Hilfeschrei einer Direktorin war, die auf eine schwierige Situation, auf mangelnde Unterstützung, auf überfordertes (schlecht bezahltes) Personal bzw. auf prekäre finanzielle und personelle Ressourcen aufmerksam machen wollte.

    Da ich obige Informationen nicht habe, maße ich mir – im Gegensatz zu den meisten anderen – kein Urteil, nicht einmal ein persönliches, an. Ich weiß nicht, ob besagte Klasse pädagogisch sinnvoll wäre oder ob es im spezifischen Fall unter den gegebenen Umständen bessere Lösungen gäbe. Falls tatsächlich einzig und allein anti-migrantische und anti-italienische Motive dahinterstecken sollten, ist die Aktion freilich verwerflich.

    Ungeachtet dessen lassen sich dennoch ein paar allgemeine Beobachtungen machen:

    1. Die Zahl jener, die bei gewissen Schlagworten einem “Geht-nicht-Reflex” folgen und Ideologie über das Wohl von Kindern stellen, anstatt zu differenzieren und sich die Sache genauer anzusehen bzw. auf ausreichend Informationen zu warten, ist erstaunlich hoch in diesem Land.
    2. Inklusion ist ein hoher Wert, den es zu verteidigen gilt. Das ist keine Frage. Aber es ist kein absoluter Wert, zumal er mit anderen pädagogischen Prinzipien, die auch wichtig sind, konkurriert. Die konkrete Umsetzbarkeit einer inklusiven Schule hängt dann noch maßgeblich von den vorhandenen finanziellen und personellen Ressourcen ab. Zudem ist auch der mengenmäßige Anteil jener mit Inklusionsbedarf entscheidend, ob das Unterfangen gelingen kann. Sind die Rahmenbedingungen nicht gegeben – sprich fehlen die Ressourcen oder ist das Verhältnis extrem unausgewogen – ist ein zielführender Unterricht, von dem alle gleichermaßen profitieren, nicht durchführbar.
    3. Differenzierung und individuelle Förderung sind weitere wichtige pädagogische Prinzipien. Jede Schülerin ist eine einzigartige Persönlichkeit mit jeweils einzigartigen Fähigkeiten. Diese zu fördern bedeutet, dass nicht alle Schülerinnen den gleichen Unterricht erhalten bzw. benötigen, weil man vom jeweiligen Kenntnisstand – den es auch zu erheben gilt – sowie den Entwicklungsmöglichkeiten ausgehen muss. Dabei kann eine vorübergehende räumliche Trennung unter bestimmten Umständen durchaus angezeigt sein.
    4. Die Schulautonomie ist auch so ein Wert, den ich für essentiell erachte, da sie pädagogische Innovation fördert und individuelle, situationsbezogene Anpassungen und Experimente vulgo Schulversuche ermöglicht. Für gewöhnlich weiß nämlich das pädagogische Fachpersonal am besten, was es braucht, um mit den Kindern erfolgreich arbeiten zu können. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass jene, die in Bezug auf die mehrsprachige Schule auf Flexibilität, Schulautonomie und Experimente/Schulversuche pochen meiner Beobachtung nach fast deckungsgleich mit jenen sind, die nun im Fall der Goetheschule auf die strikte “Einhaltung der Gesetze” beharren. Und umgekehrt verweist die “Alles-Deutsch”-Fraktion gerne auf Artikel 19 und rechtliche Probleme bei einer etwaigen Einführung der mehrsprachigen Schule, hat aber nun kein Problem mit der Aufweichung des Inklusionsgrundsatzes. Das alles ist Beleg dafür, wie ideologiegetrieben diese Diskussion von allen Seiten geführt wird und wie Standpunkte absolut gesetzt werden. Für Differenzierung ist da kein Platz.
    5. Wenn wir davon ausgehen, dass die Entscheidung für eine “Sonderklasse” eine rein pädagogische war, dann hat die Trennung nichts mit Ausgrenzung oder Diskriminierung zu tun. Es werden nicht Schüler nach ihren Fähigkeiten bzw. Möglichkeiten sortiert, sondern es werden jene, die im Moment (!) noch nicht über die sprachlichen Fertigkeiten verfügen, einem Unterricht auf Deutsch (!) folgen zu können, gezielt darauf vorbereitet. Das ist ein riesiger Unterschied. Die Kenntnis der deutschen Sprache ist nämlich nicht bloß eine von vielen Fertigkeiten, die in der Schule gelehrt werden, sondern sie ist das Vehikel, ja die Voraussetzung, dass Unterricht überhaupt funktioniert. Es ist folglich nicht notwendigerweise so, dass die Kinder, die diesen Bedarf haben (a) nur migrantische Kinder sein müssen, sondern es können auch Kinder aus einsprachig italienischen Familien sein (b) lernschwach sind oder eine Beeinträchtigung haben, denn Schülerinnen, die Schwierigkeiten beim Lernen oder die eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung haben, jedoch Deutsch verstehen, können dem Unterricht durchaus folgen und bräuchten auch keine entsprechende “Sonderklasse” und umgekehrt würden auch Hochbegabte für diese “Sonderklasse” infragekommen, (c) sprachliche Probleme an sich – vielfach sind vor allem migrantische Kinder bereits zwei- oder mehrsprachig -, sondern lediglich ein behebbares Manko in der Unterrichtssprache haben. Es geht daher ausschließlich darum, wie sich diese Defizite am schnellsten und effizientesten beheben lassen, damit eine Teilnahme am regulären Unterricht sinnvoll ist. Ob dies am besten – wie in vielen anderen Ländern bei ähnlich gelagerten Problemen – über eine “Willkommensklasse” erfolgt oder ob dies auch während des Regelunterrichts in der Klasse möglich ist, kann ich nicht beurteilen, hängt aber gewiss vom jeweiligen prozentuellen Anteil der Schülerinnen einer Klasse ab, die dem Unterricht aus sprachlichen Gründen nicht folgen können. Auch ob zusätzliche Unterstützungsangebote außerhalb der Schulzeit zielführend sind, ist im Einzelfall vom pädagogischen Personal abzuwägen, wenngleich dabei die Gefahr besteht, dass die Belastung für die Kinder irgendwann zu groß wird. Denn den ganzen Vormittag in einer Klasse zu sitzen, in der ich kein Wort verstehe, ist mit großem Stress und bei manchen auch mit Scham verbunden, was sich zusätzlich demotivierend auswirken kann.
    6. Natürlich ist es auch umgekehrt möglich, dass die Zuweisung in eine “Sonderklasse” demotivierend und schambehaftet sein kann. Doch sind diese Gefühle eine Frage der Persönlichkeit der Schülerin. Abhängig vom jeweiligen Charakter ist entweder die eine oder die andere Situation belastender. Generell bin ich der Meinung, dass es im Sinne der Resilienz und der selbstbewussten Herausbildung von Persönlichkeit nicht sinnvoll ist, Schülerinnen vor jeder nur erdenklichen emotional herausfordernden Situation zu bewahren. Im Gegenteil – gerade die Schule bietet die Möglichkeit, dass diese Emotionen in einem geschützten und professionell betreuten Umfeld erfahren werden können. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht hier nicht um absichtliche Diskriminierung, Stigmatisierung oder Mobbing. Gegen solche Tendenzen muss mit aller Vehemenz vorgegangen werden und niemand sollte derlei Umgang erfahren müssen. Aber bezüglich realistischer Einschätzungen und objektiver Befunde in Bezug auf Fähigkeiten und Fertigkeiten muss die Schule ein Ort der Zumutung sein. Sich dessen bewusst zu sein, dass alle Menschen unterschiedliche Voraussetzungen haben und seine eigenen Möglichkeiten realistisch einordnen und mit Kritik umgehen zu können, ist essentiell für ein glückliches und erfolgreiches Leben. Die Tatsache, dass ich manche Dinge weniger gut kann als andere Menschen und dies auch befundet bekomme, ist nicht diskriminierend oder demütigend. Und schon gar nicht ändert dies etwas an meiner Wertigkeit als Mensch. Wer etwas Anderes auch nur im entferntesten suggeriert, ist ein Idiot. Beispielsweise bin ich kein begabter Sänger. Ich könnte mit viel Training bestimmt etwas besser singen als im Moment, doch ich werde nie ein guter Sänger werden. Dafür fehlt mir schlicht das Talent und eventuell habe ich auch nicht die besten anatomischen Voraussetzungen. Die Tatsache, dass ich das auch in der Schule bestätigt bekommen habe, war nicht angenehm, aber nicht demütigend oder diskriminierend. Es war eine objektive Einschätzung, derer ich mir selber bewusst bin. Es war für mich auch kein Problem, dass ich nicht gefragt wurde, ob ich beim Schulchor mitmachen möchte. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, wegen meines mangelnden Gesangstalentes an meiner Wertigkeit als Mensch zu zweifeln.
    7. Ein weiteres Indiz dafür, dass hier Erwachsene ihre ideologischen Differenzen austragen, ohne dass es ihnen um das Wohl der Kinder geht, ist der Umstand, dass die betroffenen Schülerinnen als dumm hingestellt werden: zum Einen weil angedeutet wird, dass diese “Sonderklasse” irgendetwas mit intellektueller Selektion zu tun hätte und zum Zweiten weil man offenbar davon ausgeht, dass die besagten Kinder zu blöd sind, um zu verstehen, dass das schnellstmögliche Erlernen der Unterrichtssprache die Voraussetzung für ihr Vorankommen ist, das ihnen ganz viel Frust und Demütigung erspart und sie in der Folge – allein dem mangelnden Verständnis der Unterrichtssprache geschuldet und trotz eventuell großen fachlichen Talents – nicht von Jahr zu Jahr einfach nur “weitergeschoben” werden. Wieder kann ich in diesem Zusammenhang mit einer persönlichen Erfahrung aus meiner Schulzeit aufwarten. In der Unterstufe war ich der einzige in meiner Klasse, der nicht schwimmen konnte, was mir ziemlich peinlich war. Im Rahmen des Sportunterrichts stand nämlich auf dem Programm, dass wir für einen positiven Abschluss ein Schwimmabzeichen (es gab da drei Stufen) erringen mussten. Für mich als Nichtschwimmer machte die Teilnahme daran aber zunächst keinen Sinn, weil mir im übertragenen Sinne “die Unterrichtssprache” fehlte. Also kam ich in eine “Sonderklasse”, in der ich in kurzer Zeit lernte, mich über Wasser zu halten. Zurück bei den anderen schaffte ich dann am Ende das einfachste der drei Abzeichen problemlos. Mittlerweile beherrsche ich alle vier Schwimmarten und kann besser schwimmen als einige meiner damaligen Klassenkameraden.
    8. Insgesamt werden im medialen Diskurs Dinge in Zusammenhang gebracht, die überhaupt nichts mit der Angelegenheit zu tun haben bzw. wo maximal eine Korrelation, jedoch kein Kausalzusammenhang besteht. Salto-Chefredakteur Fabio Gobbato merkt an, dass der Anteil von Schülerinnen mit Migrationshintergrund in den italienischen Schulen im Schnitt höher ist als in den deutschen. Und auch das Wochenmagazin ff veröffentlicht eine entsprechende Grafik. Für die ganz Schlauen: (1) Selbst wenn der Durchschnitt an italienischen Schulen höher ist, heißt das nicht, dass eine einzelne deutsche Schule nicht vielleicht sogar den höchsten Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund im Land haben kann. (2) Ein hoher Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund bedeutet nicht automatisch, dass der Anteil jener, die die Unterrichtssprache nicht verstehen, hoch sein muss. Das Problem besteht vor allem dann, wenn Kinder, die in der Staatssprache sozialisiert wurden – was bei Kindern aus italienischsprachigen und migrantischen Familien nahezu immer bis sehr oft der Fall ist – freiwillig (!) die Schule einer anderen Sprachgruppe besuchen möchten. Im großen Stil passiert das in Südtirol aufgrund der demographischen Gegebenheiten nur in den urbanen Ballungsräumen, wo die meisten Italienischsprachigen und Migrantinnen wohnen. Somit ist das Phänomen, dass viele Kinder die Unterrichtssprache nicht verstehen, meiner bescheidenen Einschätzung nach, eventuell sogar hauptsächlich in einzelnen deutschsprachigen Bildungseinrichtungen und weniger in italienischen Schulen zu beobachten.
    9. ff-Chefredakteur Georg Mair wiederum obliegt es, die Südtiroler Tradition, dass alles, was nicht bei drei auf einem Baum ist, als Resultat der Absenz einer mehrsprachigen Schule betrachtet wird, hochzuhalten. In einem Kommentar mit dem sagenhaft blöden Titel “Zum Glück ist Südtirol Italien” wird dann von “Ausgrenzung”, “Verletzung” und “ungenügenden Ansprüchen” gesprochen, es wird ein Zusammenhang zu schulischer Leistungsfähigkeit hergestellt und der Landesrat einer postfaschistischen Regierungspartei bemüht, der sich freilich aus ganz edlen Gründen für die Inklusion der Italienischsprachigen in die deutsche Schule einsetzt #ironieoff.
    10. Zuletzt sei noch erwähnt, dass die Angelegenheit im Lichte einer Minderheitensituation in einem Nationalstaat gesehen werden muss, dass Bozen aufgrund der im Verhältnis zum Land umgekehrten Mehrheitssituation noch einmal einen Sonderfall darstellt und dass die Schulen mit deutscher Unterrichtssprache sich mit einem Dilemma konfrontiert sehen. Deutsche Schulen in Südtirol unterscheiden sich von den italienischen insofern, als dass sie die Ausnahme zur Regel im Staat bilden, somit – trotz des Schutzstatus – einem gewissen Assimilierungsdruck ausgesetzt sind und eben zum Zwecke errichtet wurden, die deutsche Sprache in Südtirol zu erhalten. Die Tatsache, dass viele Kinder mit Migrationshintergrund italienisch sozialisiert sind ist weniger einer vermeintlichen Verschlossenheit deutschsprachiger Südtirolerinnen geschuldet, sondern liegt in der nationalstaatlichen Logik begründet: Migrantinnen wandern nach Italien ein und lernen folglich Italienisch. Auch der vielfach beobachtete (und latent rassistische) Habitus, dass deutschsprachige Südtirolerinnen mit äußerlich ausländisch erscheinenden Menschen automatisch auf Italienisch kommunizieren, bestätigt diesen Menschen, dass in “Südtirol ist Italien” Italienisch gesprochen wird. Überdies leben Kinder mit Migrationshintergrund hauptsächlich in Städten, in denen in Südtirol überdurchschnittlich viele Italienischsprachige wohnen und somit die Kontakte aus obigem Grund hauptsächlich zu dieser Sprachgruppe erfolgen. In Anbetracht dessen ist es wünschens- und begrüßenswert, wenn auch Kinder mit Migrationshintergrund oder aus italienischsprachigen Familien vermehrt eine Ausbildung in deutschsprachigen Schulen suchen. Eine Schule besuchen zu wollen, deren Unterrichtssprache nicht verstanden wird, ist in vielen Fällen eine freiwillige Entscheidung der Eltern, die ihren Kindern das zumuten wollen. Dadurch wird die deutsche Schule immer mehr auch zur Sprachschule (wobei man hinterfragen kann, ob dies tatsächlich der Auftrag einer Minderheitenschule sein sollte). Daher muss zumindest sichergestellt sein, dass in den deutschen Schulen auch tatsächlich die deutsche Sprache im Vordergrund steht, denn sonst bringt die Ausbildung weder jenen etwas, deren Muttersprache eine andere ist, noch profitieren Schülerinnen deutscher Muttersprache von der vielfältigen Schulgemeinschaft.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05



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  • Schule: Das mit der Chancengerechtigkeit.

    In der dieswöchigen ff ist unter dem Titel

    Der Test-Ballon

    Aussortieren, wer wenig Deutsch kann: Eine Direktorin, Politiker und eine Zeitung preschen vor, das Schulamt pfeift zurück. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

    – ff 36/2024

    ein Beitrag von Alexander van Gerven (allein die Wortwahl: »aussortieren«) über die sogenannte Sonderklasse an der Bozner Goetheschule erschienen. Dort heißt es unter anderem:

    Italien, sagt [Landesschuldirektorin Sigrun] Falkensteiner, schneide im Vergleich der Bildungssysteme immer gut ab in Sachen Chancengerechtigkeit. Während in Deutschland gewisse Schichten keine Chance haben, aufzusteigen, gilt in Italien – theoretisch – der Grundsatz: Wenn man will, kann man alles schaffen. „Wenn wir das jetzt infrage stellen, was sagt das über uns als Gesellschaft aus? Das wird uns noch einige Zeit beschäftigen. Die Bilder, die hier vermittelt werden, und die Haltungen dahinter.“

    – ff 36/2024

    Vorausgeschickt: Ich halte Inklusion — wenngleich ich sie, wie fast alles, nicht absolut setze — für ein sehr hohes Gut, insbesondere auch was die Inklusion von Menschen mit Behinderung betrifft. Dasselbe gilt für die Chancengerechtigkeit. Vermutlich gibt es auch im konkreten Fall der Goetheschule gute, ja sogar überlegene Lösungen, die ohne Einteilung der Klassen nach Sprachkenntnissen (nicht nach Herkunft, wiewohl es da eine Korrelation geben wird1diese Korrelation wird aber geringer als in »einsprachigen« Gesellschaften sein, da in Südtirol auch Kinder ohne Migrationshintergrund häufig eine andere Muttersprache haben) auskommen.

    Stimmt es aber wirklich, dass Italien bezüglich der Chancengerechtigkeit »immer gut« abschneidet, wie die Landesschuldirektorin sagt? Bei der PISA-Studie 2022, Kapitel 4 Bildungsgerechtigkeit (Bericht S. 119 ff.) ist das einschlägige Ergebnis in Bezug auf Italien eher durchwachsen. Als besonders gerecht werden hier ausdrücklich die Schulsysteme in Dänemark, Finnland, Hongkong, Irland, Japan, Kanada, Korea, Lettland, Macau und Vereinigtem Königreich bezeichnet.

    • Die Fairness zeigt, ob und inwieweit sich der sozioökonomische Status auf die Leistungen der Schülerinnen auswirkt: Diesbezüglich weicht das Ergebnis von Italien nicht signifikant vom OECD-Durchschnitt ab — ähnlich wie jenes von Estland, Guatemala, Spanien oder Vietnam. Deutschland, Österreich und die Schweiz schneiden tatsächlich schlechter ab, doch zu den Ländern, wo der sozioökonomische Status den größten Einfluss hat, zählen die Slowakei, Ungarn und Rumänien. Am fairsten sind Macau und Hongkong, Kasachstan, Albanien, Usbekistan und Kambodscha. Deutlich besser als Italien schneiden auch Kanada, Norwegen, Griechenland, die Türkei sowie die Kleinstaaten Island oder Malta ab.2Bericht, u.a. Abb. I.4.2
    • Die Teilhabe gibt an, ob alle Schülerinnen Zugang zu guter Bildung haben und in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften wenigstens das Grundkompetenzniveau erreichen, also nicht gänzlich auf der Strecke bleiben: Diesbezüglich schneiden Singapur, Korea, Japan oder Korea am besten ab, Deutschland, Österreich und vor allem die Schweiz liegen über dem OECD-Durchschnitt, während Italien (wie auch Malta oder Island) darunter liegt.

    Zu den Ländern mit überdurchschnittlicher Teilhabe und sozioökonomischer Fairness gehören demnach Macau und Hongkong, aber auch Japan, Finnland, Estland oder Spanien. Deutschland, Österreich und die Schweiz sind Länder mit überdurchschnittlicher Teilhabe und unterdurchschnittlicher sozioökonomischer Fairness, während Italien wie zum Beispiel die USA oder Kroatien zu den Ländern mit unterdurchschnittlicher Teilhabe und überdurchschnittlicher Fairness gehört.3Bericht, Abb. I.4.20

    Im Kapitel 7 Migration und Schülerleistungen (Bericht S. 215 ff.) zeigt sich, dass die Punktezahlen von Schülerinnen mit Migrationshintergrund, nach Berücksichtigung des sozioökonomischen Status und der Familiensprache, in Mathematik weder in Italien, noch in Österreich, der Schweiz oder Deutschland sowie Malta und Island signifikant von den Ergebnissen der Schülerinnen ohne Migrationshintergrund abweichen.4Bericht, Abb. I.7.7 Große Abweichungen nach oben gibt es in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Katar und den USA, nach unten hingegen in Finnland, Schweden und Dänemark. Ebenfalls nach Berücksichtigung von sozioökonomischem Status und Familiensprache gibt es in Italien, Österreich, der Schweiz oder Malta auch bei der Lesekompetenz keinen signifikanten Unterschied zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund, in Deutschland — wie in Finnland, Schweden oder Island — aber schon.5Bericht, Abb. I.7.8

    Ich weiß nicht, ob es andere (bessere) Quellen gibt, um die Chanchengerechtigkeit der Schulsysteme miteinander zu vergleichen. Aufgrund der PISA-Studie lässt sich aber eine große Überlegenheit Italiens auf diesem Gebiet nicht unbedingt bestätigen. Maßstäbe setzen andere Länder.

    Ich fände es gut, so wichtige Debatten auf der Grundlage von Fakten zu führen.

    Cëla enghe: 01 | 02 || 01 02 03 04

    • 1
      diese Korrelation wird aber geringer als in »einsprachigen« Gesellschaften sein, da in Südtirol auch Kinder ohne Migrationshintergrund häufig eine andere Muttersprache haben
    • 2
      Bericht, u.a. Abb. I.4.2
    • 3
      Bericht, Abb. I.4.20
    • 4
      Bericht, Abb. I.7.7
    • 5
      Bericht, Abb. I.7.8


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  • Digitaler Zentralismus.
    Quotation

    Digitalisierung zielt auf Vereinheitlichung, auch auf Zentralisierung ab, weil dann funktioniert sie am besten — während Autonomie auf Differenzierung und föderale Lösungen abstellt. Und da gilt es jetzt einen Weg zu finden, um beiden Interessen gerecht zu werden.

    Europarechtler Prof. Walter Obwexer anlässlich des heutigen Tags der Autonomie gegenüber Rai Südtirol (Transkription von mir)

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07 || 01



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  • Autonomie: Urzì lehnt Schutzklauseln ab.

    Ausgerechnet am heutigen Tag der Autonomie hat Alessandro Urzì, seines Zeichens Parlamentsabgeordneter der neofaschistischen Fratelli d’Italia und Vorsitzender der Sechserkommission, der von LH Arno Kompatscher (SVP) geforderten Einführung der Einvernehmensklausel (Änderungen am Autonomiestatut nur mit Zustimmung der Länder) sowie der Begrenzung staatlicher Einmischung in autonome Befugnisse eine klare Abfuhr erteilt. Dass diese Forderungen erhoben wurden, habe zu Verzögerungen bei der Wiederherstellung der Autonomie geführt, so der Vorwurf von Urzì.

    Gleichzeitig stellte er Abänderungen des Autonomiestatuts wie die Abschaffung der vierjährigen Ansässigkeitsklausel und die Senkung der Schwellen zur Ernennung von Referenten italienischer Muttersprache in den Landgemeinden in den Raum.

    Die SVP hatte ihre unsägliche Koalition mit FdI und Lega auf Landesebene unter anderem damit begründet, dass sie sich dazu verpflichtet hätten, die seit der Streitbeilegungserklärung 1992 verlorenen Zuständigkeiten wiederherzustellen.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01 02



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  • Bollettino ufficiale plurilingue.

    Il governo spagnolo verserà fino a un massimo di 273.000 euro ogni anno all’amministrazione catalana perché questa si incarichi di far tradurre in catalano normative statali, che successivamente verranno pubblicate sul Boletín Oficial del Estado (BOE), l’equivalente della Gazzetta ufficiale in Italia o del Foglio federale svizzero. Questo è quanto prevede un apposito accordo siglato tra i governi spagnolo e catalano nel novembre scorso e appena entrato in vigore.

    Non è comunque la prima volta che leggi statali vengono pubblicate sul BOE in una lingua cosiddetta coofficiale: in base a un precedente accordo, prorogato varie volte, il catalano per esempio era già presente dal 1998 al 2021 sotto forma di apposito supplemento — contenente anche decreti ministeriali e sentenze della Corte costituzionale — e ora vi ritorna dopo una pausa di pochi anni. Analoghi supplementi esistono anche in lingua galiciana e in lingua basca.

    La Gazzetta ufficiale italiana invece non pubblica testi in lingue minoritarie, diversamente dal Bollettino ufficiale del Trentino e del Sudtirolo, che rende note le norme sia in tedesco che, a volte, in ladino, anche se in caso di interpretazioni prevale sempre il testo in lingua italiana.

    Sarebbe comunque interessante sapere se lo stato italiano paga il Sudtirolo per i servizi di traduzione che sovente svolge per le amministrazioni centrali, seppur non, appunto, per la traduzione di leggi e norme da pubblicare in Gazzetta. Personalmente ne dubito.

    Pochi mesi fa era stato plurilinguizzato anche il Congresso spagnolo e il governo centrale si è impegnato a portare il basco, il catalano e il galiciano anche al Parlamento europeo.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05



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