Beim European Journal of Cultural and Political Sociology ist im Februar dieses Jahres ein Beitrag der us-amerikanischen Wissenschafterin Alexandra Cosima Budabin erschienen, der sich mit den lokalen Verstrickungen von Black Lives Matter (BLM) in Bozen befasst.
Dr. Budabin, die unter anderem in Harvard und an der New York University studiert und ihren Doktortitel an der New School for Social Research in NYC erworben hat, war 2019-20 mit einem Forschungsstipendium an der Freien Universität Bozen.
Wie sie in ihrem Papier beschreibt, mehrten sich im Rahmen der BLM-Proteste vom Frühjahr 2020 in den USA und Europa die Forderungen nach der Schleifung von Denkmälern, die zur Reinwaschung einer rassistischen Vergangenheit beitragen. Dabei hätte sich in diesem Kontext der globale häufig mit nationalen und lokalen Diskursen zu Imperialismus und Kolonialismus vermischt.
In diesem Zuge seien auch »vandalistische« Taktiken entwickelt worden, die von Graffitis bis hin zum Denkmalsturz reichten.
Interne koloniale Praxis
In Bozen habe dies unter anderem zur farblichen Markierung der Säule am sogenannten Siegesplatz geführt, die dem Beitrag von Soldaten aus Südtirol zum italienischen Imperialismus und Kolonialismus gewidmet ist. Budabin identifiziert dieses Denkmal als »ein faschistisches und kolonialistisches Symbol, das Teil einer imperialistischen Raumplanung war«. In einem Akt der buchstäblichen, gleichzeitig aber auch metaphorischen Reinwaschung seien es dann Mitglieder der neofaschistischen CasaPound gewesen, die die Spuren des Protests beseitigten, bevor die Säule — diesmal mit antirassistischen Parolen — ein zweites Mal besprüht wurde.
Hier wie anderswo hätten diese Interventionen auch Debatten sichtbar gemacht, die auf lokaler Ebene schon länger im Gange waren. Speziell in Bozen sei es aber nicht nur um den italienischen Imperialismus im Ausland gegangen, sondern auch um die interne koloniale Praxis des italienischen Staates gegenüber Südtirol. Der dekoloniale Kampf um die Denkmäler im Rahmeen von BLM habe auch diese Diskursebene in den Vordergrund geholt.
Macht und Kontrolle
Budabin argumentiert, dass Monumente in der Regel aus beständigen Materialien — quasi für die Ewigkeit — geplant würden und Aspekte reflektierten, an die Nationalstaaten oder Organisationen im öffentlichen Raum erinnern wollen. Es gehe um Macht und Kontrolle über das kollektive Gedächtnis, was die Denkmäler wiederum für symbolische Angriffe und Proteste attraktiv mache.
Zudem gehe es um die Frage, wer von wem dazu angehalten werden soll, sich aus welchem Grund woran zu erinnern.
Ein wichtiges Thema sei, wie Gruppen und Gemeinschaften durch den Umgang mit kulturellem Erbe von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Solches Erbe könne über partizipative und inkludierende Prozesse als unpassend oder problematisch (bzw. dissonant) gekennzeichnet werden, wenn alle Gesellschaftsgruppen an der Aushandlung und Definition von Bedeutungen teilhaben können.
Doch während zum Beispiel die Faro-Konvention den Fokus auf die Demokratisierung von Diskussionen zum kulturellen Erbe gelegt habe, seien es in der Praxis noch immer vor allem die üblichen bürokratischen Kräfte, die über das Schicksal von Denkmälern entscheiden.
Nach wie vor sei es daher für manche Akteure nötig, konfrontative Praktiken zu wählen, um auf unpassende Monumente hinzuweisen und eine Debatte zum Umgang damit zu eröffnen.
Ideologischer Vandalismus
Bei der Attacke auf die Säule am sogenannten Siegesplatz in Bozen habe es sich um einen Akt des ideologischen Vandalismus gehandelt — eine Art symbolische Infragestellung, um auf einen Missstand hinzuweisen und einen Konflikt sichtbar zu machen. Der Begriff des ideologischen Vandalismus unterstreiche dabei die Legitimität »symbolischer Zerstörungen« im Rahmen von politischem Aktivismus. Der Einsatz von Farbe könne als gewaltfreies Element zivilen Ungehorsams mit räumlicher und performativer Komponente eingestuft werden, das temporär eine weitere Bedeutungsebene über ein Symbol lege.
Mit dem Reinigungsakt würden hingegen die Hegemonie des dominanten Diskurses wiederhergestellt und die gesellschaftliche Bedeutung des Widerstandsakts ausgelöscht.
Italienische Geschichte
Italien habe ein schwieriges Verhältnis zu seiner kolonialen und faschistischen Vergangenheit. Schon kurz nach der Einigung 1861 habe die Ära der kolonialen Expansion angesetzt, die propagandistisch mit Anspielungen auf die »imperiale Würde des alten Rom« gerechtfertigt wurde. Der relativ schnelle Verlust der Kolonien als Folge der Niederlage im Zweiten Weltkrieg habe dann aber zu mangelnder Aufarbeitung, ja zu einer veritablen Gedächtnislücke geführt.
Und während inzwischen die von Italien — auch in den Grenzgebieten des Festlands, einschließlich Südtirol — verübten Verbrechen in der Forschung immer mehr zur Kenntnis genommen würden, herrsche im offiziellen und im gesellschaftlichen Diskurs nach wie vor der Mythos vom guten Italiener (Italiani brava gente) vor. Dieser werde von Medien wie Fernsehen und Kino perpetuiert und sei Teil der nationalen Identität geworden. Dank diesem Narrativ würden die Italienerinnen von ihrer aktiven Rolle bei der Verübung nationalsozialistisch-faschistischer Verbrechen freigesprochen und als Opfer hingestellt.
Die Selbstwahrnehmung als »gute Italiener« lebe jedoch auch in der heutigen Migrationspolitik fort, während Italien eine migrationsfeindliche Außenpolitik betreibe.
Die fortdauernde Unsichtbarmachung der kolonialen Vergangenheit manifestiere sich nicht zuletzt im bis heute aktuellen Framing von Migrantinnen als »anders, kriminell, minderwertig, schmutzig und krank«, in der schlechten Behandlung von Migrantinnen und Asylsuchenden oder in der Kriminalisierung von Seenotretterinnen.
Doch während die koloniale Vergangenheit in der Öffentlichkeit wenig bekannt sei, seien architektonische Spuren der faschistischen und kolonialistischen Zeit allgegenwärtig. Plätze, Straßen und Denkmäler seien einschlägigen Persönlichkeiten, Orten und Geschehnissen gewidmet.
Südtirol
Nach der Annexion sei die deutsche und ladinische Bevölkerung einer Politik der Italianisierung und der »kulturellen Säuberung« unterworfen, das Vorgehen Italiens in Südtirol mit dem in den afrikanischen Kolonien verglichen worden.
Männer aus dem annektierten Südtirol seien ferner zum Wehrdienst eingezogen und in den Kolonialkriegen eingesetzt worden.
Trotz der inzwischen gewährten Autonomie, die zum Abbau von Spannungen beigetragen habe, machten die architektonischen Spuren aus der Faschistenzeit nach wie vor Wunden sichtbar. Und da die Versuche, faschistische Architektur zu entfernen, als Auslöschung der italienischen Identität verstanden wurden, sei Bozen die einzige Stadt, die die ursprünglichen Zeichen und Symbole seit der Faschistenzeit beibehalten hat.
Obschon das Siegesdenkmal historisiert und entschärft wurde, bestünden in Bozen zahlreiche problematische Artefakte fort, wie eben die in unmittelbarer Nähe stehende Säule. Sie erinnere zwar einerseits an die koloniale Expansion in Afrika sowie an die militärische Intervention in Spanien, enthalte darüber hinaus jedoch auch eine weitere koloniale Bedeutungsebene: da sie gefallenen Südtirolern gewidmet ist, verweise sie auch darauf, wie das faschistische Italien die Wehrpflicht nutzte, um die Souveränität über Südtirol zu behaupten.
Laut Budabin haben die BLM-Proteste, indem sie zur Attacke auf die Säule geführt haben, dazu beigetragen, nicht nur globale und lokale, sondern auch historische und gegenwärtige Missstände bezüglich Rassismus und Kolonialismus aufzuzeigen und miteinander in Verbindung zu bringen.
Ein wichtiger Schritt ist getan, doch andererseits steht die Säule heute wieder reingewaschen da.
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