Autorinnen und Gastbeiträge →

  • Klassenbucheintragung für das Land.

    Bislang war die Erfassung von Lehrinhalten, Noten, Fehlverhalten, Absenzen, Supplenzen und anderer administrativer Notwendigkeiten an Südtirols Schulen ein unmögliches Zettelwerk mit zahllosen Zweigleisigkeiten. Seit einiger Zeit gibt es Abhilfe. Das »digitale Klassenbuch« wird mittlerweile an 15 Schulen im Land verwendet. Entwickelt hat das praxisorientierte, intuitive, individuell anpassbare und kostengünstige Programm der 21-jährige Stefan Raffeiner zusammen mit einigen Lehrpersonen des Realgymnasiums Meran 2012 in den Sommerferien nach der Matura, wie die Dolomiten (5. September 2014) berichten. Die Software ist eine umfassende Plattform für sämtliche administrative Belange im Unterricht und bietet jeweils separate Zugänge für Lehrer, Schüler und Eltern, über welche diese jederzeit via eine sichere https-Verbindung im Internet ihre jeweils relevanten Informationen einsehen können.

    Nun möchte man meinen, dass Land Südtirol und Schulamt überglücklich über eine derart innovative Erfindung sein müssten. Da gibt es einen jungen Südtiroler mit einer hervorragenden Idee, der ein neues Unternehmen in einem zukunftsorientierten Wirtschaftsbereich gründet und eine Bedarfslücke schließt. So einer gehört unterstützt. Sind es doch Menschen und Initiativen wie diese, die sich die Politiker immer wünschen und die unser Land voranbringen.

    Aber nein. Weit gefehlt. Ein Projektteam des Landes bastelt nämlich seit nunmehr 4 (in Worten: vier) Jahren an einem eigenen elektronischen Klassen- und Lehrerregister. Das Team besteht laut Dolomiten aus 12 Entscheidungsträgern, 12 ständigen Mitarbeitern und 150 (in Worten: einhundertfünfzig) Sachbearbeitern. Leute aus der Praxis – sprich Direktoren, Lehrer, Schüler und Eltern – sind dem Vernehmen nach freilich nicht in die Arbeiten involviert. Mit einem brauchbaren Ergebnis ist – wenn überhaupt – aber nicht sehr bald zu rechnen. Nach vier Jahren ist man noch nicht einmal so weit, die tatsächliche Programmierung und Umsetzung der Software ausschreiben zu können. Eines weiß man beim Schulamt aber schon jetzt: den Schulen werde man »stark empfehlen«, das eigene Programm und nicht die Raffeiner-Software zu verwenden, da ersteres in ein mit ESF-Geldern (!) finanziertes, landesweites Schulinformationssystem eingebettet sei.

    Zum Glück kann man davon ausgehen, dass ein findiger Kopf wie Raffeiner auch gegen die Widerstände des Landes – wahrscheinlich irgendwo außerhalb Südtirols – seinen Weg finden und machen wird. Traurig ist es aber allemal, wie mit solchem Potential umgegangen wird. Oder um in der Schulsprache zu bleiben: Setzen! Fünf!



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  • YesScotland erstmals in Führung.

    YouGov indy

    Die Befürworter der schottischen Unabhängigkeit lagen zwölf Tage vor der Abstimmung vom 18. September erstmals in einer repräsentativen Umfrage vorn. Dieses Ergebnis teilte heute das britische Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov mit, welches die Erhebung im Auftrag von The Sunday Times durchgeführt hatte. Demnach sprachen sich, Unentschlossene nicht berücksichtigt, 51% der Befragten für die Schaffung eines schottischen Staates und 49% für die Aufrechterhaltung der Union mit England, Wales und Nordirland aus.

    Der Trend deutete schon seit mehreren Wochen auf eine rapide Aufholjagd der Unabhängigkeitsbefürworter hin, spätestens seit dem zweiten Tête-à -Tête zwischen dem schottischen First Minister Alex Salmond (SNP) und BetterTogether-Anführer Alistair Darling waren die Chancen für eine Führung real gegeben. Deutlich mehr Unentschlossene wechselten während der letzten Wochen ins Yes-Lager, als in die Reihen der Unionisten. Mitunter war davon die Rede, dass es doppelt so viele waren.

    Schon vor den letzten Wahlen zum schottischen Parlament war es der SNP überraschend gelungen, kurzfristig eine imposante Trendwende in den Umfragen herbeizuführen und schlussendlich eine absolute Mehrheit zu erringen.

    YouGov gehört zu jenen Instituten, die traditionell eher geringere Zustimmungswerte zur Unabhängigkeit erhoben, als andere wie ICM, Panelbase oder Survation. Noch vor einer Woche war eine analoge YouGov-Umfrage mit 53% zu 47% für BetterTogether ausgefallen.

    Siehe auch: 01 02 03 04 05 06 || 01 02



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  • Verwirrung und Diskussionsverweigerung.

    Einfach traumhaft — nachdem er für die gestrige TAZ den Politologen Anton Pelinka interviewt hatte, befragte Simon Pötschko für die heutige Ausgabe den TAZ-Habitué Karl Zeller zum Thema Selbstbestimmung. Und der zaubert wieder einmal etwas Neues aus dem Hut: Zeitgemäß sei das Selbstbestimmungsrecht der Völker immer, so der SVP-Senator, denn es sei ja auch in den UN-Menschenrechtspakten verankert. Eine sehr erstaunliche Aussage, denn genau dieses grundsätzliche, von der UNO garantierte Selbstbestimmungsrecht hatte der Südtiroler Landtag im Mai 2012 in Bausch und Bogen abgelehnt — nicht etwa konkret für Südtirol, sondern ganz allgemein. Federführend und maßgeblich beteiligt war an diesem schwazen Tag für Südtirol die SVP.

    Natürlich bezweifelt Herr Zeller desweiteren sehr, dass der italienische Staat den Südtirolerinnen — nach britischem Vorbild — das Recht auf eine Abstimmung einräumen würde. Allerdings ist es ebenfalls auf seine Partei zurückzuführen, dass sich der Zentralstaat dazu erst gar nie äußern musste. Das liegt wohl auch daran, dass Zeller weiterhin an seiner Gewissheit festhält, dass eine unabhängig werdende Region aus der EU fliegen und erneut um Mitgliedschaft ansuchen müsste. Doch ob das, selbst wenn es zuträfe, nicht doch eine bessere Option wäre, als der ewige Verbleib beim Nationalstaat, sollten eigentlich die Südtirolerinnen entscheiden.

    Immerhin — so Zeller — halte die SVP, die es ja im Landtag abgelehnt hat, nach wie vor am Selbstbestimmungsrecht fest. Nur die Kriterien für dessen Ausübung definiert der Senator zum wiederholten Male neu:

    Die Autonomie und Minderheitenrechte müssten in einer Weise beschnitten werden, dass eine Eigenverwaltung, wie sie vom Pariser Vertrag zugesichert ist nicht mehr möglich ist.

    Im Jahr 2009 hatte der damalige Landeshauptmann Luis Durnwalder (SVP) noch gesagt, dass ein Vertragsbruch ausreichen würde, um die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts zu rechtfertigen. Als er drei Jahre später jedoch feststellte, dass durch die Maßnahmen von Premier Monti

    der Volksgruppen-/Minderheitenschutz und in besonderer Weise auch die in der Verfassung des Staates verankerte Südtirol-Autonomie verletzt werden

    dachte die Volkspartei nicht im entferntesten daran, die Unabhängigkeit anzustreben. Vor weniger als einem Jahr dann wurde SVP-Obmann Theiner von der Süddeutschen Zeitung wie folgt zitiert:

    “Wir wollen so viel Selbständigkeit wie möglich – aber im Rahmen Italiens.” Der Parteichef macht davon nur eine Ausnahme: “Wenn Italien zerfällt, etwa in einen Norden und einen Süden, dann wird die SVP die erste sein, die die Selbstbestimmung ausruft.”

    Bei all dieser Verwirrung steht wohl nur eines fest: Der SVP ist jedes noch so schlechte Argument recht, um keine seriöse Diskussion über dieses Thema zuzulassen.

    Siehe auch: 01 02 03



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  • Wollt ihr das totale Sieb?

    Interessante Töne sind neuerdings von der Titelseite des Tagblattes der Südtiroler zu vernehmen. Da ist von »diplomatischem Krempel« und »neuen Optionen« die Rede. Untermauert wird die Forderung nach einer härteren Gangart des Westens im Krieg in der Ukraine schließlich mit einem Nazi-Vergleich. Nach Saddam Hussein und Kim Jong-il ist jetzt also Vladimir Putin der neue Hitler.

    Politik-Redakteur Rupert Bertagnolli wird in seinem »Vorausgeschickt« diesbezüglich sehr deutlich:

    […] Landgewinne bleiben, Wirtschaftssanktionen kommen und gehen und sind in einer globalisierten Welt ohnehin wenig effizient. Um Putins Expansionismus zu stoppen, muss der Westen jetzt eine andere, sehr deutliche Sprache sprechen, die er unmissverständlich versteht. […] Neue Optionen müssen auf den Tisch.

    Denn schon einmal hat sich ein Aggressor angemaßt, über Minderheiten in anderen Ländern eigenmächtig zu entscheiden, ohne dass ihn jemand rechtzeitig gestoppt hat.

    Sportredakteur Andreas Vieider legt wenig später noch ein Scheit nach:

    Während sich Herr Putin gänzlich ungeniert breitmacht im Osten Europas, überbieten sich die Damen und Herren Politiker quer durch alle Nationen in ihrer Hilflosigkeit. Nach allerlei Sanktionen, Resolutionen, Beschwerden-Tamtam sowie sonstigem diplomatischem (sic) Krempel, was (sic) alles nichts gebracht hat, soll der Sport als letzter Strohhalm herhalten.

    […] Vielmehr ist es ein Armutszeugnis auf politisch-diplomatischer Ebene, dass nicht auf anderem Wege ein Ausweg aus der Ukraine-Krise gefunden wird.

    Die manichäische Dichotomie zwischen den Kräften des Guten und jenen des Bösen wird hier derart naiv zelebriert, dass man beinahe versucht wäre mit Stermann & Grissemann und einem weiteren Nazi-Vergleich zu antworten. Doch die Situation ist zu Ernst, als dass man sie lächerlich machen könnte. So sehr Putins Vorgehen zu verurteilen ist, so trägt auch »der Westen« eine wesentliche Mitschuld am Krieg in der Ukraine; nicht zuletzt auch wegen seiner undifferenzierten Unterstützung für zwielichtige Gestalten in der neuen Regierung. Die Demokratien des Westens haben ein riesiges Glaubwürdigkeitsproblem, welches man bestimmt nicht aus der Welt schafft, indem man einen globalen Krieg mit der Atommacht Russland riskiert. Würden die USA und die europäischen Länder endlich einmal ihre Doppelmoral und ihre Bigotterie aufgeben, böten sich auf dem diplomatischen Parkett bestimmt wieder ganz neue Möglichkeiten, um der Eskalation in der Ukraine Herr zu werden.



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  • Die Liberale.

    Autor:a

    ai

    |

    2 Comentârs → on Die Liberale.

    Elena Artioli ist nun seit einiger Zeit Südtiroler Koordinatorin des »Liberal PD«, des liberalen Flügels einer in ihrem Selbstverständnis sozialdemokratischen, links der Mitte angesiedelten Partei. Um die Absurdität dieser Personalentscheidung und die Entfernung des PD von üblichen sozialdemokratischen Standards aufzuzeigen, könnte man lange analytische Abhandlungen schreiben. Einfacher ist eine schnelle Recherche auf den Seiten des Südtiroler Landtages.

    Beschlussantrag Nr. 33/09 vom 12.1.2009 betreffend die Gewährung von Beiträgen an islamische Vereine und Vereinigungen.

    […]

    Dies vorausgeschickt,
    fordert
    DER SÜDTIROLER LANDTAG
    die Landesregierung auf,

    1. keine Beiträge für die Errichtung islamischer Gebetsräume zu gewähren und keine Flächen im Besitz der öffentlichen Hand dafür bereitzustellen;
    2. […]
    3. das Erbauen von Moscheen als aggressives Zeichen welteroberischer Tendenzen der islamischen Religion auf Südtiroler Gebiet zu verbieten.

    – Einbringerin: Elena Artioli (ex SVP, damals Lega Nord, ex Team Autonomie & Forza Alto Adige und nunmehr Liberal PD)

    Dazu noch ein paar Wortmeldungen jener, die in italienischsprachigen Medien gerne als »estrema destra tedesca« bezeichnet werden.

    Anträge wie dieser und insbesondere die Formulierung von Punkt 3 des beschließenden Teils, Frau Artioli, sorgen dafür, dass es in der Öffentlichkeit nicht möglich ist, sachlich über dieses Thema zu diskutieren. Für meinen Geschmack geht diese Formulierung an der Realität vorbei und ist mir zu radikal ausgedrückt.

    – Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit)

    Punkt 3 des beschließenden Teils, Elena, ist ein bisschen zu hart formuliert. Das Recht auf Gebetsräume ist in der Verfassung verankert, aber wir sind natürlich dagegen, dass Minarette usw. auf die Gebetsräume gebaut werden, damit sie nicht als Moscheen ersichtlich sind.

    – Sigmar Stocker (Die Freiheitlichen)

    Ich möchte vorausschicken, dass ich vorhin nicht im Saal war, als mein Kollege Sigmar Stocker Stellung bezogen hat. Ich habe nicht gehört, was er gesagt hat. […] Ich persönlich werde diesem Antrag nicht zustimmen. Ich weiß nicht, ob mir ein solcher Antrag zusteht, aber ich ersuche dich, Kollegin Artioli, diesen Antrag zurückzuziehen und ihn neu zu formulieren! Das Grundprinzip bzw. die Problematik teile ich sehr wohl. Wir Freiheitlichen haben in der Vergangenheit immer wieder entsprechende Anträge gestellt, aber die Art und Weise, wie der vorliegende Antrag formuliert ist, bedeutet für mich Hetze. Diesen Vorwurf musst du dir gefallen lassen. Kollege Heiss hat bereits gesagt, dass die Thematik sehr pauschal gehalten ist. Diese Problematik kann man nicht in drei Forderungen abhandeln. Wir sind nicht gegen den Bau von Gebetsräumen, allerdings muss absolut geklärt werden, dass keine öffentlichen Beiträge dafür gewährt werden. […] Ansonsten muss ich feststellen, dass mir zumindest der deutsche Text rein vom Sprachlichen her zu aggressiv formuliert ist. Ich möchte noch einmal betonen, dass die Thematik zwar ein Problem darstellt, aber man kann nicht alles in einen Topf schmeißen und pauschal aburteilen.

    – Ulli Mair (Die Freiheitlichen)

    Dieser Text ist mir persönlich ebenfalls zu scharf formuliert. Jede Art von Politik, die wir machen, sollte eines nicht vergessen: Die Religionsfreiheit und Menschenwürde sind stets zu respektieren.

    – Thomas Egger (Die Freiheitlichen)

    Die neue PD-Koordinatorin Elena Artioli ist also den Freiheitlichen und der Süd-Tiroler Freiheit »zu extrem«, weil sie »Hetze« gegen den Islam betreibt. Mehr — glaube ich — muss man über den Zustand der als »liberal«, »sozialdemokratisch« und »links der Mitte« bezeichneten Partei nicht sagen.

    Siehe auch:
    01



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  • Democratic values.
    Quotation

    The main British political parties have all proposed more autonomy should Scotland stay in Britain.

    [T]he European Union has made it possible for distinct peoples like the Scots, Catalans or Basques to contemplate going it alone.

    It is testimony to democratic values in Britain and in Spain, where a vote on Catalonia’s independence is scheduled for November, that the question can be put to the people peacefully — in stark contrast to Russia’s armed campaign to punish and dismember Ukraine for trying to break out of the Kremlin’s orbit. In Scotland, there is no threat of reprisals for either choice, and the only pressure is the complexity and fatefulness of that simple question.

    Excerpted from The New York Times, September 3, 2014

    See also: 01 02 03 04 05 06



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  • Mals – und Südtirol.

    Die Bevölkerung von Mals hat zur »Selbstbestimmung« gegriffen und in einer Abstimmung befunden, dass Pestizide auf dem Gemeindegebiet fortan verboten werden sollen. Bei einer Stimmbeteiligung von 69% votierten rund drei Viertel der Malserinnen und Malser dafür, in der Landwirtschaft völlig neue Wege einzuschlagen, abseits ausgetretener Pfade und im Sinne einer besseren Verträglichkeit von Wirtschaft, Umwelt und Gesundheit. Dazu muss man gratulieren.

    Dieser Befreiungsschlag hat Vorbildcharakter für ganz Südtirol und darüber hinaus — sowohl inhaltlich im Sinne einer wirtschaftlichen Neuausrichtung, als auch bezüglich der demokratischen Mitbestimmung. Auch in unserem Land ist man offenbar noch dazu fähig, eine internationale Vorreiterrolle einzunehmen, ohne sich von juristischen Feinheiten und vermeintlichen Experten einschüchtern zu lassen. Dabei geht es keineswegs um Widerstand als Selbstzweck, sondern um freie und demokratische Willensbildung und Entscheidungsmöglichkeiten.

    Schon fordert Riccardo Dello Sbarba von den Grünen, das Land müsse unverzüglich die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen, um den Bevölkerungswillen umzusetzen. Das klingt im Fall der staatlichen Unabhängigkeit ja völlig anders: Die nämlich sei illusorisch und daran, dass der Zentralstaat bei einem positiven Votum der Südtiroler die rechtlichen Rahmenbedingungen anpassen müsste, ist keine Rede. Im Übrigen, so heißt es dann, könnte ja möglicherweise eine Mehrheit über eine Minderheit entscheiden. Doch auch in Mals hat eine Mehrheit von Nichtbauern über das Wirtschaftsmodell der Bauern befunden, um die Lebensqualität der Allgemeinheit zu verbessern.

    Siehe auch: 01 02



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  • Status-Quo-Fetischisten.

    Die Südtiroler Tageszeitung hat mit dem Politologen Anton Pelinka am 05.09.2014 wieder einmal einen Interviewpartner gefunden, der den SüdtirolerInnen im spezifischen und den nach Unabhängigkeit strebenden europäischen Regionen im allgemeinen erklären möchte, warum man Südtirol nicht mit Schottland vergleichen kann und warum das Selbstbestimmungsrecht als allgemeiner Grundsatz überholt ist.

    Das Vergleichsargument lässt sich so leidlich ausschlachten. Während sich die Vertreter des Status Quo nicht schwer tun, gesellschaftlich und kulturell sehr unterschiedliche Regionen zu vergleichen, wenn es ihrer Ideologie der bedingungslosen »Realpolitik« dient, wird nun umgekehrt Schottland als ein völlig spezifischer Fall definiert, der mit Südtirol nichts zu tun hat. Reiner Luyken, Journalist der Zeit, tut sich zum Beispiel nicht schwer, einen abstrusen Vergleich zwischen dem Balkan und Großbritannien herzustellen, während nun Pelinka Ähnlichkeiten zwischen Schottland und Südtirol verneint.

    Pelinka befürchtet durch Schottland einen Dominoeffekt, der auf ganz Europa übergreifen könnte. Dabei werden wieder munter Äpfel mit Birnen in denselben Korb geworfen: Ein Dominoeffekt für Katalonien, Baskenland, Flandern und Südtirol, wie auch für die Ukraine oder gar Transnistrien.

    Zwei Rückschlüsse Pelinkas sollen nicht unwidersprochen bleiben:

    1. Für Pelinka und andere Status-Quo-Fetischisten hängt die Stabilität Europas von der Unantastbarkeit der heutigen nationalstaatlichen Grenzen ab. Das Friedensprojekt Europa würde durch die Entstehung neuer unabhängiger Regionen und die Schwächung der heutigen Nationalstaaten anscheinend Schaden nehmen.
    2. Die Abstimmung in Schottland wird von Russland in der Ukraine missbraucht werden.

    Die EU ist in der Tat ein Friedensprojekt mit weltweiter Vorbildfunktion. Bis dahin kann man dem Politologen zustimmen. Dieses Friedensprojekt ist aber — wie auch Robert Menasse sagt — auf halbem Weg in einer Sackgasse steckengeblieben. Die bisherige europäische Integration stößt mittlerweile an ihre Grenzen.
    a) Europa hat ein Demokratieproblem: Es gibt z.B. keine europäische Regierung, die einem vom Volk gewählten Parlament Rechenschaft schuldig ist und von diesem Parlament auch abgesetzt werden kann. Auch gibt es keine gesamteuropäischen Mechanismen der direkten Demokratie.
    b) Zusätzlich gibt es keine Überwindung der nationalstaatlichen Logik innerhalb der europäischen Institutionen. Das gute und schlechte Wetter wird von einigen großen Nationalstaaten gemacht, denen letztendlich das nationale Wohl wichtiger ist als das europäische Wohl.

    Im Artikel der Südtiroler Tageszeitung stellt Pelinka die Frage:

    Aber wo enden die Unabhängigkeitsforderungen? Werden dann die Andalusier in Spanien auch kommen?

    Die nationalstaatlich dominierte EU war bis heute nicht gewillt und nicht in der Lage, einen Rahmen zu schaffen, der solche Fragen zu nebensächlichen Verwaltungsfragen herunterbricht. Hätte die EU einen verbindlichen Rahmen von Werten und Prinzipien geschaffen, innerhalb dessen europäische Regionen nach mustergültig ausgearbeiteten demokratischen Prozessabläufen unabhängig werden können, könnte man auf die obige Frage antworten: Ja, wo liegt das Problem, wenn auch Andalusien eine unabhängige, in die EU eingebettete Region wird?

    Die heutige EU kommt mit den von den Status-Quo-Fetischisten verteidigten Dogmen weder aus der Sackgasse heraus in der sie sich befindet, noch kann sie ihre Vorbildfunktion für Regionen und Länder außerhalb der EU weiterentwickeln.

    Russland könnte die Abstimmung in Schottland gar nicht für die Ukrainefrage missbrauchen, wenn die EU-Diplomatie auf europäische, demokratisch musterhafte Prozesse verweisen könnte, nach denen innereuropäische Unabhängigkeitsfragen gelöst werden. Aber anstatt die Prozesse in Schottland und Katalonien aktiv zu nützen, um musterhafte Prozesse auszuarbeiten, werden nach Unabhängigkeit strebende Regionen eingeschüchtert und mit Drohungen konfrontiert.

    Gäbe es diese Vorbildfunktion der EU, bräuchte auch niemand vor einem Dominoeffekt Angst zu haben. Es wäre sozusagen ein Demokratieexport, zumindest ein starkes Verhandlungsargument, um in Krisengebieten ganz andere Lösungen als heute anbieten zu können.

    Diejenigen, die verkrampft am heutigen Status Quo festhalten und jede ergebnisoffene Diskussion im Keim ersticken, verhindern, dass durch die innereuropäischen Unabhängigkeitsbewegungen einerseits die blockierte Integration der EU wieder in Gang gesetzt wird und sich daraus musterhafte demokratische Prozesse entwickeln.

    Interessant Pelinkas Antwort auf die Frage:

    Stehen diese Unabhängigkeitsbestrebungen für einen neuen Nationalismus?

    Also ich sehe da wenig Neues. Es ist sicherlich kein Nationalismus, der expansiv aggressiv ist. Ich glaube nicht, dass ein unabhängiges Schottland Grenzverschiebungen gegenüber dem Rest des Vereinigten Königreiches anstrebt oder sich massiv militarisiert. Es wird also nicht ein Nationalismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sein, aber allgemein ist eine potentielle Entwicklungsmöglichkeit in diese Richtung da. Und wir haben die grauslichen Nationalismen in Südosteuropa gesehen und jetzt jene in Teilen der früheren Sowjetunion. Das zeigt, dass der Nationalismus zwar nicht eins zu eins derselbe ist wie im 19. Jh., aber auch nicht völlig anders ist, was seine potentielle Gewalttätigkeit betrifft.”

    Erstaunlich, dass hier allesamt Beispiele von Nicht EU-Regionen herhalten müssen. Der Balkan und die Ex-Sowjetunion. Einen kleinen demokratiepolitischen Unterschied zwischen EU-Regionen und den genannten Regionen sollte Pelinka schon ausmachen (wenn er nicht einmal Schottland und Südtirol für vergleichbar hält). Zudem gibt es innerhalb der EU auch recht unterschiedlich gewichtete Ansätze: Inklusivistische Ansätze, wie in Schottland oder Katalonien und wie ihn für Südtirol vertritt oder chauvinistische Ansätze, wie von der Lega Nord im Phantasiegebilde Padanien oder den eher nationalistischen Bestrebungen in Flandern.

    Übrigens erstaunlich, dass Pelinka und andere Vertreter des Status Quo den Nationalismus der bestehenden Staaten nicht thematisieren. Es ist ja in keiner Weise so, dass die bestehenden Nationalstaaten ein Hort der Multikulturalität und Mehrsprachigkeit darstellen. Italien ist es gelungen, bis auf Südtirol beinahe alle sprachlichen Minderheiten zu assimilieren.

    Die Unabhängigkeitsbewegungen berufen sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Ist das hier passend?

    Ich bin überhaupt der Meinung, dass das Recht auf Selbstbestimmung viel mehr Unheil angerichtet hat, als es Vorteile gebracht hat. Das hat man schon 1919 bei der Pariser Friedenskonferenz gesehen, wo Woodrow Wilson als großer Prophet gefeiert wurde. Aber er hat nie genau definiert, für wen das Selbstbestimmungsrecht gilt. Gilt es auch für ein Dorf? Kann dann ein Dorf im Pustertal auch die Selbstbestimmung fordern? Ich glaube es ist auch gar nicht möglich, klar zu definieren für wen das gilt.

    Im Falle von Wilson haben die Siegermächte des 1. Weltkrieges die Definition übernommen. Das Selbstbestimmungsrecht wurde immer dann angewandt, wenn es darum ging, die besiegten Mächte zu schwächen. Insofern war es nichts anderes als ein Alibi-Selbstbestimmungsrecht um neue Nationalstaaten zu kreieren oder bestehende zu vergrößern.

    In den letzten 70 Jahren hätten wir nun viel Zeit gehabt, das Recht auf Selbstbestimmung zu modernisieren, es von der völkerrechtlichen auf die demokratiepolitische Ebene der Bürgerrechte zu bringen. Aber indem dieses Prinzip auch von Politologen wie Pelinka lächerlich gemacht wird, leidet die Entwicklung der Demokratie, nicht nur die innereuropäische sondern auch in gewaltbeladenen Konfliktzonen. Warum kann sich Putin aufführen, wie vor 100 Jahren? Auch deshalb, da kein glaubwürdiges demokratisches Modell vorgelebt wird, wie der Ukrainekonflikt völlig anders gelöst werden könnte.

    Es ist natürlich einfach zu sagen, dass es für Schottland gilt. Das ist relativ klar abgegrenzt, es hat ein gemeinsames historisches Narrativ und die Frage wo Schottland endet, ist außer Streit gestellt. Aber wie wäre es mit dem Selbstbestimmungsrecht Nordirlands? Sollten einmal, durch demographische Entwicklungen, die Katholiken in Nordirland die Mehrheit haben, was so schnell nicht passieren wird, verschiebt sich die Frage Mehrheit-Minderheit ja nur. Haben dann die Protestanten in einem Stadtteil von Belfast auch ein Recht auf Selbstbestimmung? Das Recht auf Selbstbestimmung ist ein Placebo, eine schöne Formel, die vielleicht auch süchtig machen kann, aber keine Lösung.

    Vielleicht entwickelt sich etwas Neues, das sich der Vorstellungskraft von Pelinka entzieht. Beispielsweise keine Umkehrung der Mehrheitsverhältnisse, sondern eine neue, gemeinsame Identität. In Nordirland gibt es Tendenzen in diese Richtung. Ein unabhängiges Nordirland wäre für so eine zukunftsweisende Lösung der richtige Rahmen.

    Ist das Recht auf Selbstbestimmung in Europa heute noch zeitgemäß?

    Nein, als allgemeiner Grundsatz ist es das nicht mehr. Im Einzelfall kann es helfen, Konflikte zu lösen. Als allgemeiner Grundsatz ist es aber nicht geeignet, weil es von der Annahme ausgeht, es sei objektiv klar, was ein Volk ist und das ist ja nicht klar, sondern ein Unfug.

    Pelinka redet von Volk wie vor 100 Jahren. Kann er sich nicht vorstellen, dass sich kollektives und individuelles Selbstbestimmungsrecht versöhnen? Dass nicht mehr der völkische Charakter im Zentrum des Selbstbestimmungsrechtes steht, sondern der Aspekt einer selbstbestimmten Bürgerschaft, die unabhängig von Sprache, Religion und Kultur die Rahmenbedingungen für ihre Region bestimmen will? Die Tendenz geht in diese Richtung. Erstaunlich, wie eingeschränkend die Ansätze anerkannter Fachleute teilweise sind.

    Ganz abgesehen davon, dass wir aufgrund der multikulturellen Gemengelage in Europa mit diesem Prinzip ja nur Mehrheits- und Minderheitenverhältnisse verschieben. Das war ja das Problem der Friedensordnung nach dem ersten Weltkrieg. Das ist das Problem Südtirols. Man hat unter dem Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht natürlich nur andere und insgesamt vielleicht noch explosivere Minderheitenprobleme geschaffen. Also das Selbstbestimmungsrecht ist aus meiner Sicht vom Grundgedanken her ein gefährlicher Unfug.

    Großes Erstaunen darüber, dass Pelinka nicht die wirkliche Ursache der Probleme erkennt, die den 1. Weltkrieg ausgelöst haben und eine unheilvolle Nachkriegsordnung geschaffen haben. Nicht die Selbstbestimmung an sich war und ist das Problem. Das damals sehr unvollständige, da auf den Begriff Volk reduzierte Prinzip war das Problem. Wo landen wir, wenn wir den Begriff Volk definieren? Richtig, beim Nationalismus. Und dieser war und ist das Problem. Der Nationalismus der Siegermächte, die das Prinzip der Selbstbestimmung einseitig zu ihren Gunsten anwandten, der Nationalismus der neuen, jungen Staaten, in denen fortan nur mehr eine Staatssprache zuhause sein durfte und der Nationalismus der besiegten Mächte, die ihre Niederlage nicht verarbeitet haben.

    Dieser Nationalismus lebt in entschärfter Form in den heutigen Nationalstaaten weiter. Überwunden ist er nicht. Europas Vielfalt verkörpern nicht die europäischen Nationalstaaten, sondern die Regionen. Die Nationalstaaten waren in den letzten 100 Jahren nie ein besonders komfortabler Hort für Regionen, die sich an den Bruchstellen eben dieser Nationalstaaten befinden.
    Dass die nach Unabhängigkeit strebenden Regionen, wie Schottland oder Katalonien, förmlich in den Schoß der EU hineinwachsen möchten und sich zudem nicht nach völkischen Kritierien, sondern nach inklusivistischen, bürgerrechtlichen Kritierien definieren, gibt Hoffnung. Einerseits um den innereuropäischen Nationalismus zu überwinden und andererseits um die Integration der EU auf eine neue, von den heutigen Nationalstaaten losgelöste Ebene zu bringen.

    Siehe auch: 01 02 03



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