Der Spiegel hat mit dem Politologen Thomas Biebricher und mit dem Historiker Thomas Schlemmer ein Interview über den Erfolg rechtsautoritärer Parteien und die Rolle der Konservativen geführt. Demnach zeichne die radikalen Rechten insbesondere ein illiberaler Zug, also die Überhöhung der Mehrheit und die Verachtung der (politischen) Minderheit aus. Ferner auch der Wunsch, alte Ordnungen zu restaurieren: Familien, Geschlechterhierarchien sowie die Rolle von Nation oder Religion. Laut Biebricher sei eine monolithische, einheitliche Vorstellung von Staatlichkeit entscheidend.
Das korrespondiert mit einer illiberalen Vorstellung von Gesellschaft, die alle Abweichungen kleinhalten will, etwa die LGBTQ-Community. Es führt auch zu einem Misstrauen gegen Gewaltenteilung, Pluralismus, eine unabhängige Justiz. Ich spreche deshalb von »rechtem Autoritarismus«.
– Thomas Biebricher
Er weist darauf hin, dass neue autoritäre Regimes die Demokratie häufig gar nicht abschaffen und nur die Spielregeln so verändern, dass sie selbst einen systematischen Vorteil haben. International hält denn Schlemmer einen schrittweisen Umbau der Demokratie »unter Ausschaltung der Rechte von Minderheiten«, »antipluralistisch, homogen, monolithisch« für das wahrscheinlichste Szenario.
Wir sehen es ja auch in Südtirol: Wiewohl die Anwesenheit sprachlicher Minderheiten (zumindest vorerst noch) akzeptiert wird, stellen Abweichungen von der alles homogenisierenden nationalen Identifikation für Vertreterinnen dieser Parteien bereits einen inakzeptablen, zu bekämpfenden Affront dar. Zudem findet bereits eine Umdeutung der nationalen Mehrheit zur schützenswerten Minderheit statt, womit sich irgendwann Eingriffe legitimieren lassen, die andernfalls nicht möglich wären.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ging es zunächst vor allem um Friedenssicherung durch Demokratie und kollektive Sicherheit. Dann aber kamen die Wirtschaftskrisen und – vor allem in Ostmittel- und Südosteuropa – Probleme des Nation Building. Fast überall gab es Konflikte um Minderheiten, von den Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei bis zu den Südtirolern in Italien. Der nationale und der ökonomische Sprengsatz zusammen zerstörten auf diese Weise viele Demokratien.
– Thomas Schlemmer
Zur Partei von Giorgia Meloni, die sich anschickt, Südtirol mitzuregieren, hat Schlemmer, Experte für italienischen Faschismus, eine klare Meinung:
[A]n den Fratelli d’Italia ist gar nichts »post«. Die tragen heute noch die Flamme des Faschismus im Logo. Die haben bei der vorletzten Wahl weniger als fünf Prozent geholt. Deren Kern sind zum großen Teil knallharte Neofaschisten.
– Thomas Schlemmer
Die Partei sei dann in kurzer Zeit auf 26% gewachsen, doch so viele Neofaschistinnen gebe es natürlich nicht. Biebricher gibt zu bedenken, dass der Staatsumbau mit Sicherheit zum Projekt von Giorgia Meloni gehöre. Es spreche ja auch manches dafür, die Exekutive zu stärken, da es in Italien »viele Vetospieler« gebe. Doch genau das könne dann auch die Rechtfertigung für einen autoritären Umbau sein.
In Italien war es Silvio Berlusconi, der die Brandmauer zu den Autoritären eingerissen hat, mit bleibenden Folgen. Der MSI, die Vorgängerpartei der Alleanza Nazionale, galt nicht als Teil des Verfassungsbogens. Berlusconi aber ging ein Bündnis ein. Seitdem gibt es keinerlei Ausgrenzung mehr. Dabei kann man beobachten, dass sich das Gravitationszentrum stetig weiter nach rechts verschiebt: von Berlusconis Forza Italia zur Lega unter Salvini, und jetzt zu Melonis Fratelli d’Italia.
– Thomas Biebricher
Linksetzung von mir
In Südtirol ist zeitversetzt Ähnliches zu beobachten: Auf Landesebene wurde 2018 die Lega eingebunden, jetzt kommen schon Fratelli d’Italia und Freiheitliche dazu. Auf Gemeindeebene (zum Beispiel in Leifers, Branzoll, Meran) finden sukzessive ähnliche Verschiebungen statt, ebenso bei den Wahlen zum EU-Parlament, wo SVP-Kandidat Herbert Dorfmann 2019 auf der Forza-Italia-Liste angetreten war. Im Juni könnte es dann schon die Lega, wenn nicht gar FdI sein.
Auch die Südtiroler Volkspartei leistet also ihren konkreten Beitrag als Türöffnerin für die Illiberalen, die unsere Demokratien autoritär umbauen wollen.
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