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  • Italien: Revisionistischer Heereskalender.

    Die Neofaschistinnen und neuen Koalitionspartner der SVP arbeiten eifrig an einer immer weiter fortschreitenden Diskursverschiebung und an der inzwischen völlig unverschämten Gleichsetzung von Faschismus und Antifaschismus. So steht der diesjährige Kalender der italienischen Streitkräfte unter dem Motto »Für Italien immer / …vor und nach dem 8. September 1943«1Original: »Per l’Italia sempre / …prima e dopo l’8 settembre 1943«. Damit wird auf den Zeitpunkt Bezug genommen, an dem das Königreich Italien die Seiten wechselte und nicht mehr mit den Nazis, sondern mit den Alliierten gegen sie kämpfte. Wenige Wochen später wurde die faschistische Sozialrepublik RSI gegründet, die weiterhin an der Seite Nazideutschlands stand. Der Titel des Kalenders suggeriert also eine Gleichwertigkeit zwischen dem Dienst für ein verbrecherisches Regime einerseits und seiner Bekämpfung andererseits, die sich offenbar dadurch ergebe, dass dieser Dienst in beiden Fällen im Interesse Italiens erbracht worden sei. Im Vorwort des Kalenders, das von General Pietro Serino verfasst wurde, wird denn auch betont, dass es sich vor und nach dem 8. September um »dieselben Männer, dieselben Helden«2Original: »Gli stessi uomini, gli stessi eroi.« gehandelt habe. Um diese Gleichmacherei zu rechtfertigen, wurde jeder Monat einem Soldaten gewidmet, der bereits eine Ehrung vom faschistischen Regime erhalten hatte, bevor ihm die Republik eine weitere verlieh. Seht her, alle die sich an der Seite der Alliierten verdient gemacht haben, waren zuerst gute Faschisten gewesen.

    Offizielles Werbevideo (Ausschnitt) – Querbalken von mir

    Dass die ungeheuerliche Idee für diese Ausgabe des Kalenders übereinstimmenden Medienberichten zufolge von Isabella Rauti (FdI) stammen soll, überrascht kaum. Die Tochter des RSI-Kämpfers und späteren Gründers der faschistischen Terrororganisation Ordine Nuovo, Pino Rauti (MSI), hat aus ihrer Gesinnung noch nie ein Hehl gemacht. Im März des letzten Jahres war sie übrigens in Südtirol, um einer Übung der Alpini beizuwohnen.

    Ganz besonders perfide ist, dass die rechtsrechte Regierung nun Kritikerinnen des Kalenders als Kritikerinnen des Heeres abstempelt und ihnen vorwerft, die Streitkräfte für politische Zwecke zu missbrauchen, als ob nicht zuallererst sie selbst dies tun würden.

    Eine kritische Aufarbeitung der faschistischen Geschichte hat es auch beim italienischen Heer nie gegeben. So werden Schlachten in Afrika und Osteuropa nach wie vor verherrlichend gefeiert, und zwar unabhängig davon, wer gerade das Land regiert. Dies macht es den Neofaschistinnen nun umso leichter, ihre Gleichwertigkeitsdoktrin zu etablieren. Der nächste Schritt wird es dann womöglich sein, die Faschisten gar als überlegen oder zumindest — wie im Fall des Gedenkens an die Karsthöhlen vorexerziert — als die wahren Opfer darzustellen.

    Zu den drei Hauptsponsoren des Kalenders gehört neben den Rüstungskonzernen Leonardo und BDT (Beretta) auch Iveco Defence Vehicles mit Sitz in Bozen.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01 02

    • 1
      Original: »Per l’Italia sempre / …prima e dopo l’8 settembre 1943«
    • 2
      Original: »Gli stessi uomini, gli stessi eroi.«


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  • Polit-Crash in Zeitlupe.
    Quotation

    Heute wird Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) voraussichtlich im Amt bestätigt, diesmal von einer Koalition mit postfaschistischer Beteiligung. Sebastian Fischer schreibt auf Spiegel Online zur »Lage am Morgen«:

    Postfaschisten in Südtirol

    Im Norden Italiens, einem der wohlhabendsten Landstriche, wird man in den nächsten Monaten und Jahren womöglich einem Polit-Crash in Zeitlupe zuschauen können: Wie eine über viele Jahrzehnte herrschende christdemokratische Partei erst die Postfaschisten in die Regierung holt, sie dadurch im Land etabliert, sich in der Folge von Rechtsaußen treiben lässt – und bei Wahlen weiter abrutscht. Wetten?

    – Spiegel Online (Auszug)

    Mit Prognosen halte ich mich zwar grundsätzlich zurück, doch auch nur das Risiko, dass es so kommen wird, hätte man unbedingt vermeiden müssen. Und stattgefunden hat eine derartige Verschiebung ohnehin bereits zwischen 2018 und 2023. Jetzt schon steht Südtirol jedenfalls als nicht nachzuahmendes Beispiel da: Fischer zitiert Kompatscher abschließend mit der Aussage, man wolle hier »keine Plattform für irgendetwas Größeres« (etwa Koalitionen auf EU-Ebene) sein — und bemerkt lapidar: »Vielleicht auch besser so.«

    Von wegen kleines Europa in Europa.

    Cëla enghe: 01 02 03



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  • Sezessionismus in der EU.
    Veranstaltungshinweis

    Am Montag, den 5. Februar um 17.30 Uhr findet an der Eurac in Bozen die jährliche Vorlesung über Minderheitenrechte, diesmal zum Thema

    Sezessionistische Forderungen in der Europäischen Union

    Eine europäische Sichtweise im Dialog mit lokalen Dynamiken und historischen Perspektiven 

    statt. Emanuele Massetti, außerordentlicher Professor der Fakultät für Internationale Studien der Universität Trient, wird

    auf Grundlage seines kürzlich erschienenen Buches „L‘Unione europea e le sfide secessioniste“ (il Mulino 2023) über die Perspektiven und Grenzen von Unabhängigkeitsinitiativen sprechen. Welche Rolle hat die Europäische Union bei der Entwicklung von Sezessionsbestrebungen gespielt? Welche Position vertritt die EU gegenüber solchen Forderungen? Wie gehen die verschiedenen europäischen Institutionen mit dem Thema um? Und wie realisierbar sind Unabhängigkeitsprojekte in Europa im Allgemeinen?

    Nach dem Vortrag wird Professor Massetti mit Oskar Peterlini, Professor an der Freien Universität Bozen und wissenschaftlicher Berater des Buches „Kann Südtirol Staat?“ über die Südtiroler Perspektive zu diesem Thema diskutieren. Josef Prackwieser vom Center for Autonomy Experience wird den Abend mit einem historischen Überblick zu Sezessionsbewegungen abrunden.

    – aus der Einladung

    Linksetzung von mir

    Die Veranstaltung wird vom Institut für Minderheitenrecht der Eurac in Zusammenarbeit mit dem Center for Autonomy Experience und der Südtiroler Gesellschaft für Politikwissenschaft – Politika organisiert. Sprache: Italienisch.



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  • Wenn Sprachen im Wettbewerb stehen.
    Sprachwechsel

    Zur Vorstellung der Studie von Daniel M. Abrams und Steven H. Strogatz über die »Modellierung der Sprachtoddynamik«1Originaltitel: Modelling the dynamics of language death. reichte in Nature vom 21. August 2003 (Vol. 424 – S. 900) eine einzige Seite. Auch anhand historischer Daten hatten die beiden Wissenschafter der renommierten Cornell University in New York zuvor ein Modell entwickelt, um den Sprachwechsel (language shift) ganzer Gemeinschaften beschreiben, erklären und künftig womöglich vorhersagen zu können. Dies soll dazu dienen, Programme zum Spracherhalt erfolgversprechender zu gestalten und zu evaluieren.

    Aus Südtiroler Sicht von enormer Bedeutung ist meiner Meinung nach die Feststellung, dass Sprachen, wenn sie im Wettbewerb miteinander stehen (language competition), de facto nicht stabil koexistieren können. Das Modell wurde anhand von 42 Regionen in so unterschiedlichen Ländern und Gebieten wie Peru, Schottland, Wales, Bolivien, Irland oder Elsass-Lothringen mit jeweils sehr ähnlichen Ergebnissen überprüft. Entscheidend dafür, welche Sprache sich im Kontakt mit einer anderen durchsetzt, sind laut Abrams und Strogatz insbesondere die Anzahl an Sprechenden und der Status (das Prestige) einer Sprache. Dass sich jedoch eine der beiden Sprachen gegen die andere durchsetzen wird, steht ziemlich außer Frage.

    Wie die beiden Wissenschafter einräumen, existieren mehrsprachige Gesellschaften in der Realität trotzdem. Zu erklären sei dies jedoch bloß damit, dass es sich dabei eigentlich um unterschiedliche Gemeinschaften handle, die in einem Gebiet zusammenleben. In Südtirol würde man vielleicht sagen: sie leben nebeneinander, aber nicht miteinander. Sobald sich diese Gemeinschaften jedoch stärker vermischen, setzt der Sprachwettbewerb mit der bekannten und quasi unausweichlichen Folge ein, dass sich über kurz oder lang nur eine Sprache halten wird.

    Man kann also wohl sagen, dass eine Gesellschaft als ganze paradoxerweise umso stabiler mehrsprachig bleibt, je weniger sich die Sprachgemeinschaften vermischen. Oder jedenfalls, dass auch Einsprachigkeit nötig ist, um die Mehrsprachigkeit des Systems sicherzustellen (vgl. 01).

    Abrams und Strogatz weisen in Nature ausdrücklich darauf hin, das Beispiel von Québec — mit seiner stark asymmetrischen Förderung des Französischen — zeige, dass Sprachgesetze, Bildungssystem und Sensibilisierung den Status einer gefährdeten Sprache erhöhen und ihren Niedergang verlangsamen (aber wohl nicht verhindern) können. Eine rigorose Sprachpolitik wie in Québec fehlt in Südtirol fast vollständig.

    Dass in der Studie auch Sprachen wie Deutsch (in Elsass-Lothringen) und Französisch (in Québec) berücksichtigt wurden, macht übrigens auch deutlich, dass das Modell und seine Vorhersagen keineswegs nur auf reine Minderheitensprachen (also Sprachen ohne Staat) anwendbar sind. Es ist wohl höchstens so, dass eine Sprache, die andernorts Staatssprache ist, oft davon einen höheren Status ableiten kann, womit ihr Niedergang als Minderheitensprache verlangsamt werden kann.

    Anders als in Québec und in den meisten anderen Minderheitengebieten, die mir bekannt sind, gibt es in Südtirol noch häufig die romantische (und naive) Vorstellung, dass sich mehrere Sprachen notwendigerweise gegenseitig bereichern und zum Beispiel mehrsprachige Schulen ohne asymmetrische Vorkehrungsmaßnahmen eingeführt werden könnten, ohne dass dies negative Folgen auf den Fortbestand der mehrsprachigen Gesellschaft haben würde.

    Realistischer scheinen es da die italienischen Rechtsparteien (und allgemein die nationalistischen Kräfte) einzuschätzen, die seit geraumer Zeit erkannt oder zumindest erahnt haben, dass eine gleichberechtigte Vermischung der beiden Gemeinschaften letztendlich den Niedergang der Minderheit bedeuten wird.

    Auf die einflussreiche Studie von Abrams und Strogatz aufmerksam geworden bin ich übrigens durch eine Arbeit von Pablo Rosillo-Rodes, Maxi San Miguel und David Sánchez, die im November 2023 veröffentlicht wurde.2doi: 10.1063/5.0166636 Die drei Wissenschafter schlagen vor, das Modell um den Faktor »Sprachideologie« zu erweitern und es somit in seiner Aussagekraft zu verfeinern, damit Vorhersagen über die Dauer der Koexistenz zweier Sprach(varietät)en und über diejenige, die sich durchsetzen wird, zumindest theoretisch3in der Realität liegen angeblich zu wenige bzw. zu schlechte Daten vor, um damit arbeiten zu können noch genauer werden. Sie kommen zum Schluss, dass subjektive bzw. kollektive Präferenzen und Einstellungen zu einer Sprache (in Südtirol vielleicht Mythen wie: »Deutsch ist zu schwer«, »die Südtirolerinnen sprechen gar nicht richtiges Deutsch« und »sie sprechen lieber Italienisch als Standarddeutsch«, »Italienisch klingt besser und melodischer« etc.) andere Faktoren konterkarieren respektive verstärken können. Auch Rosillo-Rodes, San Miguel und Sánchez kommen jedoch zum Schluss: Je stärker der Kontakt zwischen den Gruppen, desto unwahrscheinlicher die dauerhafte Koexistenz mehrerer Sprachen.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07 || 01

    • 1
      Originaltitel: Modelling the dynamics of language death.
    • 2
      doi: 10.1063/5.0166636
    • 3
      in der Realität liegen angeblich zu wenige bzw. zu schlechte Daten vor, um damit arbeiten zu können


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  • Heißen Sie niemals Tschurtschenthaler!

    “Der Jannik ist wie ein Brillant im Mittelmeer. Wir machen keine Werbung mit ihm, profitieren aber, wenn andere über ihn berichten”, sagt Waltraud Watschinger, Präsidentin des Tourismusvereins und Inhaberin des Hotels Drei Zinnen.

    Bei Jannik Sinner stimme einfach alles. Selbst sein Name. “Stellen Sie sich vor, er würde Reinhard Tschurtschenthaler heißen, das kann doch kein australischer Reporter aussprechen.”

    aus der Titelgeschichte der dieswöchigen ff (Nr. 02/24) über Jannik Sinner

    Darüber hatte ich noch nie nachgedacht, doch natürlich klafft hier eine gewaltige Gesetzeslücke, die im Interesse der Standortvermarktung dringend geschlossen werden muss: Personen des öffentlichen Lebens sollten fortan, sinngemäß, wie Ortsnamen behandelt und ihr Name ins Italienische übertragen werden, insbesondere wenn die inter- und die nationale Aussprechbarkeit gefährdet sind. Die nötige wissenschaftliche Grundlagenforschung hat gottseidank bereits ein angesehener Wissenschafter vor einem Jahrhundert erledigt — und, ganz ehrlich, damals war ja auch nicht alles schlecht. Jedenfalls war kaum je ein Zeitpunkt günstiger für diese im besten Sinne autokoloniale Maßnahme als jetzt. Bei den Koalitionspartnern der SVP und der Regierung in Rom wird die Umsetzung im Rahmen des Autonomieumbaus wohl ein Selbstläufer sein.

    Frau Watschinger (autsch, was für ein Name) muss ich aber leider enttäuschen: Ihr mag es ja nicht aufgefallen sein, doch während der Name Jannik Sinner eine akzeptable Geschmeidigkeit aufweist, ist seine Bedeutung im Englischen verbesserungsfähig. Auch in seinem Fall wäre also, natürlich im ausschließlichen öffentlichen Interesse, eine Anpassung ratsam.

    Cëla enghe: 01 02 03 04



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  • Katalonien soll Einwanderung selbst regeln.

    Mit einer kurzen Medienmitteilung hat Junts per Catalunya (JxC), die Partei des katalanischen EU-Abgeordneten und Ex-Präsidenten Carles Puigdemont, gestern bekannt gegeben, dass mit der spanischen Regierung von Pedro Sánchez (PSOE) eine Einigung zum Übergang sämtlicher Zuständigkeiten im Bereich Immigration an die katalanische Generalitat erzielt worden sei. Schon das Autonomiestatut von 2006 hätte eigentlich vorgesehen, dass diese Kompetenz von Katalonien autonom wahrgenommen wird. Das spanische Verfassungsgericht erklärte dies damals jedoch nachträglich für unzulässig.

    Nun werde jedoch der verfassungsrechtlich abgesicherte Weg eines Organgesetzes beschritten, das speziell für Katalonien erlassen werden und der Generalitat die volle Zuständigkeit über diesen Bereich, einschließlich der entsprechenden Finanzmittel, übertragen soll. Damit könnten die Regierung und das Parlament von Katalonien eine eigene, auf die Bedürfnisse des Landes zugeschnittene Zuwanderungspolitik beschließen.

    Angaben des Generalsekretärs von Junts Jordi Turull zufolge soll Katalonien damit in diesem Bereich auf die Ebene eines Staates gehoben werden. Die Einigung sehe nicht lediglich die Übertragung der Verwaltungszuständigkeiten vor, denn damit wäre die Zuwanderungspolitik in Madrid verblieben und Katalonien hätte sich nur um den Papierkram — die Abwicklung — kümmern können.

    Allem Anschein nach dürfte Katalonien damit ähnliche oder sogar noch größere Befugnisse erhalten, als sie zum Beispiel Québec hat. Beide Gebiete verfügen außerdem auch über die Zuständigkeit für Polizei und innere Sicherheit.

    Die Regierung von Pedro Sánchez ist auf die Stimmen von JxC angewiesen, um regieren zu können. Es wird daher erwartet, dass sie im Laufe der kommenden Jahre noch weitere bedeutende Zugeständnisse an die Katalaninnen machen wird. Bereits umgesetzt wurde die Plurilingualisierung des spanischen Parlaments.

    Südtirol ist weder für Immigration noch für die öffentliche Sicherheit zuständig, bemüht sich jetzt aber zuerst einmal mit den Rechtsrechten, die noch nicht einmal die Minderheitensituation anerkennen, um die Wiederherstellung der Autonomierechte von 1992. Auch die umfassen keinerlei Kompetenzen in diesen Bereichen.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06



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