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  • Natürlich keine Sportautonomie.

    Wenige Wochen vor der Landtagswahl hatte der italienische Ministerrat um Giorgia Meloni letzten September eine Durchführungsbestimmung (DFB) genehmigt, die uns die Landesregierung als »Umsetzung der Sportautonomie« verkaufen möchte. Konkret verfügt die Norm jedoch lediglich

    • eine organisatorische Anpassung des Italienischen Nationalen Olympischen Komitees (INOK/CONI) an die Realität seit 1972 (!), dass Südtirol und Trentino autonome Provinzen und keine gewöhnliche (autonome) Region sind;
    • dass das INOK unter Wahrung seiner Autonomie den »sprachlichen Besonderheiten der Gebiete« Rechnung tragen muss;
    • die Anerkennung des Verbands der Sportvereine Südtirols (VSS) und der Unione società sportive altoatesine (Ussa) als Sportfördereinrichtungen;
    • die Kontrollfunktion des Landes über VSS und Ussa.

    Das mag für VSS und Ussa eine wichtige Errungenschaft sein, doch im Grunde kann von einer tatsächlichen Autonomie und größeren Spielräumen gegenüber dem NOK — statt nur innerhalb des NOK — kaum die Rede sein. Noch nicht einmal eine sprachliche Gleichstellung wurde erreicht, sondern lediglich eine alles und nichts (aber vor allem: nichts) sagende Berücksichtigung von »Besonderheiten«. Erstaunlicher als die neue Durchführungsbestimmung an sich scheint mir die Tatsache, dass eine angebliche Vorzeigeautonomie so banale Anpassungen überhaupt erst erkämpfen musste. Mit einer Sportautonomie, wie sie etwa Schottland, Wales, Nordirland oder die Färöer genießen, hat das alles absolut gar nichts zu tun. Eher schon ist das Gegenteil ist der Fall. Nicht von ungefähr bejubelte Postfaschist Alessandro Urzì (FdI), seines Zeichens Vorsitzender der Sechserkommission, die neue DFB mit großer Genugtuung:

    Mit dieser Norm wird selbstverständlich jede Idee von Sport-‘Separatismus’ hinfällig und alles bleibt fest in den Händen des CONI, wenn auch mit einer funktionaleren Gliederung auf Landesebene.

    – Alessandro Urzì (FdI)

    Übersetzung von mir (Original anzeigen)

    Con questa norma ovviamente viene a decadere ogni ipotesi di ‘separatismo’ sportivo rimanendo tutto saldamente in capo al coni, sebbene con le articolazioni più funzionali a livello provinciale.

    – Alessandro Urzì (FdI)

    Die zahme Minderheit kriegt ein paar Leckerlis, damit sie im Gegenzug umso loyaler das Stöckchen holt.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06



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  • Haudenosaunee wollen zu Olympia.

    Die Sportart Lacrosse ist schon Jahrhunderte alt und geht auf die sogenannten First Nations zurück, die auf dem Gebiet um die Großen Seen in Nordamerika siedel(te)n. Heute gilt der Mannschaftssport, der sich seit einigen Jahren auch in Europa verbreitet, in Kanada als offizieller Nationalsport — und ist in dieser Eigenschaft das sommerliche Pendant zum Eishockey. Bei den Olympischen Spielen von 2028 in Los Angeles soll die traditionsreiche Disziplin nach langer Zeit wieder zu sehen sein, und zwar wie 1904 und 1908 als vollwertige Wettkampfsportart und nicht, wie zuletzt 1948 in London, als Demonstrationssport. Die Haudenosaunee, eine Konföderation von sechs irokesischen Nationen in den heutigen USA und Kanada, erheben in diesem Zusammenhang den Anspruch, gemeinsam unter eigener Flagge an den olympischen Lacrosse-Bewerben teilnehmen zu dürfen und nicht für eines der beiden Länder. Das ist ein Modell, das bei anderen Bewerben schon seit den 1980er Jahren praktiziert wird, so etwa bei den World Games, wo die Haudenosaunee mit eigenen Teams antreten. Unterstützung für eine unabhängige Teilnahme an Olympia 2028 kommt auch von weit oben: US-Präsident Joe Biden befürwortet die grenzüberschreitende Mannschaft der Ureinwohnerinnen nicht nur, sondern richtete einen offiziellen Aufruf an das IOK, ihre Teilnahme zu gestatten. Bisher haben sich die Verantwortlichen zu dem Wunsch noch nicht geäußert. Die Erfolgschancen sollen dabei eher mäßig sein, da ausgerechnet bei Olympischen Spielen, die ja für sich beanspruchen, im Dienste der Völkerverständigung zu stehen, mit die strengsten Regeln gelten und fast ausschließlich anerkannte, souveräne Staaten teilnahmeberechtigt sind. Auch Schottland, Nordirland, Wales und England dürfen etwa nur gemeinsam als Vereinigtes Königreich antreten. Dennoch sind die Haudenosaunee (wie die Färöer) guter Dinge, dass ihr Traum letztendlich in Erfüllung gehen wird.


    Hierzulande wäre eine Unterstützung vonseiten des Staates für eine unabhängige Teilnahme an internationalen Bewerben kaum vorstellbar. Im Gegenteil werden sportliche Erfolge von Südtirolerinnen pünktlich genutzt, um ihre Loyalität und Bindung an den Nationalstaat zu vertiefen. So steht schon im Raum, dass Tennisprofi Jannik Sinner bei den Sommerspielen in Paris 2024 italienischer Fahnenträger sein soll. Selbst die Nutzung einer einzigen Sportanlage in einer Nachbarregion1Eiskanal in Igls oder San Murezzan/St. Moritz bei den Olympischen Spielen 2026 von Mailand und Anpezo wird als inakzeptabel betrachtet.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01 02

    • 1
      Eiskanal in Igls oder San Murezzan/St. Moritz


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  • Öffentliche Dienste verweigern deutsche Sprache.
    Riesiges Ungleichgewicht

    Im Jänner hatte das Statistikinstitut des Landes (Astat) Daten über die Zufriedenheit der Bürgerinnen mit den öffentlichen Diensten 2023 (Astat-Info 01/24) veröffentlicht. Den Aspekt der Digitalisierung hatte ich bereits herausgegriffen und thematisiert. Unter den Hauptgründen für die Unzufriedenheit der Bürgerinnen mit Diensten, die sie tatsächlich beansprucht haben, befindet sich auch die unzureichende Zweisprachigkeit.

    Für vier Bereiche (Gesundheitsdienst, Landesverwaltung, Post, NISF) hat mir das Astat freundlicherweise die nach Sprachgruppe der Befragten aufgeschlüsselten Daten zur Verfügung gestellt. Um die Effektivität des Minderheitenschutzes zu bewerten, ist diese Information meines Erachtens von großer Wichtigkeit.

    Eindeutiger könnte das Bild kaum sein: Sowohl bei Landes- als auch bei staatlichen Diensten sind es vor allem die deutschsprachigen Südtirolerinnen, die ihre Unzufriedenheit auf die mangelnde Zweisprachigkeit des Personals zurückführen. Italienischsprachige Südtirolerinnen sind mit dem Problem offenbar fast gar nicht konfrontiert, beziehungsweise in einem Ausmaß11-2% der Unzufriedenen, das eine mehrsprachige Verwaltung selbst im Idealfall wohl kaum unterbieten könnte. Erschreckend ist zudem vor allem das Ungleichgewicht: Bei der Post, mit deren Diensten 42% der Befragten »kaum«229% oder »gar nicht«313% zufrieden sind, konstatierten Deutschsprachige 13 Mal (!) öfter mangelnde Zweisprachigkeit als ihre italienischsprachigen Mitbürgerinnen.413% zu 1%. Beim NISF beträgt dieses Missverhältnis 12:1, beim Gesundheitsdienst 9½:1 und bei der Landesverwaltung 8:1 — in einem Land, in dem die große Mehrheit der Bevölkerung und (zumindest theoretisch) auch der öffentlichen Bediensteten der deutschen Sprachgruppe angehören. Ein klareres Indiz für die Minorisierung der deutschen Sprache in Südtirol könnte es kaum geben. Dabei sind mindestens zwei Koalitionspartner der SVP in der neuen Landesregierung (FdI und Uniti/Lega) sogar der Auffassung, dass die Italienerinnen (also die Titularnation!) die eigentliche Minderheit seien.

    Eine gleichmäßiger auf die Sprachgruppen verteilte Unzufriedenheit mit der Erfüllung der Sprachenrechte wäre aus Sicht des Minderheitenschutzes bei weitem nicht so alarmierend wie die hier dokumentierte Situation, der zufolge selbst bei Landesdiensten eindeutig die staatliche Mehrheitssprache bevorzugt wird. Italienisch und Deutsch (in dieser Reihenfolge) spielen tatsächlich in zwei unterschiedlichen Ligen.

    Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die hier angegebenen Zahlen noch gar nicht ein vollständiges Gesamtbild abgeben, da nur diejenigen, die angegeben hatten, mit einem Dienst insgesamt unzufrieden gewesen zu sein, nach den Gründen für ihre Unzufriedenheit gefragt wurden. Minderheiten sind darüber hinaus grundsätzlich (und notgedrungen) »toleranter« als Mehrheitsgesellschaften, wenn ihnen Sprachrechte verweigert werden, womit zumindest vermutet werden kann, dass insbesondere Deutschsprachige unzureichende Zweisprachigkeit in vielen Fällen per se nicht einmal zum Anlass nehmen, einen Dienst negativ zu bewerten.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 || 01 02

    • 1
      1-2% der Unzufriedenen
    • 2
      29%
    • 3
      13%
    • 4
      13% zu 1%


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  • Leiter Reber stimmt nicht für Regierung.
    Kompatscher III

    Erst kürzlich hatte sich der Landtagsabgeordnete Andreas Leiter Reber (F) im Laufe eines Interviews mit Rai Südtirol von FdI distanziert.

    Bei sachpolitischen Themen sei er durchaus kompromissbereit, aber wenn es um bestimmte Wertvorstellungen gehe, gebe es Grenzen. Den (überzogenen) »Pragmatismus« der SVP bezeichnete er als »gefährlich«.

    Während er noch kürzlich für die Bestätigung von Arno Kompatscher (SVP) als Landeshauptmann gestimmt hatte, enthielt er sich heute bei der Wahl der Landesregierung, zu der auch Parteikollegin Ulli Mair gehört. Die ohnehin knappe Mehrheit von 19 Abgeordneten ist also schon bei der Wahl der Regierung, die im Gesamtpaket erfolgt, auf das absolute Minimum (18 von 35) geschrumpft. Enthalten hat sich neben Leiter-Reber auch Andreas Colli (JWA).

    Dabei kam es auch noch zu einer kleinen Panne: Da Leiter Reber der Meinung war, es handle sich um eine Probeabstimmung, stimmte er für die Regierung, gab dann aber unverzüglich zu Protokoll, dass er sich eigentlich enthalten wollte, wenn es sich bereits um die endgültige Abstimmung gehandelt hat.

    Ob die offizielle Zählung 18 oder 19 Stimmen verzeichnet, ist nun eigentlich einerlei. Die neue Regierung wäre auch mit 18 Stimmen gewählt gewesen, doch die Absicht von Leiter Reber wiegt bereits wie ein Damoklesschwert auf der Mehrheit von SVP und Recht(sextrem)en.

    Sofort im Anschluss an die Wahl der Landesregierung scheiterte die Mehrheit übrigens in anonymer Wahl gleich zweimal an der Wahl von Arnold Schuler (SVP) zum neuen Landtagspräsidenten. Erst im dritten Wahlgang wurde er ohne absolute Mehrheit — trotz Patt mit seinem Vorgänger Josef Noggler (SVP) — mit nur 17 Stimmen gewählt.1Bei Stimmengleichheit gilt jener Kandidat als gewählt, der bei der Landtagswahl mehr Vorzugsstimmen hatte. Ganz ähnlich lief es dann auch bei der Wahl seines Stellvertreters Angelo Gennaccaro (Civica), der erst im dritten Anlauf 19 Stimmen erhielt.

    Am 24. Jänner hatte Südtirol Online Magdalena Amhof (SVP) wegen des Rückziehers von Parteikollegin Waltraud Deeg gefragt, ob Arno Kompatscher »den Laden nicht zusammenhalten« kann. Ihre Antwort war dann wohl etwas unvorsichtig:

    Doch, das kann er schon und das wird er auch damit beweisen, dass wir weiterhin 19 Mandatarinnen und Mandatare in dieser Mehrheit sind.

    – Magdalena Amhof (SVP)

    Cëla enghe: 01

    • 1
      Bei Stimmengleichheit gilt jener Kandidat als gewählt, der bei der Landtagswahl mehr Vorzugsstimmen hatte.


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  • Sinners nationalistische Heiligsprechung.

    Mit Jannik Sinner hat ein Südtiroler eine beeindruckende sportliche Leistung erbracht. Schon zeigt sich, wie perfekt in Rom die Maschinerie der politischen und nationalen Vereinnahmung funktioniert, der er sich so gut wie nicht entziehen könnte, egal ob er es möchte.

    Bei der Rückkehr aus Australien wird Sinner von Sportminister Andrea Abodi (parteilos) empfangen, weiter geht es zu Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (FdI), die ihm — eine Reihe von fünf grünweißroten und zwei Europaflaggen im Rücken — eine weitere Nationalflagge in die Hand drückt, um sie mit ihm gemeinsam in die Kamera zu halten. Umarmung folgt. Nächste Station ist bei Außenminister Antonio Tajani (FI), der Sinner eine Plakette übergibt, auf der neben dem Staatswappen gleich dreimal die Trikolore zu sehen ist — womit er ihn kurzerhand zum »Botschafter des italienischen Sports in der Welt« ernennt. Senatspräsident Ignazio Benito La Russa (FdI) erklärt Medien gegenüber, Sinner habe die Tatsache »geheiligt«, dass die »deutschsprachigen Italiener« (!) genauso italienisch seien wie die italienischsprachigen. Vorläufig letzter Empfang: morgen bei Staatspräsident Sergio Mattarella. All dies — ohne Anspruch auf Vollständigkeit — in nur wenigen Stunden.

    Es wird seine Wirkung nicht verfehlen.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07



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  • Bozen: Ohne Italienisch kein Bikesharing.
    Minorisierung

    Kürzlich hatte der Bozner Gemeinderat STA und SASA aufgefordert, die Haltestellen in den Linienbussen künftig in der Reihung Italienisch-Deutsch statt Deutsch-Italienisch anzukündigen. Die Landeshauptstadt ist höchst sensibel, wenn es um das Recht und die Vorherrschaft der italienischen Sprache geht. Eine Bevorzugung (oder auch nur eine gleichberechtigte Erstreihung) der deutschen Sprache, wie es der Minderheitenschutz nahelegen würde, kommt nicht in Frage. Erstgereiht muss nach den Wünschen des Gemeinderats immer und überall die staatliche Mehrheitssprache sein, die auch in Bozen die dominante Sprache ist.

    Anders als im Großteil des restlichen Landesgebiets ist Deutsch in der Landeshauptstadt sogar in einer doppelten Minderheitensituation und bedürfte dort daher eigentlich noch stärkerer Schutz- und Fördermaßnahmen.

    Wenn es um die deutsche Sprache geht, ist Bozen aber leider weniger — viel weniger — sensibel. So hat die Gemeinde im Jahr 2019 gemeinsam mit der Firma Ecospazio (Logiss GmbH) aus Rovereto ein neues Fahrradsharingsystem eingerichtet und bereitgestellt. Auch die Fahrräder gehören, wie die Stadtbusse, zum öffentlichen Mobilitätsangebot, doch hier spielt die deutsche Sprache nur eine untergeordnete Rolle:

    Wo sie an den Fahrradstationen (einsprachig Ciclo stazione genannt) überhaupt berücksichtigt wurde, ist die zweite Amtssprache der Gemeinde weder erst- noch zweitgereiht, sondern steht erst nach Englisch an dritter Stelle. Italienisch ist hingegen auch noch grafisch fett hervorgehoben.

    Auf dem Display der Stationen stehen sämtliche Informationen (bis auf den Standort, hier: Bahnhofsallee) sowie die Bedienung gar nur einsprachig auf Italienisch zur Verfügung.

    Und während die angegebene Internetadresse bolzano.ecospazio.it gar nicht mehr zu existieren scheint, führt bicibolzano.ecospazio.it zu einer Webapplikation, die ebenfalls einsprachig italienisch ist:

    Screenshot bicibolzano.ecospazio.it: nur auf Italienisch verfügbar

    Eine Sprachwahl existiert nicht. Sowohl Bürgerinnen als auch Gäste müssen also zwangsläufig die italienische Sprache beherrschen und nutzen, um das öffentliche Mobilitätsangebot der Südtiroler Landeshauptstadt in Anspruch nehmen zu können. Das ist (anders als die Busdurchsagen, egal in welcher Reihung) einerseits gesetzeswidrig und respektlos, andererseits aber auch kontraproduktiv und dumm, wenn tatsächlich die nachhaltige Mobilität gefördert werden soll.

    Zusammenfassend lässt sich sagen: Positive Diskriminierung der deutschen Sprache (affirmative action) lehnt die Gemeinde Bozen ab, (negative) Diskriminierung betreibt sie hingegen selbst aktiv. Italienisch ist unerlässlich und muss stets an erster Stelle stehen, Deutsch ist überflüssig und kann, wenn überhaupt, letztgereiht sein.

    Immer mehr wird aber im Gegenzug gerade in Bozen dem Schulsystem die angeblich erwünschte — und doch nicht praktizierte (01 02) — Mehrsprachigkeit aufgebürdert, wo doch inzwischen klar ist, dass dafür vor allem ein mehrsprachiges Umfeld vonnöten wäre.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01 02



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  • Entbürokratisierung durch Digitalisierung? Nicht anwendbar!
    Die Tücken des digitalen Informationssystems für öffentliche Verträge

    In der heutigen Ausgabe der Tageszeitung bescheinigt IT-Experte Christoph Moar dem Zustand der Digitalisierung in Südtirol ein fortgeschrittener zu sein. Unser Land gehöre “zu den voran stürmenden Regionen Europas”. Ich maße mir nicht an, ein Urteil über diesen Befund abzugeben, da mir schlicht Expertise und Einblick dafür fehlen. Und in der Tat habe ich auch schon gute Erfahrungen mit Digitalisierung in Südtirol gemacht. Aber angesichts des nun folgenden Beispiels – wenngleich es sich lediglich um anekdotische Evidenz handelt – kommen mir schon auch Zweifel am “Musterschüler” Südtirol.

    Bereits im Jahr 2016 hat Simon einen Artikel über das von der Mailänder Firma i-Faber im Auftrag des Landes geführte Portal www.ausschreibungen-suedtirol.it geschrieben, in dem er die stellenweise völlig unverständlichen Formulierungen in der deutschsprachigen Version der Website kritisiert. Drei Jahre später machte Simon schließlich aus beruflichen Gründen selbst Bekanntschaft mit dem Portal und berichtet in einem weiteren Artikel über komplizierte Abläufe, nicht nachvollziehbare bzw. verwirrende bis widersprüchliche Anforderungen und schlampige bis katastrophale Übersetzungen.

    Weitere fünf Jahre später war nun ich an der Reihe, dieses – als best practice – angepriesene Portal kennenzulernen. Ich halte als Privatperson auf Honorarnotenbasis sporadisch Vorträge zu unterschiedlichen Themen in Schulen und in der Erwachsenenbildung. Für meinen jüngsten Auftrag wurde mir von Seiten der gastgebenden Schule mitgeteilt, dass ich mich für eine Beauftragung beim Informationssystem Öffentliche Verträge (www.ausschreibungen-suedtirol.it) anmelden müsse. Zunächst war ich guter Dinge, da ich hoffte, dass dadurch das nervige Zettelwerk, durch das man sich bei jedem solchen Auftrag kämpfen muss, der Vergangenheit angehören sollte. Schließlich erspart man sich durch solche Datenbanken das Mehrfach-Ausfüllen und digitale Formulare können ja ohne großen Aufwand automatisch und dynamisch an die spezifischen Bedürfnisse des Nutzers angepasst werden.

    Zu Beginn wird nach der “Bezugsperson” gefragt. Da wurde ich dann auch gleich etwas stutzig, als ich zwischen “gesetzlicher/e (sic) Vertreter/in” und “Bevollmächtigter/e” (sic) wählen musste. Ich entschied mich dafür, dass ich von nun an also der gesetzliche Vertreter meiner selbst sein würde. Beim folgenden Drop-down standen dann “Geschäftsführer/in”, “alleiniger/e (sic) Geschäftsführer/in”, “Verwaltungsratsmitglied”, “Präsident/-in des Verwaltungsrates”, “Gesellschafter/in”, “gesetzlicher/e (sic) Vertreter/in” und “Bevollmächtigter/e” (sic) zur Auswahl. In Ermangelung einer tatsächlich zutreffenden Funktion entschied ich mich neuerlich für “gesetzlicher/e (sic) Vertreter/in”. Dann folgte das Kapitel “Daten des Unternehmens”. Jetzt wurde ich richtig stutzig. Ich kontrollierte nochmals nach, ob ich nicht irgendwo übersehen hatte, dass man zwischen “Privatperson”, “Freiberufler” und “Unternehmen” wählen konnte und sich das Formular dynamisch anpasst. Doch diese Auswahl gab es nirgends.

    Jedenfalls sollte ich nun in einem Pflichtfeld (wenn dieses nicht ausgefüllt ist, kann man mit der Registrierung nicht fortfahren) den Rechtssitz meines Unternehmens angeben, das ich nicht habe. So beschloss ich, mich noch spät am Abend per E-Mail an den Support zu wenden. Erstaunlicher- und lobenswerterweise erhielt ich trotz fortgeschrittener Stunde nach wenigen Minuten Antwort. Neben einer verständlichen Erklärung und einem Link zu einem Handbuch stand dort zu lesen:

    Alle Felder mit rotem Sternchen sind Pflichtfelder und müssen ausgefüllt werden. Sollte eine Position nicht auf Sie zutreffen, können Sie das Feld mit „0“, sofern es sich um Ziffernfeld handelt oder „nicht anwendbar“ bei Textfeldern ausfüllen.

    Ich füllte also alle Zahlenfelder mit “0” aus und schrieb in die Textfelder “nicht anwendbar”. Die Auswahl des Landes erfolgte jedoch über ein Drop-down-Menü, in welches man freilich nichts eintragen konnte. Die Option “keines” stand allerdings nicht zur Auswahl. Ich wende mich wieder an den Support und erhalte neuerlich rasche Antwort:

    den Staat für den Rechtssitz des Unternehmens muss ausgefüllt werden. Die ist ein einheitliches Formular für Firmen, Freiberufler und Privatpersonen, auch wenn Rechtssitz steht, können Sie hier Ihre Daten eingeben.

    Da diese Auskunft ein Aufruf zu einer behördlichen Falscherklärung ist, frage ich nochmals nach:

    Habe ich das richtig verstanden: Obwohl ich Privatperson bin, tu ich so, als ob ich ein Unternehmen wäre und gebe z. B. als Rechtssitz meines “Unternehmens” meine Privatadresse an und erkläre, dass ich der “gesetzliche Vertreter” meiner selbst bin? Kommt mir zwar ein bisschen eigenartig vor, aber wenn es so sein soll …

    Neuerlich erhalte ich umgehend eine Antwort (der Support funktioniert zumindest):

    genau, man wählt einfach aus was am Nächstens zutrifft und in den Felder, welche händisch auszufüllen sind, 0 oder keine. Es gibt zur Zeit keine andere Möglichkeit.

    Obwohl ich Bauchweh bei der Sache habe, tue ich, wie mir geheißen. Es folgen über 30 Felder (z. B. Angewandte Kollektivverträge anführen, Gesellschaftskapital, Voraussetzungen gemäß Art. 90 D.P.R. 207/2010, Zertifizierungen von Dritten für Produkte, Umweltzertifizierungen usw.), die meist auf mich als Privatperson nicht zutrafen. Nachdem ich in gut 90 Prozent aller Felder “0”, “nicht anwendbar” oder “keine” eingetragen hatte, drückte ich auf “weiter” – mit folgendem Ergebnis:

    Schwärzung von mir

    Ich habe statt “0” dann auch “nicht anwendbar” und “keine” versucht – das Ergebnis blieb das gleiche. Ohne Mehrwertsteuernummer, die ich nicht habe, komme ich nicht weiter.

    Völlig entnervt wende ich mich wieder an den Support:

    Guten Nachmittag,

    Sie können da wahrscheinlich am wenigsten dafür, aber das ist ein Witz. Ich geb’s auf.
    Habe jetzt bei Mehrwertsteuernummer “0”, “keine” und “nicht anwendbar” probiert (siehe Screenshots), aber bei keiner Variante komme ich weiter. Es verlangt weiter nach einer Mehrwertsteuernummer, die ich nicht habe. Ebenso bin ich nicht gewillt, eine (weitere) Falscherklärung abzugeben, indem ich einfach eine Mehrwertsteuernummer erfinde oder eine bestehende irgendeines Unternehmens verwende.
    Das kann es echt nicht sein. Die öffentliche Hand verlangt von mir, dass ich – belegt mit meiner Steuernummer – Falscherklärungen mache (ich bin kein Unternehmen) und stellt dafür – im Sinne der Entbürokratisierung – ein unfertiges Portal zur Verfügung, das für Privatpersonen und Freiberufler nicht funktioniert und für solche eine Anmeldung verunmöglicht, welche aber von der öffentlichen Schule, für die ich den Vortrag halten soll, verlangt wird.

    Jedenfalls war ich jetzt mit den bürokratischen Notwendigkeiten – ohne an ein Ende zu kommen – länger beschäftigt, als mein Vortrag überhaupt dauert. So rentiert sich das für mich nicht mehr, wenn ich da Stunde um Stunde vergeuden muss. Das ist sehr schade. Schilda lässt grüßen.

    Bitte leiten Sie meine Beschwerde an die zuständige Stelle weiter.
    Vielen Dank und nichts für ungut

    Mit freundlichen Grüßen
    Harald Knoflach

    Am folgenden Tag erhalte ich einen Anruf vom zuständigen Amt aus Bozen. Eine freundliche Dame, der ich mein Leid, meinen Ärger und mein Erstaunen schildere, klärt mich alsdann auf, dass ich im Feld der Mehrwertsteuer einfach 11-mal die “0” eingeben müsste, dann sollte es funktionieren. Logisch. Warum bin ich Trottel da nicht selbst draufgekommen? Eine Mehrwertsteuernummer hat 11 Stellen. Das System überprüft nicht die Nummer, sondern lediglich die Anzahl der Stellen. Wenn man also elf Nullen eingibt, ist das System überlistet. Wahnsinn! Was für ein Dilettantismus! Und im Prinzip wieder eine Falscherklärung. Da müssen Programmierer aus der Hölle am Werk gewesen sein. Wer bitte kommt auf so etwas (im 21. Jhd.)? Und wer bitte geht davon aus, dass Nutzer das durchschauen? Zumal bei allen anderen Nummern (z. B. Matrikelnummer INAIL) eine einzige “0” genügt. Einen Hinweis “Wenn Sie über keine Mehrwertsteuernummer verfügen, geben Sie bitte 11-mal die “0” ein”, sucht man nämlich vergeblich.
    Ich gebe die elf Nullen ein und komme auf die nächste Seite. Dort muss ich die “Erklärungen nach Artt. 45 und 46 des Kodex” (?!?!) machen. In einem Drop-down darf ich auswählen, welche Art von Wirtschaftsteilnehmer ich sei.

    Ich gehe nach dem Ausschlussverfahren vor. Ich bin weder Sozialgenossenschaft noch Konsortium. Also bleiben übrig: (a) Ein Wirtschaftsteilnehmer nach Art. 45 Abs. 2 Buchstabe a) des GVD Nr. 50/2016 oder (b) Ein Wirtschaftsteilnehmer nach Art. 45 Abs. 1 des GVD Nr. 50/2016. Da mir eine neuerliche Supportanfrage peinlich ist, konsultiere ich das Handbuch, denn die “i”-Buttons sind in den meisten Fällen auch nicht wirklich hilfreich oder überhaupt leer.

    Leider ist das Handbuch genauso Schrott. In dem von einem Autor aus der Hölle verfassten Werk steht nämlich einfach nur beschrieben, was ich ohnehin auf dem Bildschirm sehe, aber nicht, was die einzelnen Auswahlmöglichkeiten bedeuten bzw. was sich hinter den kryptischen Bezeichnungen verbirgt. Randbemerkung: Erstaunlicherweise erzeugt die Auswahl des Wirtschaftsteilnehmers ein dynamisches Formular. Es ginge also. Warum allerdings nicht gleich zu Beginn ein solches erzeugt wird, indem ich zwischen “Privatperson”, “Freiberufler” und “Unternehmen” wähle, bleibt i-Fabers Geheimnis.

    Notgedrungen wende ich mich also wieder an den E-Mail-Support:

    wurde heute angerufen und bin mittlerweile doch einen Schritt weiter.

    Können Sie mir sagen, welche Art von Wirtschaftsteilnehmer ich als Privatperson bin? (siehe Screenshots)

    Die mittlerweile ebenfalls etwas genervt klingende Antwort:

    bitte hier nach dem Ausschlussprinzip vorgehen, dh. Sie sind ein „Wirtschaftsteilnehmer nach Art. 45 Abs. 2 Buchstabe a) des GVD Nr. 50/2016“

    Wobei ich ja genau das getan habe:

    Ok. Danke. Die Bezeichnung “Einzelunternehmen einschließlich Handwerksbetriebe, Handelsgesellschaften, Genossenschaften” war für mich ein solches Ausschlusskriterium.

    Ich erkläre also – meiner Meinung nach wiederum falsch -, dass ich ein “Einzelunternehmen einschließlich Handwerksbetriebe, Handelsgesellschaften, Genossenschaften” bin. Danach klicke ich mich noch durch gefühlte tausend Güterkategorien, die völlig random daherkommen und von denen 99 Prozent nicht auf mich zutreffen, und kann die Registrierung abschließen. Man heißt mich willkommen:

    Ganz im Sinne der genderfluidility liest mich das System offenbar als weiblich. Der Name “nicht anwendbar” rührt daher, dass das System gleich zu Beginn nach Namen und Daten der “Bezugsperson” für den Antrag fragt, welche ich ordnungsgemäß ausgefüllt habe. Am Ende des Formulars kommt neuerlich exakt die gleiche Frage nach der “Bezugsperson”, die ich dann mit “nicht anwendbar” beantwortet habe. Die anderen Fauxpas (Datum, das keines ist, Beistrichfehler, Provincia Autonoma di Bolzano …) hat bereits auch Simon vor fünf Jahren bemängelt.

    Somit bin ich beim letzten Schritt angelangt, der Eintragung ins telematische Verzeichnis. Ich fülle den Antrag aus, signiere ihn digital und lade ihn hoch. Und Überraschung:

    Die Signatur wird offenbar nicht erkannt. Ich klicke auf “Details” und es passiert … nichts. Also warum nicht mal ein E-Mail an den Support schreiben? Die vermissen mich dort bestimmt schon.

    Das ist echt wie verhext. Ich bin kurz vor dem Durchdrehen. Ich hab das Dokument jetzt digital signiert (mit ID Austria – einer Signatur im Standard von  Art. 25 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 vom 23. Juli 2014 (siehe Anhang) und bekomme aber die Meldung, dass die Signatur nicht erkannt wurde (siehe Screenshot).

    Auch auf der anderen Seite liegen die Nerven blank:

    das Portal ist keine Zertifizierungsstelle, Sie können das Dokument trotz der Meldung hochladen und versenden. Die Signatur wird von der Vergabestelle außerhalb des Portals mit der entsprechenden Software geprüft.

    Warum kommt dann diese fucking Fehlermeldung? Dann lasst die doch weg, wenn das System die Validität der Signatur eh nicht prüfen kann und der Link zu “Details” tot ist! Soll man das riechen, dass das alles so planmäßig ist? Wie bescheuert (vulgo benutzerfeindlich) kann man sein?

    Das vorliegende Portal ist offenbar das Ergebnis eines millionenschweren Auftrages des Landes an i-Faber, der auch die “zunehmende Anwenderfreundlichkeit” zum Inhalt hat. In einer Presseaussendung aus dem Jahr 2017 heißt es:

    Vergabeagentur: Auftrag für Plattform an i-Faber erneuert

    Maximal 1,37 Millionen Euro wird das Mailänder IT-Unternehmen in den nächsten drei Jahren für Betreibung, Ausbau und Verbesserung der Vergabe-Plattform erhalten

    Die Kontinuität in puncto Plattform der Agentur für die Verfahren (AOV) ist gewahrt. In Gegenwart von Landeshauptmann Arno Kompatscher haben heute (15. Dezember) der Direktor der Landesagentur für öffentliche Aufträge AOV, Thomas Mathà, und der Direktor des Mailänder IT-Unternehmens i-Faber, Luca Bondini, den Vertrag für die Zusammenarbeit in den nächsten drei bis fünf Jahren besiegelt.

    Der Dienstleistungsvertrag umfasst alle Aufgaben, die mit der Führung der Vergabeplattform zusammenhängen, allem voran die Weiterentwicklung der Plattform in Richtung zunehmender Anwenderfreundlichkeit, neue Funktionen, die fortlaufende Weiterbildung der Vergabestellen in den Körperschaften, die Ergänzungen aller Handbücher und Dokumentationen ebenso wie die Wartung in Störungsfällen. “Über eine weiter verbesserte Funktionalität, auch in visueller Hinsicht, soll die Plattform dieses äußerst komplexe System der Ausschreibungen etwas einfacher und nachvollziehbarer machen, ohne dessen Rechtssicherheit zu beeinträchtigen”, sagt Mathà.

    Hervorhebungen von mir

    Zumindest auf der Startseite ist von dieser vertraglich offenbar vereinbarten verbesserten Funktionalität “in visueller Hinsicht” nicht viel zu sehen. Mehr noch – die Seite scheint seit ihrer Liveschaltung 2010 optisch überhaupt nie verändert worden zu sein. Ganze 14 Jahre – eine Ewigkeit in der digitalen Sphäre. Der Dinosaurier verfügt dementsprechend auch nicht über responsive design. Aber wer steigt heutzutage auch schon mit Smartphone ins Internet ein? Ein Screenshot vom 19. März 2016 zeigt die Seite jedenfalls im exakt gleichen Erscheinungsbild wie heute – knapp acht Jahre und einen Millionenauftrag später.

    Screenshot von 2016 (Quelle: Wayback Machine)

    Heutiges Erscheinungsbild

    Wir fassen zusammen: Die Digitalisierung, die das Potential hat, Prozesse zu vereinfachen, zu beschleunigen und weniger personalintensiv zu machen, wurde derart dilettantisch von Programmierern aus der Hölle oder zumindest aus dem vorigen Jahrhundert umgesetzt, dass das Gegenteil der Fall ist. Ich habe was weiß ich wieviel Zeit für eine vermeintlich einfache Anmeldung gebraucht, die ohne Hilfe nicht zu bewältigen ist (Stichwort: 11-mal die “0” eingeben). Ich habe aufgrund der anti-intuitiven Umsetzung unnötig Personalressourcen binden müssen, weil es sechs Mails und ein Telefonat gebraucht hat, um mich durch den Prozess zu führen. Ich wurde zu Falscherklärungen genötigt, weil das digitale Formular keine flexible Handhabung erlaubt. Ich musste mich durch unzählige irrelevante Informationen klicken, weil mein Status (Privatperson, Freiberufler oder Unternehmen) nicht zu Beginn abgefragt und das Formular nicht entsprechend angepasst wurde.

    Fazit: Die Chance, bei Auftragsvergaben eine Entbürokratisierung zu erreichen, wurde grandios vertan und ins Gegenteil verkehrt. Das ist angesichts der bisherigen bürokratischen, repetitiven Zettelflut (inkl. Stempelmarke!) in der Tat eine Leistung.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06



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  • Leiter Reber geht zu FdI auf Distanz.

    Es ist schon interessant: Trotz parteiinterner Querelen scheinen sämtliche Landtagsabgeordneten der SVP zur Koalition mit den Postfaschistinnen zu stehen und diesbezüglich im Gleichschritt zu marschieren, auch und gerade die Arbeitnehmerinnen. Wer jetzt auf Distanz zur Zusammenarbeit mit den Fratelli d’Italia geht, ist ausgerechnet ein Freiheitlicher. Andreas Leiter Reber, neben Ulli Mair zweifellos der gemäßigtere Vertreter der Blauen, ließ im heutigen Morgengespräch von Rai Südtirol mit Aussagen aufhorchen, die man sich vielleicht eher von einigen Volksparteilerinnen erwartet (und erhofft) hatte:

    [Die SVP weiß], dass ich in sachpolitischen Themen durchaus kompromissbereit bin, aber wenn es um bestimmte Wertvorstellungen geht, da habe ich einfach meine Grenzen. Denn ich glaube, der Pragmatismus der Volkspartei — letzthin hat ja Karl Zeller [SVP] gesagt, ‘wir würden auch einen Pakt mit dem Teufel eingehen’, sowas finde ich zum Beispiel etwas gefährlich. Mir ist das zu viel, weil wir sollten als Politiker durchaus auch Werte vertreten, weshalb ich ja auch eher Probleme mit Fratelli d’Italia habe im Gegensatz zu anderen.

    Auch im Gegensatz zu Ihrer Parteikollegin Ulli Mair?

    Ja, im Gegensatz zur ganzen Partei, glaube ich, weil ich war der einzige, sagen wir — das ist ja auch kein Geheimnis —, der hier schon auch bei diesen Abstimmungen, ob wir in diese Richtung gehen, klar diese Bedenken geäußert hat, weil ich glaube, dass es hier einfach Gründe gibt, als Südtiroler, die nicht unbedingt dafür sprechen.

    – Andreas Leiter Reber (F)

    Aber ich habe mich [bei den Koalitionsverhandlungen] auch bewusst zurückgenommen, denn ich wäre eindeutig der Falsche, um auch mit Fratelli d’Italia, wenn man hier jetzt keine besondere Affinität hat, unbedingt mehr zu verhandeln. Ich habe mich [um] die sachpolitischen Themen an den Arbeitstischen gekümmert, Wohnen, Energie, also jene Bereiche, wo ich auch [in Vergangenheit] ziemlich thematisch drinnen war.

    – Andreas Leiter Reber (F)

    Auszüge, Transkription von mir

    Nicht anders als in der vergangenen Legislaturperiode will er von Mal zu Mal pragmatisch entscheiden, ob er bei sachpolitischen Themen dafür oder dagegen stimmt. Um sich möglichst viel Bewegungsfreiheit zu erhalten, will er auch keinen Ausschussvorsitz im Landtag übernehmen. Wie jemand, der sich als organischer Bestandteil dieser Mehrheit betrachtet, klingt das nicht. Man darf also gespannt sein.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 || 01 02



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