Ich komme hiermit auf das vom Soziologen Michael Billig eingeführte Konzept des banalen Nationalismus zurück, das ich schon hier erstmals thematisiert hatte. Diesmal will ich auf einen wichtigen Teilaspekt eingehen: den Sport. Es muss einleitend daran erinnert werden, dass sich die »Banalität« auf die Beiläufigkeit bezieht, mit der dieser staatstragende Nationalismus im Alltag — bewusst oder unbewusst — platziert und reproduziert wird, ebenso wie er meist nur unbewusst wahrgenommen wird. Diese Beiläufigkeit macht ihn aber nicht ungefährlicher als den »heißen« Nationalismus der »aktiv geschwenkten Flaggen« — im Gegenteil.
Nicht nur Flaggen und ähnlich geartete, sichtbare Symbole machen den banalen Nationalismus aus, sondern zum Beispiel auch die Berichterstattung in den Medien. Allein die Tatsache, dass Nachrichten nach In- und Ausland getrennt werden — und dass in der Regel jene aus dem Inland überwiegen — schafft laut Billig einen unbewussten, aber sehr wirkmächtigen Denkrahmen. In Zeitungen sind dem In- und Ausland oft sogar gesonderte Bereiche gewidmet. Auch Begriffe wie »unser Land« oder »die Regierung« geben vor und setzen voraus, dass es sich nur um ein (das »eigene«) Land und nur um dessen Regierung handeln kann. Noch stärker sei dieses »wir« und »sie« in den Wetterberichten zu beobachten, wo oft kommentarlos nur das »eigene« Land abgebildet sei und sich Begriffe wie »im Norden«, »in den Städten«, »auf den Bergen«, aber auch »das Wetter« nur auf das Inland beziehen. Andere Länder, einschließlich des Wetters in diesen Ländern, werden hingegen ausdrücklich als ausländisch (bzw. einem bestimmten »anderen« Land zugehörig) benannt.
Sport…
Doch während sich dies im allgemeinen noch einigermaßen in Grenzen halte, seien es die männerdominierten und auch hauptsächlich von Männern konsumierten Sportnachrichten, die den banalen Nationalismus und (zweifelhafte) Werte wie Maskulinität, am ungeniertesten und wirkmächtigsten transportierten. Da sei zum Beispiel von universellen »Hoffnungen« die Rede, die sich jedoch meist nur auf die »eigenen« Sportlerinnen bezögen, und da werde klar eine Perspektive eingenommen und Stellung bezogen für nur eine Seite. Oft würden die Leistungen von Sportlerinnen anderer Herkunft gar nicht oder nur nebenbei erwähnt, als wäre ein zweiter Platz der eigenen viel mehr wert als der Sieg der anderen.
Auch Südtiroler Medien, einschließlich der öffentlich-rechtlichen, erfüllen ihre Aufgabe im Dienste der Nation — gewollt oder ungewollt — meist vorbildlich, wenn sie sich etwa in ihrer Berichterstattung vor allem auf die sogenannten Azzurri konzentrieren (vgl. 01
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). Medien, die z.B. Südtiroler Sportlerinnen gesondert anführen, tragen dann immerhin ein klein wenig zur Dekonstruktion der Nation bei, indem sie einen anderen Denkrahmen aufzeigen.
…und Krieg
Internationale Veranstaltungen fänden jederzeit statt — so Billig — und wenn nicht, stünden sie kurz bevor oder lägen kurze Zeit zurück. Sportberichterstattung im nationalen Sinne sei also jederzeit möglich, die entsprechenden Zeitungsseiten müssten niemals leer bleiben.
Auch Südtiroler Medien zeichnen sich durch nationalistische Sportberichterstattung aus und geben so vor, mit wem man sich identifizieren soll: Aktuelles Beispiel von Stol.
Sportberichterstattung bediene sich häufig einer Kriegsmetaphorik (schießen, attackieren, siegen etc.), weshalb es laut Billig einfach und naheliegend sei, den Sport als gutartigen Kriegsersatz (oder als gutartigen Ersatzkrieg) einzuordnen. Vieles spreche dafür. Dann könnte man immerhin behaupten, dass der Kampf im Namen der Nation aggressive Energie kanalisiere und als eine Art Sicherheitsventil für mehr Frieden in der Welt sorge.
Doch der Sport bleibe leider keineswegs auf das Spielfeld begrenzt, sondern überlagere den politischen Diskurs. Nicht von ungefähr habe Silvio Berlusconi, dem damals auch ein erfolgreicher Fußballclub gehörte, seine Partei nach einem sportlichen Anfeuerungsruf benannt (und seinen Einstieg in die Politik als Betreten des Spielfelds bezeichnet), bevor er nach dem Wahlsieg Faschisten in die Regierung geholt habe.
Sport empfinde den Krieg nicht nur nach, sondern liefere symbolische Modelle, um den Krieg zu verstehen und uns mit ihm vertraut zu machen. Aufopferungswille, Verletzungen, Heldentum, Unterordnung, Kampf gegen Ausländer zu Ehren der Nation, für all das böten internationale Sportwettkämpfe und die Sportberichterstattung Tag für Tag eine bejahende, banale Form der Vorbereitung. Politische Krisen, die zu einem Krieg führen, könnten schließlich schnell entstehen, doch es brauche eine lange Vorbereitung, damit Männer und Frauen wüssten, was im Ernstfall von ihnen erwartet wird.
Vor allem Männer müssten dann dem ultimativen Ruf zu den Waffen folgen. Doch während sie dazu angespornt werden, die (sportlichen) Nationalhelden nachzuahmen, würden Frauen vor allem dazu erzogen, sie zu lieben, wozu — insbesondere männliche — Sportidole in den Medien häufig auch in sportferner Pose dar- und vorgestellt würden. Denn sobald Männer dazu aufgerufen sind, ihren Körper zu opfern, müssten Frauen darauf vorbereitet sein, ihre Söhne und Männer zu opfern. Ohne die Rolle der Frauen als patriotische Mütter und Pflegerinnen könne ein Krieg nicht geführt werden.
Somit wird auch verständlich, warum es so unglaublich wichtig ist, dass etwa Südtiroler Spitzensportler auf ihre Treue zur Nation getestet und als vollwertige Mitglieder der nationalen Gemeinschaft dargestellt werden können. Gleichzeitig ist es unerträglich, wenn sie die Sprache des Feindes sprechen (01
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) oder gar den Eindruck erwecken, mehr an sich selbst als an die Nation zu denken und zu glauben. Umso mehr wird ihre Rückkehr zur (nationalen) Vernunft gefeiert und geehrt (01
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). Eine Dekonstruktion der Nation durch echte Zugeständnisse wäre da nur im Weg, vielmehr soll auch die Sportautonomie nur die nationale Einordnung so reibungslos wie möglich gestalten. Und natürlich »muss« ebenso beanstandet werden, wenn politische Entscheidungsträgerinnen dem Ruf der Nation nicht folgen wollen oder wenn jemand gar das nationale Interesse unterminiert. Dass all dies in Italien — wo es nicht zufällig gleich mehrere erfolgreiche Sporttageszeitungen gibt — noch weit ausgeprägter ist als in vielen anderen europäischen Staaten, ist bekannt (01
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).
Was immer auch in einer mit Information überfrachteten Welt vergessen wird, es werde ununterbrochen dafür gesorgt, so Billig, dass wir »unsere« Nationen nicht vergessen. Wir würden ständig dazu eingeladen, uns zuhause, in den Grenzen des Mutterlandes, zu entspannen. Diese Lebensform sei die nationale Identität, die fortwährend erneuert werde, während ihr gefährliches Potential so harmlos und heimelig wirke.
Interessant ist, dass sich Michael Billig als Ziel dieser Mechanismen mit einschließt und zugibt, dass sie auch bei ihm ihre beiläufige Wirkung nicht verfehlen. Im Gegenteil wirft er anderen Analystinnen vor, für ihren eigenen Nationalismus oft blind zu sein und deshalb vorwiegend den »heißen« Nationalismus der anderen, aber niemals den »banalen« eigenen (vgl. 01
) zu sehen — ja, ihn sogar bereitwillig selbst zu reproduzieren und zu relativieren.
Cëla enghe: 01
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