Mit Beschlussantrag Nr. 61/24 hatte die Süd-Tiroler Freiheit (STF) gefordert, der Südtiroler Landtag möge sich für die Gründung einer Landespolizei aussprechen. Die Landesregierung solle eine detaillierte Studie in Auftrag geben und anhand eines einschlägigen Konzepts einen Gesetzentwurf über die Gründung der Landespolizei vorlegen. Nun bin ich zwar darüber entsetzt, dass die inzwischen immer extremistischer auftretende STF ihren Vorschlag mit einem AfD-Landtagsabgeordneten aus Bayern vorgestellt hat. Doch an sich ist die Forderung weder neu noch subversiv — ganz im Gegenteil. Es handelt sich um eine normale Zuständigkeit, die andere Regionen und Autonomien weltweit längst haben. Um nur ein paar Beispiele zu nennen:
- Euskadi mit der Ertzaintza (seit 1982), Katalonien mit den Mossos d’Esquadra (seit 1984), Nafarroa mit der Foruzaingoa (seit 1982) und die Kanaren mit der Policía Canaria (seit 2010).
- Québec mit der Sûreté du Québec.
- Alle 16 deutschen Bundesländer, einschließlich Bremen mit 685.000 und das Saarland mit knapp 1 Million Einwohnerinnen.
- Alle 26 Schweizer Kantone, einschließlich Appenzell Innerrhoden mit weniger als 20.000 Einwohnerinnen — oder unser Nachbar Graubünden mit rund 200.000 Einwohnerinnen, wo die Polizei ganz besonders auf die Mehrsprachigkeit achtet.
- Sämtliche 50 Staaten der USA, einschließlich Wyoming mit rund 575.000 und Vermont mit rund 650.000 Einwohnerinnen. (Die Staaten verfügen übrigens mit der Nationalgarde sogar über Militäreinheiten, die i. d. R. den Gouverneurinnen unterstehen.)
- Schottland mit Poileas Alba / Scottish Police, die vom schottischen Parlament 2013 aus der Zusammenlegung von acht Regionalpolizeien geschaffen wurde.
- Nordirland mit Seirbhís Póilíneachta / Police of Northern Ireland, die seit 2002 ein solides Kooperations- und Beamtenaustauschprogramm mit der irischen Polizei (Garda Síochána) hat.
- Åland mit rund 30.000 Einwohnerinnen (zuständig seit 1991).
In Spanien verfügen zudem Andalusien, Aragonien, Balearen, Galicien, Kastilien-León und País Valencià über die Zuständigkeit, eine eigene autonome Polizei zu gründen, ohne diese Möglichkeit bislang (vollständig) wahrgenommen zu haben. Andalusien, Aragonien und Galicien üben ihre Zuständigkeit aus, indem sie Einheiten der Staatspolizei den Regionalregierungen haben unterstellen lassen.
In Südtirol lautet eines der Totschlagargumente gegen eine Landespolizei häufig, dass es mit Staatspolizei, Carabinieri, Finanzwache und Ortspolizei schon zu viele unterschiedliche Korps gebe. Doch auch in Spanien existieren mit Nationalpolizei, Guardia Civíl und Polícia Local bzw. Guàrdia Urbana eine große Vielfalt an Organisationen, was die Schaffung von Ertzaintza, Mossos d’Esquadra und Foruzaingoa nicht verhindert hat. Dabei sind etwa die Zuständigkeiten der staatlichen Polizeien in Katalonien auf wenige Bereiche (wie Gerichtspolizei und Terrorismusbekämpfung) beschränkt, die sie sich mit den Mossos teilen, während letztere alle weiteren Aufgaben alleine wahrnehmen. In Québec ist die föderale kanadische Polizei fast ausschließlich für den Schutz von Gebäuden zuständig, die dem Bund gehören, in anderen Autonomien üben die Landespolizeien alle Zuständigkeiten uneingeschränkt selbst aus.
Cymru (Wales) ist nicht selbst für die Polizei zuständig. Wie ich jedoch bereits aufgezeigt hatte, gehen dort die Ordnungskräfte etwa aus sprachlicher Sicht äußerst respektvoll mit den Eigenheiten des Landes um. Ähnliches kann man in Südtirol, wo die Polizeien seit Jahrzehnten verpflichtet wären, einen vollständig zweisprachigen Dienst anzubieten, leider ganz und gar nicht behaupten (vgl. 01
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). Dennoch fordert Cymru (und nicht Südtirol) nun die Übernahme dieser zusätzlichen Kompetenz vom Zentralstaat, ohne dass dies übrigens einen Skandal darstellen würde.
Andere Autonomien werden ausgebaut. Ich kann mich sogar noch an Zeiten erinnern, als das auch in Südtirol noch der Fall war. Doch hierzulande — wo der Vorschlag der STF natürlich niedergestimmt wurde — treten wir nunmehr seit zwei bis drei Jahrzehnten nahezu auf der Stelle. Es sagt doch einiges über den Zustand unserer einst dynamischen, nunmehr erstarrten Autonomie aus, dass aktuell die Rückkehr in die Vergangenheit, also die Wiederherstellung der autonomen Befugnisse, die wir 1992 schon hatten, das höchste aller Gefühle zu sein scheint.
Es ist inzwischen auch gar nicht nötig, dass Rom weitere Zuständigkeiten ablehnt, da die angeblich autonomistischen Kräfte in Südtirol davor zurückschrecken, überhaupt Forderungen zu artikulieren. Die Katalaninnen würden sowas »autonomia de firetes« nennen. Spielzeugautonomie. — Habt ihr mal schön Spaß damit, während richtige Politik woanders gemacht wird.
Ich hätte übrigens vollstes Verständnis, wenn die Ablehnung des STF-Vorschlags damit begründet würde, dass man sich nicht mit einer Partei gemein machen will, die inzwischen dem Rechtsextremismus zugewandt ist (vgl.). Doch leider war das nicht der Grund, warum der Beschlussantrag gescheitert ist — wie auch, wenn die Rechtsextremen hierzulande sogar in der Regierungsmehrheit sitzen?
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