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  • Bozner Zweisprachigkeit.
    Schreibe, Tinte, Tintefasse

    Gestern wurde auch in Südtirol der Internationale Museumstag begangen. Aus diesem Anlass gab es in zahlreichen Museen spezielle Angebote bei freiem Eintritt. Insgesamt eine schöne Initiative. Ich bin daher mit meiner Familie nach Bozen gefahren, um unter anderem das Schulmuseum der Abteilung Kultur der Stadt Bozen zu besichtigen. Zunächst ging es mit der 9-jährigen Tochter zum Kalligraphieren. Obwohl wir uns als deutschsprachig outeten, indem wir “Guten Morgen” sagten, erfolgte die Kommunikation von Seiten der Museumsbediensteten ganz selbstverständlich ausschließlich auf Italienisch. Begrüßung, Erklärungen, Auskünfte usw. Nach den Übungen mit Tinte und Feder wollten wir noch an einer Führung durch das Museum teilnehmen, die – laut einem der Bediensteten – “anche in tedesco” angeboten wird. Der Andrang war überschaubar. Mit uns war eine Handvoll italienisch- bzw. gemischtsprachige Familien in den Räumlichkeiten. Dazu fünf bis sechs Leute mit Mitarbeiterausweisen um den Hals. Unsere Führerin meinte – auf Italienisch – dass sie den Rundgang auf Italienisch und ein bisschen auf Deutsch machen würde. Die anderen Mitarbeiter/-innen standen einfach herum. Nach 10 Minuten Führung war noch kein einziges deutsches Wort gefallen. Dann – wie aus dem Nichts – “Schreibe” (gemeint war Feder), “Tinte”, “Tintefasse” mit einem Fingerzeig auf die entsprechenden Gegenstände in einer Vitrine. Danach ging es auf Italienisch weiter. Obwohl meine Tochter für ihr Alter sehr gut Italienisch versteht, waren ihr die Ausführungen dann doch zu schnell gesprochen und zu kompliziert. Also verließen wir die Führung und erkundeten die Exponate auf eigene Faust. Jene Frau, die offenbar für die deutschsprachigen Führungen zuständig war, konnte ein paar Fragen, die wir dann doch noch hatten, mangels Vokabular auch nicht wirklich beantworten. Das ach so mehrsprachige und keinesfalls provinzielle Bozen ist also in einer öffentlichen Einrichtung mit deutschsprachigen Erklärungen für eine 9-Jährige überfordert. Ziemlich ernüchternder Befund.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07



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  • Fiat muss umbenannt werden!

    Der italienische Nationalismus und der italienische Protektionismus sind gleichermaßen an Lächerlichkeit kaum noch zu überbieten. Das geht einerseits so weit, dass der internationale Automobilkonzern Stellantis der Meinung ist, seine Fahrzeuge mit kleinen Trikolore-Aufklebern aufpeppen zu müssen, um ihren Absatz zu fördern. Andererseits haben die italienischen Behörden Fiat Topolinos beschlagnahmt, die in Marokko zusammengebaut wurden, weil dumme nationalistische Käuferinnen aufgrund der aufgeklebten Flaggen glauben könnten, die Fahrzeuge seien aus 100% italienischen Rohstoffen von reinrassigen italienischen Fachkräften in Italien hergestellt worden. Erst kürzlich sah sich Stellantis wegen eines ähnlichen Verdachts dazu veranlasst, einen neuen Alfa Romeo von Milano in Junior umzubenennen. Doch schwer irreführend bleiben weiterhin die Marke Alfa (für Anonima Lombarda Fabbrica Automobili) und das Mailänder Wappen im Logo, weshalb Beschlagnahmungen noch immer nicht ausgeschlossen werden sollten. Genauso wie übrigens beim marokkanischen Elektrofahrzeug auch ohne Trikolore — die ja ohnehin auch ungarisch (und somit fast genauso irreführend) sein könnte — der Name Fiat (Fabbrica Italiana Automobili Torino) auf die Herstellung in einer italienischen Fabrik in Turin schließen lassen könnte. Auch den Namen Topolino werden die stets wachsamen Behörden aber hoffentlich als Betrugsversuch enttarnen, da es sich dabei nicht nur um ein 100% italienisches Wort (wie »Mafia«) handelt, sondern gleichzeitig auch eindeutig um die Anspielung auf ein glorreiches italienisches Fahrzeug, das ab dem Jahr XIV der Era Fascista hergestellt wurde.

    Cëla enghe: 01 02



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  • Ladinische Flagge anerkannt.

    Es hat Jahrzehnte gedauert, bis auf Regionsebene ein einfacher und selbstverständlicher Akt wie die Anerkennung und Genehmigung der ladinischen Flagge gesetzt werden konnte, sodass sie fortan etwa offiziell an öffentlichen Gebäuden gehisst werden darf. Nicht die SVP, die sich als historische Autonomiepartei auch für die Belange der ladinischen Minderheit zuständig fühlt, ist der nunmehrige Erfolg zu verdanken, denn die Initiative kam diesmal vom Team K. Dessen Antrag nahm der Regionalrat von Südtirol und Trentino kürzlich ohne Gegenstimme, aber mit sechs Enthaltungen an, nachdem in der vergangenen Legislatur schon Massimo Bessone von der Lega vergeblich einen ähnlichen Vorstoß gewagt hatte. Medienberichten zufolge behauptet er jetzt sogar, von der Volkspartei dazu genötigt worden zu sein, seinen Vorschlag wieder zurückzuziehen.

    Nachdem es nun endlich mit der Genehmigung des Antrags geklappt hat, ist die Regionalregierung jedenfalls aufgefordert, ihn schnellstmöglich umzusetzen. Glanzleistungen sehen definitiv anders aus, doch dem Team K gebührt natürlich trotzdem Anerkennung, dieses beschämende Versäumnis endlich behoben zu haben.

    Cëla enghe: 01



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  • Homophobes Italien.

    Während Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) gegen seine rechtsextremen Regierungspartner gerade noch die symbolische Unterstützung für die LGBTQIA-Gemeinschaft durch Aushängen der Regenbogenflagge aufrecht erhalten konnte, sieht es beim Handfesten desolat aus. Auf Platz 35 von 49 liegt Italien im gerade veröffentlichten Rainbow-Europe-Ranking der ILGA und verschlechtert sich somit im Vergleich zu 2023 sogar noch um einen Rang. Mit einem Score von 25,41% liegen sowohl der EU-Durchschnitt von 50,60% als auch der gesamteuropäische Durchschnitt von 42,06% in weiter Ferne. Unter den westeuropäischen EU-Mitgliedsstaaten liegt Italien weit abgeschlagen an letzter Stelle, in der Gesamtwertung sogar hinter Ungarn.

    An der Spitze befinden sich mit Malta (87,83%) und Island (83,01%) gleich zwei Staaten mit weniger Einwohnerinnen als Südtirol, Luxemburg (70,03%) folgt bereits an achter Stelle. Unter den großen Ländern schneidet Spanien (76,40%) auf dem vierten Platz am besten ab, gefolgt von Deutschland (66,12%) auf dem elften. Die Schweiz (50,35%) und Österreich (49,63%) liegen auf den Rängen 17 und 20.

    Seit dem Amtsantritt von Giorgia Meloni (FdI) hat Italien jedes Jahr einen Platz verloren. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Italiens Score 2023 gleich hoch wie 2022 (24,76%) geblieben und dieses Jahr sogar um einige Zerquetschte (auf 25,41%) gestiegen ist. Die Lage in diesem Staat ist für LGBTQIA-Menschen eben so katastrophal, dass selbst eine offen homophobe Regierung nicht auf Anhieb eine drastische Verschlechterung hinbekommt. Seinen besten Wert (27,40%) hatte Italien übrigens im Jahr 2014 zu verzeichnen, den schlechtesten (19,43%) im Jahr 2019.

    Zur besseren Veranschaulichung der Situation sei gesagt, dass der Staat im Bereich »Gleichstellung und Nichtdiskriminierung« nur zwei von 25 Kriterien erfüllt, im Bereich »Familie« zwei von elf, im Bereich »Hasskriminalität und Hassrede« null von acht und im Bereich »körperliche Unversehrtheit von Intersexuellen« null von vier.

    Aufgrund seiner mikrigen Autonomie ist auch Südtirol (im Gegensatz etwa zu Schottland) nicht in der Lage, die Situation hierzulande wesentlich zu verbessern, wiewohl hier — etwa mit der Schaffung einer Antidiskriminierungsstelle — wenigstens einige positive Akzente gesetzt wurden.

    Im Rahmen seiner turnusmäßigen Ratspräsidentschaft hat nun Belgien, das im ILGA-Ranking den dritten Platz belegt, eine Erklärung über die Achtung, Umsetzung und Wahrung der Menschenrechte von LGBTQI+-Personen vorgelegt, mit deren Unterzeichnung sich die Staaten zu klaren Zielen bekennen sollen. Italien wird die Vorlage jedoch nicht unterzeichnen — als einziges westeuropäisches mit acht osteuropäischen Mitgliedsländern. Die Familien-, Geburten- und Gleichstellungsministerin Eugenia Roccella (FdI) ließ wissen, dass man nichts unterzeichnen werde, was — Obacht! — die Identität von Männern und Frauen gefährde.

    Der Landeshauptmann wird indes zwar weiterhin Flagge zeigen, aber gleichzeitig mit der Partei von Meloni und Roccella (vgl.) regieren. Rote Linien zieht die SVP nach Gutdünken — die Warnungen von Andreas Unterkircher hat sie ja in den Wind geschlagen.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07 08 09 || 01 02 03



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  • Keine sezessionistische Mehrheit in Katalonien.
    Parlamentswahl 12M

    Am vergangenen Sonntag (12. Mai) wurde in Katalonien ein neues Parlament gewählt. Während Euskadi kurz zuvor am 21. April separatistischen Kräften eine große Mehrheit von 72% der Sitze verschafft hatte, war in Katalonien das Gegenteil der Fall: Erstmals seit 2010 — aber nicht seit 1980 — erreichten die Parteien, die sich für eine Loslösung von Spanien einsetzen, keine Sitzmehrheit.

    • Zum ersten Mal wurde unter Spitzenkandidat Salvador Illa die traditionell starke PSC, der katalanische Ableger der PSOE von Pedro Sánchez, erste Partei nach Stimmen (27,94%) und nach Sitzen (42 von 135; +9 im Vergleich zu 2021).
    • Eine beeindruckende Aufholjagd legte während der letzten Wahlkampfwochen Umfragen zufolge Junts unter Spitzenkandidat Carles Puigdemont hin, der seinen Wahlkampf wegen der fortgesetzten juristischen Verfolgung und der noch ausbleibenden Amnestie von dem zu Frankreich gehörenden Nordkatalonien aus führen musste. Seine Partei erreichte 21,64% der Stimmen und 35 Sitze (+3).
    • Die linke ERC unter dem scheidenden, ziemlich farblosen Präsidenten Pere Aragonès als Spitzenkandidat erlebte ein wahres Debakel. Sie sackte auf 13,68% ab und fiel auch nach Sitzen deutlich hinter Junts zurück (20; -13).
    • Zu den absoluten Wahlgewinnern gehört die rechte PP, die ihre Sitze mit einem Stimmenanteil von 10,97% von 3 auf 15 (+12) glatt verfünffachen konnte.
    • Gleichzeitig hielt die neofranquistische Vox mit 7,69% ihre beim letzten Mal errungenen 11 Sitze.
    • Comuns Sumar, Nachfolgebündnis von En Comú Podem, kam auf 5,81% und 6 Sitze (-2), die linksradikale CUP auf 4,09% und 4 Abgeordnete (-5) und die rechtsradikale Aliança Catalana (AC) schaffte mit 3,79% und 2 Mandaten zum ersten Mal den Einzug ins Parlament.
    • Die antiseparatistischen Ciutadans verschwinden gänzlich aus dem Parlament (-6 Sitze), nachdem sie 2017 mit 36 Sitzen noch stärkste Kraft geworden waren.

    Die Wahlbeteiligung ist im Vergleich zu 2021, als die Corona-Pandemie akut war, nur um 6,68 Punkte auf 57,97% gestiegen und bleibt somit unterdurchschnittlich.

    Die unionistischen Kräfte PSC, PP und Vox kommen gemeinsam auf 68 Abgeordnete, das sind genau so viele wie zur absoluten Mehrheit nötig sind. Alle separatistischen Parteien (Junts, ERC, CUP und AC) zusammen kommen dagegen nur noch auf 61 Mandate. Zieht man vom ersten Lager Vox (11 Sitze) und vom zweiten Lager AC (2 Sitze) ab, die von einem Cordon sanitaire bzw. einer Brandmauer betroffen sind, bleiben den Unionistinnen jedoch noch 57 und den Separatistinnen 59 Abgeordnete. Beide Seiten kommen auch dann nicht auf eine absolute Mehrheit, wenn sie die Unterstützung von Comuns Sumar erhalten.

    Wer von diesem Parlament letztendlich zum Präsidenten gewählt wird oder ob es gar zu einer Wahlwiederholung kommen wird, ist im Moment noch völlig offen. Sowohl Salvador Illa (PSC) als auch Carles Puigdemont (Junts) haben jedenfalls angekündigt, an einer Mehrheit zu arbeiten. Denkbar wäre auch ein Minderheitskabinett.

    Ideologisch ist das unionistische Lager (PSC und PP) noch heterogener als das separatistische (Junts, ERC und CUP). Wiewohl sie im Moment noch nicht sehr konkret ist, wäre durchaus eine Zusammenarbeit von PSC, ERC und Comuns Sumar vorstellbar — doch dies ist vor allem vom Ausgang der Grabenkämpfe abhängig, die bei ERC nach der Niederlage ausgebrochen sind. Und natürlich spielt eine Rolle, dass die Regierung von Pedro Sánchez in Madrid von der Unterstützung separatistischer Kräfte abhängig ist und somit nicht völlig frei agieren kann.

    Cëla enghe: 01



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  • Fünfundneunzig Prozent.
    Totalversagen bei der Integration

    Es ist eine Nachricht die, sofern sie stimmt, in einem Minderheitengebiet alle Alarmglocken bis zum Zerbersten schrillen lassen müsste: Um in den Genuss zusätzlicher Sozialleistungen zu kommen, müssen Zuwandernde aus Nicht-EU-Staaten gemäß Landesgesetz einen Kurs über Südtirol besuchen und eine einfache Sprachprüfung (entweder Deutsch oder Italienisch) bestehen. Laut einem Bericht des A. Adige haben dies im vergangenen Jahr (2023) 655 Personen geschafft, doch sage und schreibe 95 Prozent — salopp gesagt: praktisch alle — haben die Sprachprüfung in Italienisch abgelegt. Das übertrifft wohl jede noch so pessimistische Befürchtung um Längen.

    Die angeblich in Südtirol so dominante deutsche Sprache ist in der Integration und Inklusion de facto inexistent.

    Zum Vergleich:

    • In der mehrheitlich frankophonen Provinz Québec in Kanada dürfen Zuwandernde ihre Kinder nur in französischsprachige Schulen einschreiben. Das gilt sogar für Menschen, die aus dem restlichen Bundesgebiet einwandern. Wer seit über einem halben Jahr in Québec ansässig ist, hat bei Behörden kein Recht auf Gebrauch der englischen Sprache mehr.
    • Im restlichen Kanada wird immer mehr darauf geachtet, dass unter Zuwandernden ein angemessener Anteil an Frankophonen ist, um die französischen Minderheiten in den mehrheitlich anglophonen Provinzen und Territorien zu fördern und zu unterstützen.
    • Auch in Ostbelgien wird die Integration in der regionalen Mehrheitssprache Deutsch gefördert.

    In Südtirol herrscht offenbar die Auffassung vor, dass wir das alles nicht nötig haben und auch ohne unser Zutun schon irgendwie alles gut gehen wird — was sich als enormer Trugschluss erweisen könnte, wie diese Zahlen auf beeindruckende Weise nahelegen.

    Durch die freie Sprachwahl bei den im Landesintegrationsgesetz vorgesehenen Maßnahmen werden die minorisierten Sprachen Deutsch und Ladinisch schwer benachteiligt. Im Grunde fördert das Land so paradoxerweise nur noch zusätzlich aktiv und einseitig die Abhaltung von Italienischkursen und die Integration der Zuwandernden in die staatliche Mehrheitsgesellschaft: eine neue Form der Majorisierung und Assimilierung.

    Während der Staat zur Erlangung der Staatsbürgerschaft oder gar einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung auch in Südtirol ausschließlich die Staatssprache bevorzugt — deren Kenntnis eine zwingende Voraussetzung ist — hat Südtirol keine rechtliche Möglichkeit, gegenzusteuern und asymmetrisch die Kenntnis der Minderheitensprachen einzufordern.

    Ganz offensichtlich werden jedoch auch zu wenig Anreize und aktive Angebote gesetzt oder sie werden schlicht und ergreifend nicht wahrgenommen.

    Zu den Komplizinnen dieser desaströsen Fehlentwicklung können wir aber auch jene deutschsprachigen Südtirolerinnen zählen, die glauben, der Ausschluss von Kindern anderer Muttersprache aus den deutschen und ihre Abschiebung in die italienischen Schulen (vgl. 01) könnte den Minderheitensprachen einen Dienst erweisen. Genau das Gegenteil ist der Fall.

    Cëla enghe: 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 || 01 02



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  • Nationalstaatliche EU-Wahlprogramme.
    Grüne + Team K

    Als ich gestern auf eine Liste mit italienischen Parteien gestoßen war, die im EU-Wahlkampf gegen die militärische Unterstützung der Ukraine plädieren, wollte ich die Behauptung in Bezug auf Grüne und Linke selbst überprüfen. In einer deutschsprachigen Fassung konnte ich das Wahlprogramm jedoch — wie bereits erwähnt — nicht finden, genausowenig in irgendeiner anderen anerkannten Minderheitensprache.1Übrigens auch nicht auf Englisch, obwohl gerade bei EU-Wahlen auch Ausländerinnen wählen dürfen. Das ist auch deshalb interessant, weil im Programm selbst bereits im ersten Kapitel, das dem Frieden gewidmet ist, die Abkehr von »jeglichem postkolonialen Ansatz«2»ogni approccio di derivazione post-coloniale« gefordert wird. Das gilt offenbar nicht für binnenkolonialistische Ansätze.

    Eine kurze Überprüfung hat ergeben, dass das Bündnis um Azione von Carlo Calenda, auf dessen Liste Paul Köllensperger (TK) den Einzug ins Europaparlament schaffen möchte, ebenfalls kein Programm auf Deutsch oder in einer anderen Minderheitensprache vorgelegt hat. Das erstaunt schon etwas weniger, wenn man weiß, was Calenda von Minderheitensprachen hält.

    Und dennoch: Wenn Grüne und Team K eigenständig — also nicht auf irgendeiner staatsweiten Liste — kandidieren würden, fiele ihnen wohl nicht im Traum ein, ein einsprachiges Programm vorzulegen. Warum also halten sie es nicht für nötig, das Wahlprogramm der Bündnisse, für die sie jetzt antreten, übersetzen zu lassen?

    Offenbar greift allein aufgrund des Zuschnitts des Wahlkreises auch bei diesen Südtiroler Parteien (die sich doch programmatisch vehement für die Mehrsprachigkeit einsetzen!) die nationalstaatliche Logik, wonach Minderheitensprachen entbehrlich sind. Da wird die »in Vielfalt geeinte« EU — von regionalen Südtiroler Parteien, die zu einem erheblichen Teil auf deutsch- und auch ladinischsprachige Wählerinnen hoffen — gleich nur noch mononational und einsprachig dekliniert.

    Ein gutes Beispiel für Minorisierung und Marginalisierung: Wenn Grüne und Team K nicht nachbessern, wird auf einem Wahlzettel mit zwölf Symbolen am 8. und 9. Juni voraussichtlich nur ein einziges einer Partei entsprechen, die es für angemessen gehalten hat, ihr Programm auch auf Deutsch vorzulegen. Diese Partei wird die SVP sein — die jedoch nach meinem Dafürhalten gerade auch für die deutsch- und ladinischsprachigen Minderheiten schon deshalb unwählbar ist, weil sie ein Bündnis mit FI eingegangen ist.

    All das ist ein Grund mehr für einen eigenen Südtiroler EU-Wahlkreis nach ostbelgischem Vorbild: Offenbar ist ein vom Nationalstaat losgelöster Denkrahmen sogar dafür nötig, dass »mehrsprachige« Südtiroler Parteien ihren potenziellen Wählerinnen ein vollständiges mehrsprachiges Angebot unterbreiten.

    Doch auch inhaltlich wäre ein eigener Wahlkreis wichtig: Wenn sie nicht zu staatsweiten Bündnissen gezwungen wären, glaube ich kaum, dass

    unterstützen würden. So aber müssen sich die Südtirolerinnen mit all dem gemein machen, wenn sie die Genannten wählen wollen.

    Cëla enghe: 01

    • 1
      Übrigens auch nicht auf Englisch, obwohl gerade bei EU-Wahlen auch Ausländerinnen wählen dürfen.
    • 2
      »ogni approccio di derivazione post-coloniale«


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  • EU-Wahl: Grüne für… Frieden.

    Für die Südtiroler Grünen kandidiert Brigitte Foppa bei der anstehenden Europawahl auf der gemeinsamen Liste von italienischen Grünen und Linken. Deren rund 40 Seiten umfassendes Wahlprogramm, das ich nicht in einer deutschsprachigen Version gefunden habe, beginnt mit einem Kapitel, das dem »Europa des Friedens« gewidmet ist — beziehungsweise dem, was das Bündnis für Frieden hält.

    Zwar wird die russische Invasion der Ukraine als »kriminell« bezeichnet und der Terroranschlag der Hamas als Ursache des laufenden Gazakriegs erwähnt, doch die geforderten Maßnahmen sind einseitig.

    So sollen den Vorstellungen von Grünen und Linken zufolge nicht nur europäische Militärausgaben rationalisiert und gesenkt, sondern auch die Waffenlieferungen an die Ukraine, die sich gegen den russischen Aggressor verteidigt, eingestellt werden. Wie dann aber der Rahmen für einen Waffenstillstand und den ebenfalls geforderten Rückzug der russischen Besatzungsmacht geschaffen werden soll, ist rätselhaft.

    In Bezug auf Israels tatsächlich völlig aus dem Ruder gelaufenen Krieg in Gaza ist im Programm von »Genozid« und »Ausrottung des palästinensischen Volkes«1»sterminio del popolo Palestinese« die Rede. Das Bündnis fordert, die Bemühungen von Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof gegen Israel zu unterstützen und das Assoziierungsabkommen zwischen Europäischer Union und Israel auszusetzen. Maßnahmen gegen die Hamas oder auch nur die Freilassung der israelischen Geiseln werden nicht gefordert. Einfach nur unfassbar.

    Mich würde zwar einerseits die Meinung von Brigitte Foppa dazu interessieren2Ich nehme an, sie tickt diesbezüglich eher wie die deutschen Grünen., doch andererseits wählt dieses Programm (das sie mitträgt) und dieses Wahlbündnis automatisch mit, wer am 8. und 9. Juni die Liste von italienischen Grünen und Linken ankreuzt. Für mich persönlich ist das nahezu unmöglich.

    Cëla enghe: 01 02 03 | 04 05 || 01 02 03

    • 1
      »sterminio del popolo Palestinese«
    • 2
      Ich nehme an, sie tickt diesbezüglich eher wie die deutschen Grünen.


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