Die italienische Faktenchecker-Plattform Pagella Politica (Mitglied des European Fact-Checking Standards Network) hat überprüft, in welcher Region des italienischen Staatsgebiets bei allen Parlamentswahlen seit 1948 und allen Europawahlen seit 1979 dem staatsweiten Gesamtergebnis am ähnlichsten gewählt wurde. Ohio war lange Zeit der US-amerikanische Bundesstaat, der für das Gesamtergebnis auf US-Ebene am repräsentativsten war, weshalb bei solchen Analysen immer wieder der Vergleich mit Ohio bemüht wird.
Sowohl bei den Parlamentswahlen als auch bei den Europawahlen ist »das Ohio von Italien«, wenn man so will, das Piemont. Es folgen jeweils Ligurien und das Latium. Die Wahlergebnisse dieser drei Regionen waren dem gesamtstaatlichen Ergebnis durchschnittlich am nächsten, wiewohl es keine Region gibt, deren Bevölkerung regelmäßig gleich oder sehr ähnlich wie Italien als Ganzes gewählt hat.
Was es aber schon gibt, sind zwei Regionen, die sehr konsequent anders gewählt haben — und das sind wenig überraschend Aosta und Trentino-Südtirol. Leider wurde Südtirol nicht (wie sonst manchmal bei solchen Untersuchungen) gesondert ausgewertet.
Unter den 20 Regionen des italienischen Staates lag Trentino-Südtirol bei den 18 Parlamentswahlen seit 1948 laut Pagella Politica einmal auf dem letzten Rang (20)11948, 16 Mal auf dem vorletzten Rang (19) und einmal auf Rang 17.21996 Im Durchschnitt landet die Region damit vor Aosta auf dem 19. Platz, bei den Europawahlen sogar auf Platz 20.
Gut möglich, dass Südtirol, wenn es allein gewertet worden wäre, in beiden Fällen hinter Aosta läge, denn das Trentino wählt eher als Südtirol gesamtstaatliche Parteien.
Wie dem auch sei: Das Ergebnis der Untersuchung bedeutet, dass die Übereinstimmung zwischen dem, was in Südtirol gewählt wird und den Parteien, die tatsächlich in Rom regiert haben, seit jeher äußerst gering ist. Aus demokratischer Sicht ist die schwache Legitimation, die die jeweiligen Mehrheiten auf staatlicher Ebene in Südtirol erfahren, problematisch. Sie zeugt davon, dass sich eine große Mehrheit der hiesigen Bevölkerung durchwegs nicht direkt mit der Politik identifiziert, die in Rom gemacht wird.
Natürlich ist das nichts Neues, aber es ist eine fundierte Bestätigung. In anderen Gebieten — etwa in Schottland — stellt die geringe Übereinstimmung zwischen den Parteien, die vor Ort gewählt werden und denen, die dann tatsächlich den Staat regieren, ein wichtiges Argument für das Streben nach Eigenstaatlichkeit dar. Im Gegensatz zum Piemont, aber auch fast allen anderen Regionen, die zumindest ab und an mehrheitlich Parteien wählen, die schlussendlich regieren, gilt für Aosta und Südtirol, dass sie von den Mehrheiten in Rom noch nie repräsentiert wurden.
Man könnte es auch umgekehrt formulieren: Dass die Parteien, die in Rom regiert haben, es nie auch nur annähernd geschafft haben, eine große Anzahl Wählerinnen in diesen beiden Regionen von sich und für sich zu überzeugen, macht deutlich, dass es hier ein massives Problem der politischen Repräsentanz gibt.
In Bezug auf die Europawahlen ist die Diskrepanz hingegen kaum von Bedeutung, da die nicht vorhandene Übereinstimmung mit dem Wahlergebnis auf Ebene des Staates wenig darüber aussagt, wer schlussendlich in Brüssel das Sagen hat.
Cëla enghe: 01
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Repräsentanz