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Herbert Dorfmann irrt.

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Der SVP ist der ökosoziale Flügel verlorengegangen

Nachgerade entrüstet reagierte Herbert Dorfmann (SVP) auf den Wunsch eines Jungwählers, die Volkspartei gemischt rot-grün einzufärben. In der Serie Bullshit von Barfuss zu den Europawahlen stellte Dorfmann klar, dass seine Partei in der Mitte positioniert und außerdem konservativ ist. Für Dorfmann das Identikit seiner SVP. 

Die »Mitte« in der SVP reklamieren aber andere für sich, wie Landtagspräsident Arnold Schuler, der siegreiche Leiferer Bürgermeister Giovanni Seppi, der ehemalige Brunecker Bürgermeister und Ex-Landtagsabgeordnete Christian Tschurtschenthaler oder die ehemalige Landesrätin Martha Stocker. Ein Team, doch ein stückweit von Dorfmann entfernt.

Es gab zwar in der Vergangenheit Koalitionen mit Mitte-Links, ergänzte Dorfmann. Diese Hinzufügung klang fast nach Bedauern, weil ein politischer Betriebsunfall? Außerdem, manche Kolleg:innen in der SVP beschreibt Dorfmann als sozialdemokratisch. Verirrte Sozialdemokraten in der SVP, für Dorfmann aber eine zu vernachlässigende Randerscheinung.

Rechts blinken

Er zieht einen klaren Trennungsstrich, mit Rot-Grün will seine Partei nichts zu schaffen haben. Ähnliches textete Dolomiten-Chefredakteur Toni Ebner nach den Europawahlen. In seiner Analyse empfahl er den Volksparteien, sich von diesen vaterlandslosen Gesell:innen zu verabschieden, einen rabiaten Kurswechsel durchzuziehen, hin zu den Rechten. Harald zerklaubte gekonnt und analytisch auf  Toni Ebner und seine Reinwaschung der Rechtsrechten.

Dorfmann und Ebner, der einst in einer Bozner SVP-Ortsgruppe engagiert war, sind geschichtsvergessen. Genauso die restliche amtierende SVP-Generation, die ständig nach rechts blinkt, die Rechten verharmlost und mit ihnen zusammenarbeitet. Ist die SVP in Südtirol Türöffner für die Rechtsradikalen, wie Politikwissenschaftler Günther Pallaver die Bildung der Landesregierung giftig kommentierte? Oder ist die SVP auch nach rechts abgedriftet?

SVP ohne Patrioten

Wahrscheinlich, denn warum unterstützt die SVP die von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (FdI) forcierte Verfassungsreform? Eine Reform, die das Autoritäre stärkt. Nicht von ungefähr kanzelten der ehemalige Landtagsabgeordnete Franz Pahl (SVP) und Ex-Senator Oskar Peterlini (SVP) auf Salto die Reformfreundlichkeit der SVP ab.

Der SVP ist der sogenannte »volkstumspolitische« Flügel verloren gegangen und dessen Wählerinnen. Diese wanderten zu den Freiheitlichen und zur Süd-Tiroler Freiheit ab. Es gibt keinen Franz Pahl mehr in der Sammelpartei, der hart ethnopolitisch tönte. Das Forum Heimat, ein zaghafter Versuch dieses Lager zu bedienen, ist zurückhaltend und fällt deshalb kaum auf. Lange hielt sich in der SVP eine »patriotische Strömung«, beispielsweise um Senator Peter Brugger, der sich vehement gegen das Südtirol-Paket und somit gegen das Zweite Autonomiestatut stemmte. Diese Art von »Patrioten« gibt es aber nicht mehr.

Die »neuen Patrioten« bedienen inzwischen gekonnt die kollektive Ausländerfeindlichkeit und können damit kräftig punkten. Auch deshalb, weil die mit der Migration verbundenen Probleme lange verdrängt, unter den Teppich gekehrt wurden.

Gestutzter linker Flügel

Wählende gingen auch nach links verloren, weil die Arbeitnehmer:innen in der SVP gescheitert sind. An sich selbst, aber auch an den Parteistrukturen. Wie die Maden fressen sich die Interessenverbände quer durch den SVP-Speck, die konsequent organisierte »Wirtschaft« hält sich die SVP an der kurzen Leine. 

Das Kürzel SVP steht nicht mehr für »Volkspartei«, sondern für »Verbändepartei«, wie es Kritiker:innen hintersinnig formulieren. Die Verbände sind von den Ortsauschüssen bis in die Parteispitze durchorganisiert. Da gibt es keinen Platz mehr für Arbeitnehmer, außer am Rand. Vorbei die Zeiten, in denen Persönlichkeiten wie Otto Saurer, Hubert Frasnelli, Rosa Franzelin, Erich Achmüller, Albert Pürgstaller, Sepp Kusstatscher oder Julia Unterberger politische Akzente setzten. Das war noch Volkspartei.

Es war in den fernen 1970er Jahren der liberal-konservative Obmann Silvius Magnago, der die Gründung eines sozialen Flügels anregte. Nicht aus purer politischer Nächstenliebe. Südtirolfreund Bruno Kreisky (SPÖ), sozialdemokratischer Außenminister und später Bundeskanzler von Österreich, hielt der SVP in den 1960er Jahren vor, die Partei der Bozner Pfeffersäcke zu sein. Städtisches Bürgertum und Großbauern hatten das Sagen in der SVP. 

Soziale Volkspartei

Persönlichkeiten wie Hans Dietl oder Egmont Jenny, der eine ein Ethno-Hardliner mit sozialer Schlagseite, der andere ein Kreisky-Fan, drängten die SVP immer wieder dazu, die soziale Frage entsprechend zu gewichten. Aus Dissens an der SVP-Gangart gründete Dietl nach seinem Rauswurf aus der SVP die Sozialdemokratische Partei, Jenny die Soziale Fortschrittspartei. Italienische linke Parteien, der PSI und die KPI, richteten deutschsprachige Filialen ein. Die »linken« Wahlerfolge waren zwar überschaubar (siehe Wahlergebnisse in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren) und keineswegs bedrohlich. Trotzdem reagierte Magnago mit einem Schachzug: Er empfahl 1975 die Gründung der Arbeitnehmer in der SVP.

Da werden damals manche Pfeffersäcke ihre Nase gerümpft haben. Die unter der Schirmherrschaft des Obmannes gegründeten Arbeitnehmer:innen sorgten dafür, dass die Autonomie sozial ausgestaltet wurde — sozialer Wohnbau, soziale Grundfürsorge, schulische Förderung, wohnortnahe Jobs, das Soziale zog in die Autonomie ein.

Die Wahlerfolge gaben den Arbeitnehmern recht. Insgesamt ein kämpferisches Team, das für kräftige rote Tupfer auf dem Edelweiß sorgte. Diese unbotmäßigen Volksparteiler knüpften Kontakte zur SPÖ und zur SPD, es kam zu regelmäßigen Treffen, ein Freundeskreis entstand. Entsprechend kritisch berichtete immer wieder die Tageszeitung Dolomiten über dieses »rote Netzwerk«. Der Arbeitnehmer-Anhang in den Gemeinden befasste sich mit Umweltthemen, dem Schutz von Landschaft und Natur, drängte auf den sparsamen Umgang mit Grund und Boden, der soziale Flügel agierte auch ökologisch. Öko-sozial nannte später der österreichische EU-Kommissar Franz Fischler von der ÖVP diese Entwicklung. Es gab in der SVP also ein moderates rot-grünes »Lager«. Aber warum soll das Herbert Dorfmann wissen? Er steht ja ganz woanders. 

Die Arbeitnehmer, einst Seele der SVP

Die forschen Arbeitnehmer um Albert Pürgstaller stellten in der Hochphase ein Drittel der SVP-Landtagsabgeordneten. Arbeitnehmer-Landessekretär Reinhold Perkmann, heute ein streitbarer Primar für ein gut funktionierendes öffentliches Gesundheitswesen, positionierte sein Team erkennbar sozialdemokratisch in der Sammelpartei.

Eine Macht in der Volkspartei, die aber im Gegensatz zu den anderen Lagern, besonders jenes der Wirtschaft, die SVP nie in Geiselhaft nahm. Trotz ständigen Niedermachens blieben die Arbeitnehmer der Sammelpartei gegenüber loyal. Für das Gesamte, für das Allgemeinwohl, für die Autonomie. Nachträglich betrachtet ein großer Fehler. Zwar spielten einige Exponenten immer wieder mit der Idee, eine soziale Partei zu gründen. Eine soziale Volkspartei. Es blieb bei den Gedankenspielen. Gedankt wurde ihnen dafür nicht.

Es tät den Arbeitnehmern gut, einen dosierten Klassenkampf zu betreiben. Gegen die da oben. Warum sperren sich Südtirols Unternehmen gegen die Betriebsabkommen? Warum gibt die reiche Wirtschaft nicht mehr an die Mitarbeitenden weiter? Warum setzen die Arbeitnehmer in der SVP die öffentliche Verwaltung — vom Land bis zu den Gemeinden — nicht gehörig unter Druck, für mehr Lohn? Warum zeigen sich Gewerkschaften inzwischen zufrieden mit staatlichen Kollektivabschlüssen, die für mehr Netto in den Arbeitnehmerkassen sorgen?

Ja, es gab eine Zeit, in der die SVP eine große Bandbreite hatte, zwischen rechts und links-grün. Es war eine Zeit, in der die SVP wahrscheinlich auch deshalb bei den Wählenden erfolgreich war. Lagerübergreifend. Herbert Dorfmann irrt, wenn er seine Partei nur in der konservativen Mitte verortet. Dort steht er. 

Duo Weber-Dorfmann

NROs werfen Dorfmann vor, sich als gewichtiger Agrar-Fachmann in Brüssel mit den Großen gemein zu machen, beispielsweise gegen die Renaturierung. 

Als ausgewiesener Freund der spanischen Volkspartei PP, die reaktionär und nationalistisch ist, verteufelte Dorfmann das katalanische Unabhängigkeitsreferendum. Die PP ist außerdem Steigbügelhalter der neo-franquistischen Vox. 

Obwohl seine Partei für die Bürgerinitiative Minority Safepack der FUEN warb, sah Dorfmann darin ein Instrument des illiberalen ungarischen Ministerpräsidenten Orbán. Die Partei des Dorfmanns-Freundes Manfred Weber von der EVP, die CSU, pflegte lange freundschaftliche Kontakte zur nationalistischen Orbán-Fidesz-Truppe, wie Teile der CDU auch. Inzwischen sind die Gräben zwischen der EVP und Fidesz tief und breit.

Weber wie Dorfmann werden die Knie schwach, wenn es um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni geht. Der Südtiroler verteidigte die Kritik von Meloni an den Top-Besetzungen in der EU-Führung. Dorfmann ist rechts von der Mitte. Rückt die gesamte Partei dorthin, bleibt von der Volkspartei nicht mehr viel übrig.


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Comentârs

One response to “Herbert Dorfmann irrt.”

  1. Hartmuth Staffler avatar
    Hartmuth Staffler

    Wolfgang Mayr hat wie so oft die Dinge klar beim Namen genannt. Das Trio Dorfmann-Weber-Tajani (den Mussolini-Bewunderer sollte man nicht vergessen) ist für Europa und für Südtirol verhängnisvoll, der Schaden, den diese drei anrichten, ist enorm. Die SVP konnte nur Dank der Mitwirkung von antifaschistischen und antinationalsozialistischen Mitgliedern gegründet werden. Diese demokratischen Feigenblatt-Mitglieder wurden aber längst von den Pfeffersäcken entsorgt. Zum Glück muss Kan. Gamper nicht mehr miterleben, wie sein Lebenswerk verraten wird.

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