In Beantwortung einiger Fragen zur Sprachsituation in Aoûta/Aosta habe ich heute vom dortigen Regionalrat ein ausführliches Dokument erhalten, in dem man mich auf zahlreiche Besonderheiten hinweist.
Bildausschnitt aus dem Originaldokument.
Mir war schon bekannt, dass
- es in Aosta, anders als in Südtirol, keinen Präfekten oder Regierungskommissär gibt und dessen Aufgaben stattdessen vom Regionspräsidenten wahrgenommen werden;
- die Vallée in der Ortsnamengebung weiterreichende Rechte hat als Südtirol und somit auch die faschistischen Zwangsübersetzungen historisch gewachsener Toponyme längst abgeschafft werden konnten;
- aufgelassene Staatsgüter, insbesondere nicht benötigte Militärareale, kostenlos an die Region Aosta übergehen, während Südtirol im Gegenzug Millionen in die Errichtung von Soldatenwohnungen stecken muss.
Noch nicht bekannt war mir hingegen folgender Aspekt:
Laut Autonomiestatut, so teilt man mir mit, seien die französische und die italienische Sprache gleichgestellt.
Auch das Autonomiestatut der Region Trentino-Südtirol sieht vor, dass die deutsche und die italienische Sprache gleichberechtigt sind. Allerdings mit dieser schwerwiegenden Einschränkung (Art. 99 Autonomiestatut):
In den Akten mit Gesetzeskraft und immer dann, wenn dieses Statut eine zweisprachige Fassung vorsieht, ist der italienische Wortlaut maßgebend.
Sozusagen gilt die deutsche Sprache stets nur als inoffizielles »Anhängsel« des Italienischen, jedoch ohne juristischen Wert. Auch dann, wenn zum Beispiel ein Landesgesetz auf Deutsch ersonnen, diskutiert und verabschiedet wurde, ist nur die italienische Übersetzung maßgebend.
Aus Aosta schreibt man mir hingegen:
La […] loi régionale n° 25 du 23 juillet 2010 […] à l’article 5, a établi que: «tous les actes sont publiés en italien et en français, dans le respect des dispositions de l’art. 38 du Statut spécial de la Vallée d’Aoste» et que «le texte officiel des actes publiés est celui qui a été rédigé dans la langue dans laquelle ces derniers ont été adoptés.»
Pour ce qui est des lois et des règlements régionaux la version officielle est donc le texte dans la langue d’approbation de la part de l’Assemblée.
Übersetzung (von ):
Das Regionalgesetz Nr. 25 vom 23. Juli 2010 […] sieht in Artikel 5 vor, dass »in Übereinstimmung mit Art. 38 des Autonomiestatuts von Aosta alle Akte in italienischer und französischer Sprache veröffentlicht werden« und dass »der offizielle Text der veröffentlichten Akte derjenige ist, der in der Sprache verfasst wurde, in der letztere verabschiedet wurden.«
Was also die Regionalgesetze und -reglemente betrifft, stellt jeweils der Text in der Sprache, in welcher er im Regionalrat verabschiedet wurde, die offizielle Fassung dar.
In Aosta sind folglich Regionalgesetze, die in französischer Sprache ersonnen, diskutiert und verabschiedet wurden, gar ausschließlich in dieser Fassung rechtswirksam und maßgebend. Und: Das konnte aufgrund der Autonomie mit einem Regionalgesetz so geregelt werden.
In dieser Hinsicht ist Deutsch in Südtirol (wie wir es immer wieder genannt haben) eine reine »Fassadensprache«, während das Französische in Aosta den Rang einer vollwertigen und tatsächlich gleichgestellten Sprache genießt. Was trägt — zum Beispiel — zur Notwendigkeit von tatsächlich zweisprachigen Richtern, Anwälten und Beamten effektiver bei, als das Vorhandensein von Gesetzestexten, die nur in der Minderheitensprache rechtsgültig sind?
Scrì na resposta