von Andreas Gufler Oberhollenzer
Am 30. Dezember 2024 bin ich über den Bahnhof Brenner nach Südtirol eingereist, wie schon öfter in der letzten Zeit. An diesem Tag sollte mir aber in sehr direkter Weise vor Augen geführt werden, wie wenig Minderheitenrechte in Italien Beachtung finden.
Ich wurde am besagten Tag und Ort von der Bahnpolizei kontrolliert. Als sich die Beamtin ausschließlich in Italienisch an mich gewandt hatte, bat ich sie darum, mit mir auf Deutsch zu sprechen, wie es ja vom DPR 574/1988 vorgesehen wäre. Die Beamtin gab mir dann die Antwort »Ausweis«, gut dachte ich, ich habe es geschafft, meine Rechte wenigstens ein wenig einzufordern. Doch sehr weit gefehlt. Gleich im Anschluss an dieses einzige deutsche Wort, das der Beamtin über die Lippen ging, meinte sie prompt auf Englisch »but here we are in Italy!«. Als ich der Beamtin versuchte, auf Englisch zu erklären, dass es in Südtirol verpflichtend ist, mit Bürger:innen auch Deutsch zu sprechen, verneinte sie dies immer wieder mit dem Wortlaut »we are in Italy!«. Auch erklärte ich ihr, dass ich einer sprachlichen Minderheit angehöre. All dies ließ die Beamtin unbeeindruckt und sie verwies mich dann auf die einsprachigen Plaketten der Polizei:
Auf ihren Plaketten würde »Polizia« stehen und nicht »Polizei«. Diese Aussage, das muss ich zugeben, hat mir dann wirklich noch den Rest gegeben. Die anderen Kolleg:innen, die mittlerweile auch in meiner Nähe standen, meinten gar nichts dazu.
Als ich mich dann schlussendlich auswies, auch aus Angst vor Konsequenzen, meinte die Beamtin, dass ich »italiano« sei, wandte sich ab und ging.
Die gewaltsame Negierung von Minderheitenrechten
Diese persönliche Erfahrung mit der (Bahn-)Polizei war ganz klar Gewalt gegen mich als Angehöriger einer Minderheit. Mir wurden meine Minderheitenrechte negiert! Dies auf eine nationalistische und gewaltsame Art und Weise, wie ich sie selten erleben musste. Die Beamtin und ihre Kolleg:innen, das kommt erschwerend hinzu, traten hier als Vertreter:innen des Staates auf, nicht als Privatpersonen. Sie tragen Uniformen, Waffen. Zu dieser Machtasymmetrie kommt hinzu, dass ich mich ausweisen muss, auf der anderen Seite, dies betrifft jetzt vor allem die Polizeiarbeit im Allgemeinen, müssen keine Identifikationsbadges o. ä. auf der Uniform getragen werden, was vor allem auch bei Beschwerden jeglicher Art sehr nützlich sein könnte.
Minderheitenfeindlichkeit, die Diskriminierung von Minderheiten und die Negierung ihrer Rechte ist und bleibt immer Gewalt!
Beschwerdemöglichkeiten ohne Konsequenzen
Beschwerde- und Sanktionsmöglichkeiten gegen Missachtung des Rechts auf Muttersprache, wie ich sie hier par excellence erleben musste, sieht das Autonomiestatut bzw. nachfolgende Durchführungsbestimmungen durchaus vor, wobei die effektive Sanktionsmacht beim Regierungskommissariat liegt, also beim Staat selbst. Das Regierungskommissariat hat, wie aus der Landtagsanfrage 105/24-XVII hervorgeht, in den letzten Jahren faktisch keine Sanktionen verhängt, auf der anderen Seite, das Landesamt für Landessprachen und Bürgerrechte, bei dem in den letzten Jahren über hundert Beschwerden bzgl. der Missachtung der (deutschen) Muttersprache bearbeitet wurden. Das passt nicht zusammen.
Es ist zudem davon auszugehen, dass man als Beschwerdeführer:in aktiv beweisen muss, dass eine Missachtung der eigenen Minderheitenrechte erfolgt ist. Was in Fällen wie in meinem jedoch sehr schwierig ist. Wieso müssen aber nicht die Behörden beweisen, dass sie Minderheitenrechte nicht missachtet haben, im Sinne einer Beweislastumkehr?
Die dysfunktionale Südtiroler Autonomie
Die Negierung von Minderheitenrechten der ladinisch- und deutschsprachigen Menschen in Südtirol ist kein Einzelfall, sondern eher strukturell und Anzeichen für eine Autonomie, die in ihrer jetzigen Form nicht funktioniert. Verfassungsrechte, wie es Minderheitenrechte und auch die Südtiroler Autonomie in Italien sind, haben keinen Wert, wenn sie in der Praxis negiert werden und die Autonomie es nicht schafft, ihre zu schützenden Minderheiten davor zu bewahren. Eine Autonomie, die nicht in der Lage ist, Verstöße gegen Minderheitenrechte zu bestrafen bzw. für deren Einhaltung zu sorgen und Minderheiten vor dieser Art von Gewalt und Willkür zu schützen, verliert ihre Legitimation und verfehlt ihr Ziel!
Was übrigbleibt
Mein Erlebnis am Bahnhof Brenner ist ein persönliches, aber auch ein politisches. Es bleibt ein mulmiges Gefühl, die Frustration, schon wieder seine Rechte negiert zu bekommen und dabei (fast) hilflos zuschauen zu müssen. Ein guter Freund, der selbst nicht aus Südtirol kommt, meinte betroffen, als ich ihm von dem Erlebnis am Brenner erzählt hatte, ich solle mich unbedingt an eine NGO wenden, die sich für Minderheitenrechte einsetzt — nur dumm, dass es so etwas meines Wissens in Südtirol gar nicht gibt. Es gibt in Südtirol auch wirklich keine öffentlichen Foren (außer vielleicht), in denen man solche Erfahrungen, die wenigstens mir schon auch gefühlsmäßig zusetzen, verarbeiten und aufarbeiten könnte. Missachtungen der Minderheitenrechte in Südtirol finden zwar teilweise politisches Gehör, werden meiner Meinung nach aber vor allem von rechten Parteien aufgegriffen, obwohl es Minderheitenrechte per se gar nicht wären. Das alles gibt sehr zum Bedenken und lässt mich manchmal sprachlos.
Die Südtiroler Autonomie braucht keine Reform – sie braucht eine Generalsanierung!
Ein persönlicher Erfahrungsbericht