Nachdem sie im Laufe der vergangenen Jahrhunderte zu großen Anpassungen gezwungen waren, um ihren Fortbestand zu sichern, scheinen Monarchien heute wesentlich besser mit Minderheiten und Selbstverwaltungsansprüchen ihrer Territorien umgehen zu können, als Republiken — insbesondere jene Republiken, die sich als Nationalstaaten definieren.
So hätte Großbritannien heute wohl keine Schwierigkeiten, Schottland, Nordirland oder Wales in die Unabhängigkeit zu entlassen, wenn das die Mehrheit der dortigen Bevölkerung wünschen würde. Norwegen hat sich im 20. Jahrhundert demokratisch von Schweden gelöst, Dänemark hat zuerst Island in die Freiheit entlassen und dann Grönland und die Färöer zu gleichberechtigten Nationen im Königreich gemacht. Nun wird Grönland in die Selbständigkeit begleitet. Trotz der jetzigen Konflikte mit Katalonien hat auch Spanien seinen historischen Sprachgemeinschaften (Katalanen, Basken, Galicier) von sich aus ungleich weiter reichende Selbstverwaltung zugesichert, als republikanisch organisierte Nationalstaaten den ihren.
Erstaunlich ist das deshalb, weil paradoxerweise eine überholt erscheinende Staatsform für eine der gegenwärtig wichtigsten Herausforderungen (Minderheiten, Zuwanderung, Heterogenisierung der Gesellschaft etc.) wesentlich besser gerüstet ist, als eine jüngere und modernere Staatsform. Das ist meiner Einschätzung nach darauf zurückzuführen, dass Republiken — dem Geist ihrer Entstehungszeit folgend — Götzen wie einheitliche Sprache und Kultur und Werte wie Unteilbarkeit zum identitätsstiftenden Ersatz für die Integrationsfigur des Monarchen gemacht haben.
Eigentliche Vielvölkerstaaten wie Frankreich (Normannen, Bretonen, Basken, Katalanen, Korsen, Elsässer, Flamen, Okzitanen, Provenzalen…) und Italien (Frankoprovenzalen, Walser, Griechen, Sarden, Okzitanen, Friauler, Albaner, Deutsche, Ladiner, Slowenen…) erfanden eine gleichmacherische Identität, die es eigentlich nicht gibt — weshalb es heute teils unüberhörbar im Gebälk knarzt. Trotz Demokratie schaffen es die jeweiligen Völker und Territorien (mit wenigen Ausnahmen) nicht, den zu ihrer freien Entwicklung nötigen Raum zu erhalten, weil andernfalls die Rechtfertigung ihres unteilbaren Zusammenseins abhanden käme. Zuwanderung und Globalisierung lassen das Selbstverständnis dieser Staaten zusätzlich wanken, Widersprüche werden eklatant. Wenn, wie kürzlich, in einer deutschen National-Mannschaft Spieler wie Boateng, Cacau oder Özil spielen, dann hat nicht die Mannschaft ein Problem — sie spiegelt die tatsächliche Zusammensetzung der Gesellschaft wider — sondern die Nation mit ihrer vorgetäuschten Einheitlichkeit.
Monarchien haben über Jahrhunderte immer wieder territoriale Veränderungen erfahren — auch durch friedliche Abspaltungen, obwohl meist nicht auf demokratische Weise, sondern etwa durch Heirat oder Gebietsansprüche der Nachkommenschaft. Als oberste Integrationsfigur blieb der Monarch jedoch häufig auch über die staatliche Eigenständigkeit hinweg erhalten, was wohl mit der Zeit ebenfalls einen entspannteren Umgang mit territorialen Anpassungen bewirkt hat. Das heutige Commonwealth, dessen Mitgliedsstaaten die britische Krone als Staatsoberhaupt oder Repräsentantin anerkennen, ist ein gutes Beispiel für ein modernes Überbleibsel dieser Jahrhunderte währenden Entwicklung.
Als überzeugter Republikaner will ich mit diesem Denkanstoß keineswegs den Monarchien das Wort reden, sondern vielmehr auf die enormen Widersprüche in heutigen Nationalstaaten hinweisen, die sich wohl kaum durch systemimmanente Reformen überwinden lassen. Der Nationalstaat wird seinem Anspruch in dem Maße gerecht, wie er imstande ist, Zuwanderer und Minderheiten unterzuordnen und höchstens als Ausnahmen zu dulden. Wenn wir uns von Prinzipien wie der Unteilbarkeit der Nation leiten lassen, sitzen wir definitiv einem überholten Modell auf. Es wäre vonnöten, etwa EU-intern ein Alternativmodell ausfindig zu machen, bevor die Nationalstaaten noch größeren Schaden anrichten, um ihre Widersprüche zu vertuschen.
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