Neben den Zuständigkeiten der Region und der beiden Länder, den Gesetzgebungsverfahren, Vermögen und Finanzen und einigen anderen Aspekten ist ein zentraler Teil des geltenden Statuts den Organen von Region und Ländern gewidmet. Sollte die Region — wie hier vorgeschlagen — durch eine einfachere und freiwillige Form der Zusammenarbeit zweier eigenständiger Regionen ersetzt werden, würde dieser Teil wesentlich vereinfacht. Im Folgenden zwei Vorschläge zur Reform zweier weiterer Institutionen, die ebenso die Südtirol-Autonomie vollständiger und partizipativer werden ließen.
1. Das Regierungskommissariat
Dieses Amt ist eigentlich ein Relikt ferner Zeiten, als noch von Rom eingesetzte Präfekten die Regionen mitregierten. Die Webseite lautet heute noch auf »prefettura«. Seit 2001 ist diese Figur in allen anderen 19 Regionen verschwunden, nur in unserer Region haben die Regierungskommissäre als Statthalter des Staats sogar neue Aufgaben erhalten. Schon vorher waren die Herrschaften im Bozner Herzogspalast mit der Kontrolle des Sprachgebrauchs im öffentlichen Dienst betraut worden, eine eigentlich genuine Aufgabe von Landesorganen. Laut Statut (Art. 87 und 88) hat die Regierungskommissärin vor allem zwei Aufgabenbereiche: Zum einen die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zum anderen die Koordinierung und Beaufsichtigung der Befugnisse des Staats innerhalb des Landes. Dies betrifft aber nicht die Justiz, die Verteidigung und die Bahn, die von den jeweiligen Ministerien direkt verwaltet werden. Für die Polizei gibt es zusätzlich auch den Quästor.
Der dritte Aufgabenbereich ist jener der früheren Präfekten, die in allen übrigen Regionen durch die Regionen und teils durch direkte Ministerialämter übernommen worden sind. Das Kommissariat selbst umschreibt seine Funktionen folgendermaßen:
Öffentliche Ordnung und Sicherheit, Wahlen (Parlaments- und Europawahlen, Volksbefragungen auf gesamtstaatlicher Ebene), Vermittlung und Schlichtung bei Arbeitskämpfen und Gewährleistung der wesentlichen Dienste, Straßenschließung, Zweisprachigkeitsprüfung, Auszeichnungen, Staatsbürgerschaft, Kult-Ausübung, Verwaltungsvergehen, Führerscheinentzug, Drogenbekämpfung, Antimafia-Gesetze, Flüchtlinge (Gebietsbeirat für Immigrationswesen), Staatspolizei (wirtschaftliche Behandlung des Personals und Kasernen), Genehmigung öffentlicher Bauaufträge, Überwachungsaufgaben über Gemeindemeldeämter, Einwanderung, Zivilschutz (beschränkt auf den Einsatz von Staatsorganen).
In Südtirol bekannt ist das Regierungskommissariat auch deshalb, weil es das gesamte in Südtirol tätige Personal der Staatsverwaltung mit Ausnahme der Ordnungskräfte und der Bediensteten des Verteidigungsministeriums mit den entsprechenden Stellenplänen verwaltet (»Einheitliches Amt für das Personal der Staatsverwaltung«). Weil von den rund 8.800 Staatsstellen (Stand Ende 2014) gut 6.800 Polizisten, Soldaten und Bahnbedienstete sind, geht es nur mehr um etwa 2.000 Stellen. Die Wettbewerbe für diese Stellen werden vom Regierungskommissär nach vorherigem Einvernehmen mit dem Land gemäß Proporz ausgeschrieben. Vom Proporz ausgenommen ist aber das Regierungskommissariat selbst. Zugangsvoraussetzung für diese Stellen, schreibt das Kommissariat, ist der Zweisprachigkeitsnachweis.
In der Autonomen Region Aostatal ist seit jeher der Regionspräsident (Landeshauptmann) mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut. Dafür ist er direkt der Regierung in Rom verantwortlich und kann sich der Staatspolizei und lokalen Polizei bedienen. Diese Aufgabe wäre mit einer eventuellen Landespolizei noch zweckmäßiger zu erfüllen. Der Regionspräsident ist im Aostatal auch damit betraut, die vom Staat ans Land delegierten Befugnisse zu überwachen. Somit ist er auch Vertreter des Staats in der Region, jedoch frei gewählt vom aostanischen Regionalrat. Außerdem ist seit 2001 für alle autonomen Regionen eine frühere lästige Aufgabe der Regierungskommissäre entfallen, nämlich die Anbringung des Sichtvermerks bei den neuen Landes- bzw. Regionalgesetzen. Diese Wachhundrolle ist seit 15 Jahren weg, der Staat kann Landesgesetze nur mehr direkt vor dem Verfassungsgericht anfechten.
Zwingend nötig ist diese Institution nicht mehr, sonst wäre sie nicht im restlichen Italien gestrichen worden. Unverzichtbare dezentrale Verwaltungsaufgaben des Innenministeriums könnte entweder die Polizeidirektion oder ein bescheideneres Ministerialbüro übernehmen, während weitere Aufgaben beim Land besser angesiedelt sind, wie z.B. die Leitung von Wahlen, Volksabstimmungen und manche andere. So ist der Regierungskommissär in Bozen eher Ausdruck römischen Misstrauens gegenüber einer nördlichen Grenzprovinz, der man nicht ganz über den Weg traut. Die Abschaffung des Regierungskommissariats ist kein Hirngespinst, zumal sie schon mehrfach vom Landtag mit großer Mehrheit gefordert worden ist.
2. Die Paritätischen Kommissionen
Eine viel wichtigere Rolle für das Funktionieren der Südtirol-Autonomie spielen die 6er- und die 12er-Kommission. Ursprünglich war ihnen vom Autonomiestatut (Art. 107) eine beratende Rolle zugedacht gewesen. Schon bald wurde klar, dass eigentlich sie rechtsetzende Organe sind. Zwar ergehen die Hauptprodukte der paritätischen Kommissionen, die famosen Durchführungsbestimmungen, als Dekrete der Regierung. Doch in der Praxis werden die Dekretstexte von den Kommissionen verabschiedet, von Regierungsmenschen gegengelesen und von der Regierung durchgewunken. Auch weil man den Inhalt der Dekrete dieser »Geheimkommissionen« vorab gar nicht kennt, kann kein demokratisch legitimiertes, anderes Organ dagegen Einspruch erheben.
Fast alle bedeutenden Regelungen zur Autonomie, etwa der Proporz, der Sprachgebrauch, der Volkszählungsmodus und unzählige einzelne autonome Zuständigkeiten wurden kleinweise mit Durchführungsbestimmungen (DFB) in der 6er-Kommission geregelt. »Die eigentliche Bedeutung der paritätischen Kommissionen,« schrieb einmal Francesco Palermo, »liegt in der Konkretisierung des Verhandlungsprinzips als Leitprinzip des Autonomiestatuts.« Dieses Prinzip stellt autonome Provinzen und den Staat auf dieselbe Ebene und die Zusammensetzung dieser Organe spiegelt auch die ethnisch pluralistische Natur von Staat und Land wider. Doch stellt sich gerade wegen der Bedeutung dieser Normen die Frage der politischen Legitimation. Wie kann die rechtsetzende Funktion dieser Kommissionen mit dem Demokratieprinzip vereinbart werden? Um durch eine Volksvertretung besser legitimiert zu werden, müssten diese Kommissionen:
- durch ein gewähltes Organ pluralistisch besetzt werden, wobei — wie bei Landtagskommissionen und im Autonomiekonvent üblich — auch die politische Minderheit vertreten sein muss;
- demokratische Spielregeln unterworfen werden, und zwar vor allem hinsichtlich der Informationsrechte der sie legitimierenden Organe (Landtag, Regionalrat) als auch hinsichtlich Transparenz und Öffentlichkeit;
- eine Ratifizierungsphase nachschalten. Wenn auf Staatsseite die Regierung mit dem Vertrauen des Parlaments handeln kann, weil es nur um den Sonderfall einer kleinen Provinz geht, muss auf Südtiroler Seite der Landtag als Vertretung der Gesamtheit der Betroffenen sein Placet zu neuen DFB geben dürfen. Gibt er es nicht, muss nachverhandelt werden.
Durch diese bescheidene Reform würde ein Stück mehr demokratische Legitimation geschaffen für Organe, die die politische Realität in Südtirol maßgeblich beeinflussen. Das bilaterale Verhandlungsverfahren zwischen Staat und autonomen Regionen ist unverzichtbar und hat sich in vielen Autonomien weltweit bewährt. Doch wird es auch bei den paritätischen Kommissionen Zeit für demokratischere Spielregeln. Last but not least: Erfolgt diese Reform, kann die vom Statut vorgesehene 137er-Kommission ruhig entfallen, eine Alibi-Kommission, die nie konkret in Gang gesetzt wurde und dann nur eine Verdoppelung dieser Rolle darstellen würde.
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